Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

9 
 April 
 
2012


 

Vom Mythos der glücklichen Hühner

Wahrheit erzeigt sich im Lauf der Gestirne, dass die Sonne im Osten aufgeht und im Westen untergeht.

Dichtung ist, dass im antiken Griechenland der Sonnengott Helios mit seinem von vier Flammenpferden gezogenen Sonnenwagen den Himmel entlang zog.
Gerade die Klassiker Goethe und Schiller adelten die Heldensagen des Altertums zum ästhetischen Schauplatz ihrer Betrachtungen.
Zur “neueren” Dichtung hingegen zählen auch die glorifizierten Verklärungen des Glückliche-Hühner-Mythos, deren Akteure allerdings nur tragischen Figuren ohne anhaftendem Heldentum sind.

Und so sehr mich auch die griechischen Sagen faszinieren und mich in ihren Bannkreis ziehen, so bedächtig sie mich träumend in dieser Mythenwelt versinken lassen, so realistisch bin ich wiederum aber auch, um ernüchternd zu erkennen, dass viel Überliefertes oft nur Schein, oft nur Erdichtetes ist und auf dem Prüfstand der faktischen Wirklichkeit nicht haltbar ist.

Gehören wir zu den Träumenden oder zu den Realisten?
Sind wir Traumwandelnde oder Erkennende?

 
 
9 
 April 
 


 

Wer behält Recht?

1.) Der allgemeine Volksmund, der subjektiv geleitet und mit saloppem Sprachgebrauch meist plumpe, nicht begrifflich-scharf abgegrenzte “suboptimale” Aussagen trifft, wenn nicht sogar fälschliche (“Die Erde ist eine Scheibe!”)?

2.) Oder die Wissenschaft, die sich an messbare, objektive Fakten hält (“Die Erde ist ein Globus!”)?

 

Ein Beispiel: Obst und Gemüse

Volksmund
In der Küche unterscheidet man zwischen Obst und Gemüse wahrscheinlich nach Zuckergehalt und ob man das betreffende Nahrungsmittel z.B. kochen muss oder ob es roh verzehrt werden kann.

Wissenschaft
Eine präzise Unterscheidung von Obst und Gemüse ist in der Biologie (genauer: in der Botanik) nicht (eindeutig) festgelegt, d.h. mehr oder weniger gibt es sie nicht.
Eher hat die Küche diese Bezeichnungen erfunden, denn in der Botanik gibt es nur Früchte (Kirschen, Zucchini usw.), Knollen (Kartoffeln), Zwiebeln (Zwiebeln :-)) und Blätter (Spinat).

Stückweit ist die Einteilung daher eine Einteilung des Gartenbaus und des Handels, also konstruiert und dient mit der Klassifizierung lediglich einer strukturierteren (und damit erleichterten) Wahrnehmung.
In der Wissenschaft selbst gibt es keine spezifische Unterscheidung, dort wird gemObst (Kofferwort aus Gemüse und Obst).

 

Ein weiteres Beispiel: Mensch und Tier

Volksmund
Angeblich sei der Mensch das edlere, empfindsamere Wesen gegenüber dem Tier und damit “besser(gestellt)”, woraus eine hierarchische Ordnung abgeleitet wird.
Die Diskriminierung (von lat.: discriminare = trennen, unterscheiden) der Tiere ermöglicht zunächst eine künstliche Trennung/Abspaltung von den (Säuge-)Tieren.
Der damit geschaffene Abstand zum Andersartigen kann man sich dann zu Nutzen machen, zur “Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse töten” (Mahatma Ghandi).
Die Ausblendung von tierischer Leidensfähigkeit begünstigt eine “ertragbare kognitiven Verarbeitung” fehlerhaften Verhaltens.

Wissenschaft
Der Mensch (Homo sapiens) ist innerhalb der biologischen Taxonomie ein Säugetier aus der Ordnung der Primaten (Primates). Er gehört zur Unterordnung der Trockennasenaffen (Haplorhini) und dort zur Familie der Menschenaffen (Hominidae).
Eine Unterscheidung (“Diskriminierung”) zwischen dem Tier und dem Menschen gibt es in der Zoologie daher nicht und berechtigt einem ethisch handelnden Wesen wie den Menschen daher auch nicht eine Unterscheidung zum eigenen Vorteil vorzunehmen.

 

 
Eine Unterscheidung zwischen Mensch und Tier ist daher nur ein selbstdienliches Konstrukt und “Volksmund-Gesappere”.
Angemerkt sei noch, dass “Unterscheidungen” im Grunde ein wesentliches Strukturierungsprinzip unseres Gehirn darstellen und in einer als chaotisch empfundenen (Um-)Welt “lebensnotwendig” sind.
Allerdings sollte eine Unterscheidung nicht zur Benachteiligung anderer führen.

 
 
9 
 April 
 


 

Inwieweit der Grundsatz ethischen Handelns gerade um die friedliche Weihnachtszeit einen hochheiligen Anklang findet, lässt sich wohl aus den Verkaufszahlen der Fleischindustrie ablesen.

Irgendwie gebärdet sich die Spezies Mensch schizophren:
Einerseits ein höchst ästhetisch veranlagtes Wesen, das am Heilig Abend mit bedächtigem Sinn und fühlendem Herzen in architektonische Kunstbauten eines Gotteshauses strömt, um derorts mit feuchtem Auge und geradezu ekstatischer Entzückung im Liebschall erhobener Stimme den Schöpfer aller Dinge lobt und anschließend sich beim Weihnachtsessen barbarisch über dessen leidensfähigen Geschöpfe hermacht, obwohl der Mensch doch “den Garten [Eden] bewahren solle, mit weisem Regieren und Achtung seiner Geschöpfe”.

Bekanntlich kommt ja zuerst das Fressen und dann die Moral (Bertolt Brecht), wobei letztere wiederum vom leuchtenden Tannenbaum überstrahlt wird und die darunter angesammelten Geschenke es dem menschlichen Geist leicht machen, aufkommende Bedenken an der nicht bibelkonformen Esskultur zu zerstreuen.
Konkret denke man auch an die süßen Entchen in einem Bach, die man desöfteren schon mit Brot(-Resten) gefüttert hat und so seiner Tierliebe selbstschmeichelnd gehuldigt hat, andererseits aber um die friedensverheißende Weihnachtszeit diesen in knuspriger Form rein kullinarisch begegnen möchte: „Lasset unsre Häupter senken und an unsren Schöpfer denken. Wie reich hat uns doch unser himmlischer Vater beschenkt. Halleluja. AMEN“.

Man sieht, der Mensch ist äußerst ambivalent und jeder backt sich eben seine eigenen Weihnachtsplätzchen so, wie er sie haben will und mundgerecht bekömmlich sind.

Letztlich ist alles nur eine Frage der Auslegung, ein diffuses Aufschimmern lassen selbstdienlicher Moral … eine Sache der konstruierten Legitimation.