30 September 2012 | |
DICHTUNG | Ingeborg Bachmann | |
LESUNG | Christian Brückner | |
BEREITSTELLUNG | wortlover |
Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
Fallen einst die müden Lider zu,
Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh;
Tastend streift sie ab die Wanderschuh’,
Legt sich auch in ihre finstre Truh.
Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend stehn,
Wie zwei Sternlein innerlich zu sehn,
Bis sie schwanken und dann auch vergehn,
Wie von eines Falters Flügelwehn.
Doch noch wandl’ ich auf dem Abendfeld,
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluß der Welt!
30 September | |
Möge das klassische Schach mir verzeih’n, das einst ich es verschmäht’ als
Matrix geistiger Inhalte. Herrlich frommte des Janus’
Gangart, weithin erstreckte sich auch der Figuren Terrain. Und
jedem Vokal – sowohl kurz als auch lang ausgesprochen – ward eine
Linie zuteil, die korrespondierend in gedachter Verwandtschaft
mit den fünf Elementen stand. Doch auch jenes verwarf ich…
29 September 2012 | |
Aus: “Wilhelm Meister”
von Johann Wolfgang von Goethe
Singet nicht in Trauertönen
Von der Einsamkeit der Nacht.
Nein, sie ist, o holde Schönen,
Zur Geselligkeit gemacht.
Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die schönste Hälfte war,
Ist die Nacht das halbe Leben
Und die schönste Hälfte zwar.
Könnt ihr euch des Tages freuen,
Der nur Freuden unterbricht?
Er ist gut, sich zu zerstreuen;
Zu was anderm taugt er nicht.
Aber wenn in nächt’ger Stunde
Süsser Lampe Dämmrung fließt,
Und vom Mund zum nahen Munde
Scherz und Liebe sich ergießt;
Wenn der rasche, lose Knabe,
Der sonst wild und feurig eilt,
Oft bei einer kleinen Gabe
Unter leichten Spielen weilt;
Wenn die Nachtigall Verliebten
Liebevoll ein Liedchen singt,
Das Gefangnen und Betrübten
Nur wie Ach und Wehe klingt;
Mit wie leichtem Herzensregen
Horchet ihr der Glocke nicht,
Die mit zwölf bedächtgen Schlägen
Ruh und Sicherheit verspricht.
Darum an dem langen Tage,
Merke dir es, liebe Brust;
Jeder Tag hat seine Plage,
Und die Nacht hat ihre Lust.
Dichtung | Johann Wolfgang von Goethe | |
Lesung | Eva Mattes | |
Bereitstellung | 59Berger |