Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

4 
 August 
 
2011

abgelegt in
Briefe | sonstige Prosa

 

Liebe Brüder im Geiste,

wie einstens Schiller dem Buchhändler Schwan aus Mannheim die Bögen seines Räuberdramas zu überreichen gedachte, so auch ich am gestrigen Tage.
Das Manuskript eines jüngst mir entstammten Stückes weist sicherlich noch passagenweise Mängel auf und ich täte gut daran, ihm einen wohlfeileren Ausdruck noch angedeihen zu lassen.
Ich werde diesem Bestreben in Bälde nachkommen.

So begab ich mich munt’ren Schrittes zum Orte der angedachten Begegnung mit Schwan, der Eingangshalle des Schiller-Nationalmuseums.
Doch wehe dem Erdgeborenen, Einlass begehrend, der sich nicht vom Schlamme Prometheus’ zu höherem Töpferwerke empor geadelt hat! Ihm wehren auch heute noch des Standes Schranken und eines Kerberos’ gleich gebärdet sich mancher Wachmann, die Pforte verrammelnd.
Schändlicher, dreimal schändlicher Weltgeist.

Galt diese hochheilige Stätte ernsten Gedenkens nicht der Idee eines allumspannenden Menschheitsbundes, dem edleren Freigeist, der sich über jegliches Standesdünkel mit Engelsschwingen hinweg zu heben vermag?
Segnet man so Schillers Andenken und zollt seiner Idee Bewunderung, indem man kärglich den Tatendrang erschlaffen lässt?

Wie dem auch sei…
Durch diesen misslichen Umstand wurde ich Schwan leider nicht gesichtig und übergebe Euch anbei mein Manuskript mit der Bitte um Weiterreichung an ihn.

Mit freundlichem Federschwunge

 

P.S.

Desweiteren erhoffe ich, den mir in jüngsten Kindertagen liebgewonnenen Kastanienbaum auf der namentlich benannten Schillerhöhe einzuzäunen, um ihn vor urinierenden Hunden zu bewahren, jenen Baum, unter dessen Blätterdach Schiller -göttlicher Gnaden zuteil- der Musen Geschenk empfing.
Denn dieser heil’ge Bezirk erscheint mir noch ehrwürdiger als das ihm eigens errichtete Pantheon (“Nationalmuseum”), ein marodes Menschengebäu.

 
 
4 
 August 
 


 

Prosa frommt nicht unbedingt dem menschlichen Geist, seinem sprachlichen Ausdruck, dem “Flügel ziemen” (Cyrano).

Der goldene Mittelweg zwischen dem duftigen Wald-und-Wiesenpfad der Prosa und dem harten Steinpflaster des metrischen Pilgerwegs ist und bleibt für mich immer noch die leichtfüßige Hexameterdichtung, die sich im Deutschen fast schon von selbst dichtet (unter Einstreuung von 3-silbigen Wörtern, des Partizip Präsens und Perfekts, Inversionen, …).
Und wir wollen in diesem Punkt den zahlreichen Übersetzern von Homers Dichtungen durchaus Glauben schenken.

Hexameterdichtung lässt in der Wortwahl viel Freiheiten, geißelt nicht mit Reimvorgaben und ist andererseits ein Garant(!) für den Sprachfluss.

Daktylen müssen dem europäischen Ohr wohlklingen, wie der Dreivierteltakt des Walzers.
Und wie der Goldene Schnitt die richtigen Proportionen sicherstellt, so verteilt auch der Hexameter audiophil die Silbenmasse.

 
 
26 
 Juli 
 
2011


 

“Die Wissenschaft von heute ist der momentan geltende Irrtum”, meinte einst ein Weiser.

Dem nie versiegenden Quell der Weisheit und Wissenschaft, den schier endlosen Debatten strukturell reiner Argumentationslinie, ziehe ich daher immer noch den Tautropfen Apolls vor, der mir ins schmachtende Ohr perlt und ich niederschreiben darf, was göttlicher Mund offenbarte.

Es geht mir nicht um “Ge-wissheit”, es geht mir um “Ge-wissen” meinem ästhetischen Empfinden gegenüber, es geht mir um das “göttliche Recht der Seele (Hölderlin)”.
(Realitätsenthobene) Dichtung bleibt immer noch ein der Ewigkeit verpflichteter Gottesdienst, wissenschaftliche Thesen indes jäh flammendes Loderwerk, das sich niederbrennt und die wahren Urbedürfnisse des Menschen in Asche legt.