Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

30 
 Juni 
 
1999


 

Ein einaktiger Monolog in Anlehnung an den „Regenbogenfisch“
von Marcus Pfister erschienen im Nord-Süd-Verlag


 

Vorrede

In Poseidons Friedensreich
herrscht des Paradieses selige Eintracht,
ein jeder teilet herzlich Freud’ und trägt des andern Leid.
Nur ein bunt schimmernder Fisch,
dem alle Schönheit eigen,
trübt der Freude Wonnemeer mit allzu geiziger Natur.
Prunkvoll schwimmet er mit stolz geschwellter Brust
und eitlem Flossenschlag daher.
Von anderen Fischen umscharend beneidet,
erbeten sich diese eine bunte Schuppe von ihm,
dass ihnen gleichfalls Farbenzauber eigen.
Doch jener wehrt von Eitelkeit beseelt
der schlichten Bitte.
Die Masse schmäht dem bunten Sonderling,
entsagt der Freundschaft festgeknüpftes Band
und schlägt sich in des Meeres Tiefe.

Einsam fristet nun der bunte Fisch sein Dasein.
Doch zu Hilfe eilt dem Schönling
nun der weisen Krake Rat,
dass nur im Beugen seines starren Sinnes,
nur im Verschenken seiner bunten Schuppen
die Gunst der Meeresfische ihm sich gleichfalls neiget.
Der bunte Fisch befolgt den Rat.
Und siehe,
der Fische sonder Zahl, sie kehret wieder,
und lohnt den Edelsinn mit Freundschaft.

 

 
Poseidon erscheint mit Dreizack auf einer Koralle sitzend
bei leichter Meeresströmung, wortverkündend.

Poseidon
Fernab von den menschbelebten Küsten
darf ich hier regierend stolz mich brüsten
im still umhüllten Korallenschlund
wo ohne Scheu mit kindlichen Gelüsten
sich spielend neckt
alles Getier gar kunterbunt
im Algen bedeckten Dämmergrund
und süß erstreckt
sich meines Reiches’ süßen Frieden
kein gramend Ding vermag mich zu entrüsten,
denn Frohsinn nur ist mir beschieden.
Doch dieser Wonneglanz der frommen Tracht,
die Heimstatt ungetrübter Liebesmacht,
erlischt an eines bunten Fisches eitlem Sinn,
der Freudenzauber, ewig mein, er rafft dahin
durch dessen Prahlsucht, überschwenglich,
für fremdes Sehnen unempfänglich
ergötzt er sich an seiner Schuppen Schimmern,
das Wehn der anderen lässt ihn nicht kümmern.

Er dünkt
sich Götterglanze anzumaßen
mit mir in eines Horn zu blasen
und schwingt
bemächtigt durch des Hochmuts Windes’ Böen
sich stolzbeflügelt auf Olympus’ Höhen.
Mit eit’lem Sinn die äuß’re Zier gepaart:
Das nenn’ ich Hochmut hoffärtigster Art!
Denn seht:
Schon naht sich ihm in Windesschnelle
mit schlichtem Kleid ein Weggeselle,
er fleht
um eine bescheid’ne Schönheitsgabe
aus seines Gewandes prunker Habe
ihm eine einz’ge Schuppe zu entbehren.

Umsonst! Denn jedwed’ flehendes Begehren
im Gleichmaß Schönheit and’ren zu bescheren
zerschmettert
trotzend am wehrend’ Herzenswall
ohne erhofften Widerhall.
Umwettert
von geifernd schäumen Drohgebärden
schlägt es den scheuen Weggefährten
in fernere Gefilde
und wilde
nun, räumen auch die and’ren Fische,
die Freud’ vergällt,
das bisher belebte Tummelfeld.

Entwichen ist
die jubelnde Menge
klatschender Neider,
verblichen ist
das schuppend’ Gehänge
schillernder Kleider.
Was nutzt ihm denn die blend’ Pracht
ohne den Beifall?
Sie verschmacht’t!
Kein Meereswohner schenkt
ihm säumend
nunmehr ersehntes Weggeleit
kein schwelgend Blick verfängt
sich träumend
in sein erles’nes Prinzenkleid.

So wagt
er sich zum weisen Tintenfische, freudzerschlagen,
ihm unter laut’rem Tränenflusse anzutragen
was ihm in bleibeschwerter Seele wühlt,
ihn zernagt
das pochend fühlend Herz gar eisend kühlt.
„Der Leidensdorn wird gänzlich dir erst ausgespült…”
so lässt die Krake -lange grübelnd- es verlauten:
„…entled’ge dich von deiner schleppend’ Bürde,
der Ausstaffierung königlicher Zierde.
Dann weicht, fürwahr, dem totenstillen Meeresflauten
die brandende Freud mit schäumem Wellenschlag,
zerschmettert am scharfen Riff dein Wehgeklag’
in abertausend Trümmerscherben.
Sei bescheiden
nur im Entkleiden
nur im Ersterben
stolzer Hülle
erringst du Freunde
sonder Fülle.
Dann entblößet sich
was tief im Seelengrunde
schlummernd dir begraben,
dann liebköset dich
des nah’nden Freundes’ Munde
süß wie Honigwaben.”

