Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

6 
 April 
 
2018

abgelegt in
Lesch, Sarah

 

SÄNGERIN Sarah Lesch



Testament

Auch du warst mal ein Kind
und auch ich war mal klein und auch uns haben sie was erzählt
und dann macht man das alles und versucht so zu sein,
und dann merkt man, dass einem was fehlt.
Und dann verlernt man sich richtig zu spür’n und man flüchtet sich in Kunst oder Konsum, und.
während jeder vielleicht sich Pläne macht, lachen die Götter sich krumm.

Lasst eure Kinder mal was dazu sagen,
hört Ihnen richtig zu.
Die spür’n sich noch, die haben Feeling für die Welt
die sind klüger als ich und du.

Und denkt dran, bevor ihr antwortet, ihr seid auch bloß verletzte Kinder
Am Ende gibts wieder ganz neue Symptome
und ihr wart die Erfinder.
Und dann sagt ihnen wieder wie es richtig geht:
” Werd’ Erwachsen!” und “bist du naiv!”
Predigt Formeln, lasst alles in Hefte schreiben,
die Götter lachen sich schief

Achtet auf Schönschrift und Lerhpläne und, dass sie die Bleistifte spitzen.
zeigt ihnen Bilder von Eichenblättern
während sie drinnen an Tischen sitzen.
und dann ackern und büffeln und wieder auskotzen
und am Nachmittag RTL2,
Am Wochende geht’s was schönes kaufen, fertig ist der Einheitsbrei. Und.
jeder, der sich nicht anpasst, wird zum Problemkind erklärt, und.
jeder die zu lebhaft ist, kriegt ‘ne Pille, damit sie nicht stört
Und damit betrügt ihr euch selber, denn
kein Kind ist ein Problem.

Und all’ die Freigeister, all die Schulschwänzer, nur Symptomträger im System

Doch bedenkt, wenn ihr so hart urteilt,
ihr seid auch bloß gefangene Geister.
Der Unmut wird immer lauter und die Lehrer schreien sich heiser.
Empört durch das Hänsschen nicht ist, was er sein soll
sondern nur, wer er nunmal ist.

Die Götter pullern sich ein vor Lachen
und ihr denkt, dass ihr was wisst.

Und wenn Hänschen ein Hans, der eigene Kinder hat,
denen er was erzählt, dann merkt Hans und Kunz und ihr vielleicht auch,
dass wieder irgendwas fehlt.
Ihr habt Wünsche und Träume und rennt damit ständig
an imaginäre Wände, und.
Jeder Wunsch, den ihr euch erfüllt, der ist dann halt auch zu Ende.
geht ihr nochmal hoch, erfundene Zahlen
und wartet bis die Burn-outs kommen.
Schmeißt euer Geld für Plastik raus, um ein kleines Glück zu bekommen.

Das beste aus Cerealien und Milch, noch’n Carpboard und noch ein Kredit, und.
alle finden’s Scheiße, aber
alle machen sie mit!

Alle finden’s scheiße,
aber alle machen sie mit.
Ihr klugscheißert und kauft trotzdem und die Werbung verkauft euch für dumm
und dann sitzt ihr vor euern Flachbildfernsehern
und meckert auf den Kosum.

Wenn ihr das Welt nennt, bin ich gern’ Weltfremd!
Die Götter lachen sich krumm.

Wenn ihr das Welt nennt, bin ich gern’ Weltfremd!
Die Götter lachen sich krumm…

Ihr Traumverkäufer, Symptomdesigner,
merkt ihr noch was passiert?
Wer hat euch das Land und das Wasser geschenkt,
dass ihr jetzt privatisiert?
Ihr Heuchler, ihr Lügner, ihr Rattenfänger, ihr Wertpapierverkäufer
wer hat euch Geist und Gefühl gegeben
und doch seid ihr nur Mitläufer.
Ihr großen, vernarbten, hilflosen Riesen, ihr wart doch auch mal klein.
Und jemand hat euch mit schweigen gestraft
und ließ euch damit allein.

Und jetzt hört ihr icht nur die Götter nicht lachen,
ihr hört auch die Kinder nicht weinen.
und sagt Ihnen weiter, es würde nicht weh tun, ohne es so zu meinen
Macht ihr ruhig Pläne, ich steh am Rand, ich seh euch
und ich bin nicht allein.’
Hinter mir stehen mehr und mehr Weltfremde,
die passen auch nicht hinein.

und jetzt wartet nicht auf ein versöhnliches Ende
den Gefallen tu ich euch nicht.
Kein Augenzwinkern, keine milde Pointe,
die das Unwohlsein wieder bricht.

Irgendwann werden die Götter nicht mehr lachen,
und falls es mich dann nicht mehr gibt,
hinterlass’ ich ein Kind, dass sich selbst gehört
Und dies’ unhandliche Lied.

 
 
9 
 März 
 
2018

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DICHTUNG Rainer Maria Rilke
LESUNG Will Quadflieg
BEREITSTELLUNG wortlover



Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit
mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.
O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen …
Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen,
und auf den Plätzen die Fontänen springen,
und in den Gärten wird die Welt so weit. –
Und durch das alles gehn im kleinen Kleid,
ganz anders als die andern gehn und gingen–:
O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen,
o Einsamkeit.

