Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

21 
 Mai 
 
2011


 

Thomas der Zwilling

Jesus sprach:
„Warum wascht ihr das Äußere des Bechers?
Versteht ihr nicht, dass der, der das Innere gemacht hat,
auch der ist, der das Äußere gemacht hat?“

Edler Gewandung entsaget! Jedweder Prunk sei euch fern: die
golden durchglänzende Locke ermatte und Purpur entflieh’ eurer Wange!

Al la nobla vestajo rezignu! Ĉiu lukson malproksimu vin,
ora trabrila pompbuklo malbrila kaj purpuron fuĝu vian vangon!

Lasst euch genügen am inwend’gen Schmuck, der himmlischen Gabe,
wahre Anmut verleihend! So sei die empfangene Schönheit

Sufiĉu vin a la ornamaĵaro interna, la dia dono,
vera gracio pruntanta! Tia riceva beleco

rein in Gesinnung und stetig im Wandel eifernder Tugend.
Denn jenen Schatzes Kostbarkeit ist’s, welcher edlerer Schönheit geziemet,

estu puri en sinteno kaj konstanti en la ŝanĝiĝo de la fervoranta virto.
Ĉar tiu trezora juvelo ĝi estas, kiu pli nobla beleco konvenas,

klares Geisteslicht strahlt, sich in wahrhaft’gem Gnadenschein fromm und
untrüglich zeiget. Wohl dem, dem dies göttlich’ Kleinod zuteil ward!

lumas klara spirita lumo, se aperas en vera brilo de la graco pietata kaj
sentrompa. Feliĉa, ĉi tio dia juvelo donita!
→ zu Mnemosynes Geleit
Evangelium nach Thomas
 
 
25 
 Dezember 
 
2010


 

Thomas der Zwilling

Seine Jünger sprachen zu ihm:
“Das Königreich, an welchem Tage wird es kommen?”
“Nicht im Erwarten wird es kommen.
Sie werden nicht sagen: Siehe, hier! oder: siehe dort!
 
Vielmehr ist das Königreich des Vaters ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht.”
 
Einst gebarest, ewiger Tröster Du, in der Weltnacht
Dunkel den Himmelstern. Wundernder Aufschau dem Volk, den Gelehrten
Herold deiner Niederkunft. So verkündete damals
am Firmament ein Gestirn dein irdisch Erscheinen, des Geistes
Fleischwerdung, und erfüllte der Alten still flammende Hoffnung,
die aus Jesajas prophetischem Wort seit jeher sich nährte.

So erhob sich im Kreis seiner Jünger der Menschensohn und sprach:
„Wahrlich, ich sage euch, kein weit’res Mal stellt das Königreich Gottes
sich einem menschlichen Aug‘ durch Himmelsgebaren euch dar und
nimmer gewahrt eines Deuters forschender Blick die erneute
Stätte göttlicher Wiederkunft. Gebt drum Obacht vor der Weisen
Lehre und schmäht ihrer Weissagung Kunst. Denn das Reich aller Himmel
thront nicht in Wolkenpalästen, umsonst irret suchend der Blick im
Sternengewirr des unendlichen Raums. Denn Gottes Regentschaft
ist nunmehr ausgebreitet über der Erde Grund Weite,
ist bereits ausgegossen in der Völker Schar Herzen.
Jedem wohnet das Göttliche inne, ist irdische Heimstatt
heiligen Geists, des ewigen Baumeisters Tempelstadt, gotter-
wähltes Heiligtum, Stätte des täglichen Opfers im Werk, der
Hingabe und Offenbarung göttlichen Wirkens zugleich.”

→ zu Mnemosynes Geleit
Evangelium nach Thomas
 
 
19 
 Juni 
 
2010


 

Thomas der Zwilling

Jesus sprach:
“Selig der Mensch, der gelitten hat, er hat das Leben gefunden.”
 
Aller Wonne zuteil dem göttlichen Dulder, der
ird’scher Bedrängnis standhielt, durchwallte der klaffenden Täler
Dämmergefilde, den steinebestreuten. Denn fester der Schritt, von
himmlischer Kraft nun geschnüret, wird der Gerechte durch Leides
Prüfung sich mattiger Anhöhe nahn und jubelbekränzt dann
eingehn zu glücklicher’m Lose nie empfundener Freude.
→ zu Mnemosynes Geleit
Evangelium nach Thomas