Und in das alles fern hinauszuschauen:
Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen
und Kinder, welche anders sind und bunt;
und da ein Haus und dann und wann ein Hund
und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen –:
O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen,
o Tiefe ohne Grund.

Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
in einem Garten, welcher sanft verblaßt,
und manchmal die Erwachsenen zu streifen
blind und verwildert in des Haschens Hast,
aber am Abend still, mit kleinen steifen
Schritten nach Haus zu gehn, fest angefaßt –:
O immer mehr entweichendes Begreifen,
o Angst, o Last.

Und stundenlang am großen grauen Teiche
mit einem kleinen Segelschiff zu knien;
es zu vergessen, weil noch andre, gleiche
und schönere Segel durch die Ringe ziehn,
und denken müssen an das kleine bleiche
Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien –:
O Kindheit, o entgleitende Vergleiche,
wohin? Wohin?

 
 
29 
 Oktober 
 
2017

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Die Blumen des Bösen (Les fleurs du mal) – Auszug (0:41)
Charles Baudelaire (1821 – 1867)
Jetzt sammle dich, mein Sinn, und richte dich empor,
In diesem Augenblick verschließ dem Lärm dein Ohr.
Die Stunde ists, da Gram und Schmerzen sich verschlimmern,
Da uns die finstre Nacht die Kehle würgt, und Wimmern
Die Hospitäler überfüllt, da still der Kranken Heer
Zum großen Abgrund wallt. – Ja, mancher kommt nie mehr
Und isst nie mehr die Suppe still, träumt, blickt ins Feuer
Ganz nah beim Herd und nah der Seele, die ihm teuer.
Die Blumen des Bösen (Les fleurs du mal) – Auszug (1:47)
Charles Baudelaire (1821 – 1867)
Lasst meiner Kindheit Magd, dem Herzen voller Güte,
Da sie entschlummert ruht tief unter Gras und Blüte,
Lasst ein paar Blumen uns ihr legen auf den Stein.
Die armen Toten, ach, sie leiden soviel Pein.

Wenn der Oktoberwind die alten Bäume schüttelt,
Traurige Lieder singt, an ihrem Grabstein rüttelt,
Dann finden sie gewiss, dass wir recht herzlos sind
In unsrem warmen Bett, geschützt vor Frost und Wind.

Wenn nun an dem Kamin, beim Knisterton der Scheite
Plötzlich die Magd der Kindheit säß an meiner Seite,
Ernsthaft und bleich wie aus der ewgen Nacht geschickt,

Aufs großgewordne Kind mit Mutteraugen blickt,
Was kann ich dann zu ihr, der frommen Seele, sprechen,
Aus deren hohlem Aug endlose Tränen brechen?
Das schöne Schiff (3:43)
Charles Baudelaire (1821 – 1867)
Ich will dir schildern, du mein hold Entzücken,
Die Reize all, die deine Jugend schmücken.
Will malen deiner Schönheit Art,
Darin sich Kindlichkeit mit stolzer Reife paart.

Wenn leis im Wind dir deine Röcke wehen,
Glaub ich, ein Schiff in hoher Fahrt zu sehen,
Das segelschwer die Flut durchfliegt,
In sanftem Takt sich träg und weich und lässig wiegt.

Auf deinem runden Hals, den stolze Schultern tragen,
Seh ich dein schönes Haupt in seltner Anmut ragen.
Voll Sanftmut und doch stolzgesinnt
Gehst deines Weges du, ein majestätisch Kind.

Ich will dir schildern, du mein hold Entzücken,
Die Reize all, die deine Jugend schmücken.
Will malen deiner Schönheit Art,
Darin sich Kindlichkeit mit stolzer Reife paart.

Dein Busen, der sich wölbt, die Seide strafft, die feine,
Gleicht einem köstlichen und schöngeformten Schreine,
Auf dessen Fläche klar und licht
Wie auf metallnem Schild der Sonne Glanz sich bricht.

Verlockend Schilderpaar, bewehrt mit rosigen Spitzen!
Schrein, der voll Heimlichkeit viel Holdes muss beschützen,
Duft, Spezerei und dunklen Wein,
Draus süßer Taumel strömt in Herz und Hirn hinein!

Wenn leis im Wind dir deine Röcke wehen,
Glaub ich, ein Schiff in hoher Fahrt zu sehen,
Das segelschwer die Flut durchfliegt,
In sanftem Takt sich träg und weich und lässig wiegt.

Die edlen Beine, die des Kleides Falten jagen,
Erwecken dunkle Lust und dunkler Wünsche Plagen.
Zwei Zauberschwestern sind sie mir,
Voll schwarzem Liebestrank in tiefer Schale hier.

Die Arme könnten leicht mit jungen Riesen ringen,
Schimmernden Schlangen gleich, die stark und weich umschlingen,
Den Liebsten. Zu schmieden wie mit Erz
Ihn an die Brust, zu pressen ihn ins Herz.

Auf deinem runden Hals, den stolze Schultern tragen,
Seh ich dein schönes Haupt in seltner Anmut ragen.
Voll Sanftmut und doch stolzgesinnt
Gehst deines Weges du, ein majestätisch Kind.