So bedenkt
der bunte Fisch der Krake weiser Worte
und verschenkt
sein buntes Farbenkleid umringter Horde,
entriegelt so der fremden Herzen Pforte,
schwenkt selbsterverschuldes Schicksal
zur freudesprudelnder Labsal
und tummelt sich im Bunde mannigfalt’ger Spielgefährten
mit angehob’nem Lobgesang und fröhlichen Gebärden.

Bedenkt nun, Menschenkinder, haltet inne,
dass nur ein Herz durchtränkt mit Edelsinne
gleichfalls mein Herz auch euch erblühen lässt.
Wer sich des Armen nun erbarmt
wer Stütze spendet, dem der lahmt,
dem brech’ auch ich mein Brot beim Freudenfest
beim Einzug in meines Reiches Pforten.
Doch jener, der klug sich dünkt, zu horten
ird’schen Mammon und mit eitlem Sinn verblendet
sich vom Klagelied des anderen abwendet
nicht die reichend’ Hand ihm zeigt,
jenem neigt
sich auch nicht meiner Hände tröstender Wangenstreich
in umnachteter Todesstund’
dem entsag’ ich den Freundschaftsbund,
geopfert dem Orkus und sternenbleich
fährt er dann hinab ins Totenreich.

Oh, dämmert’s Euch nun, beginnt Ihr zu verstehn’n?
Des Menschengeschlecht gleicht ranken Orchideen
ja, wie diese duftbetörten Nelken
die da keimen, sprießen und verwelken…
Wo bloße Augenfreud’ die Blicke lässt entgleisen,
wird fernen Tags der flücht’ge Liebreiz auch vergreisen.
Doch wahre Schönheit offenbaret
sich schmucklos nur im fühlend Herzen.
Sie strahlet
stets hell wie stille Loderkerzen
und bewahret
des Menschen edle Züge,
läuternd alles auszumerzen
Raffgier, Neid und Niedertracht:
der Falschheit wahrer Wiege.
Weder durch eitle Flossenpracht
noch durch ein stolzpompös erhab’nes Glanzkostüm
schwillt das zarte Götterherz mir ungestüm,
noch durch der Schönred’ ausgeschmückter Schwafelei
vollmund’gen Wortschwalls aufgetischter Tafelei
noch Redesang in höchster Himmelschören
von alledem lass ich mich nicht betören.
Wohl könnet ihr mit Worten zärtlich küssen
doch lasset ihr die Taten kärglich missen
und wenn ein lobend Worte prompt verklang
erschlafft auch kläglich schon der Tatendrang.
Dort entspringet nicht der Liebe wahrer Quell
prahlend mit gar leerem Wortgehüls zu prunken.
Lasst die Taten reden, gebend stets zur Stell’,
das allein schlägt sprühende Feuerfunken.
Lässt mir die Brust dann freuderglühn
und euer Herzensbeet erblühn,
wenn euer sehnlichstes Bemühn
sich um das Leid des and’ren sorgt
und stets das lauschend’ Ohr ihm borgt.

 
 
28 
 Oktober 
 
1998

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Schauer
ummantelt mit düsterem Schein
meines Herzen’s duftenden Sonnengarten,
verwandelt die Pflänzchen in Stein,
die einst sprießlich zarten.

Rauher
Wind umspinnt ihn flatternd
mit totgebärender Kält’
und sinnt ergatternd
das Zepter dieses Leichenfeld’.

Die treuen Musengeister flohen,
die totgeglaubten Sorgengeister drohen,
das schmerzend’ Herz mir zu zerfleischen,

der stumme Schrei der Seel’ verhallt
mit matter Kehl’ und faustgeballt,
wehr’ ich dem innwendigen Höllenkreischen.

Denn dein wärmespendender Sonnenblick
deines Antlitzes blumiges Geschmück
bescheret mir, fürwahr, das höchste Erdenglück.

Doch ich erstarr’ im nachtumhangenen Totengrau
und deiner blühender Lippen süßer Morgentau
kos’ ich mit dürrem Mundessaum
und frevle dadurch diesem dargereichten Blütentraum.

 
 
30 
 Juni 
 
1998


 

Irdisches Verblühn
 
Ein Hörspiel
in Anlehnung von Werthers Tagebuchnotiz
vom 30. Juli 1771
 


Erzähler

Albert, Gesellschaftssekretär aus wohlhabendem Hause, reiste an, das Liebespfand von Lotte, einer Adligen, zu lösen.

Werther, pflichtvergess’ner Träumer bürgerlichen Stands, ersonn indes sich gleichfalls Gunst im holden Liebeswerben. Doch brotlos blieb die Kunst.
Lotte leistete Albert den Treueschwur.

Der Sorgengeister bleierne Kuss lag schmachtend auf der Seele zartem Geblüte und schlug den Musensohn in Banden.

 

Fürwahr, sein dumpfer Augenschein war lichter schon entflammt und loderte einst den ungetrübten Wonneglanz muntrer Erdentage.

Damals mit Lotte auf dem leichten Pfad des Einander-Verstehens, als sie durch die rankbewachsenen Wälder der heimischen Fluren lustwandelten und mit frohem Schritte aller Banden gelöset sich dem ewigen Herzensfrieden anbefahlen, frei vom Regelzwange einer gefühlserkalteten, mechanisch gefügigen Welt.
Nicht selten entfloh ihr Zartgeist dem wirren Lärmen jener Welt, die in ihrer heillosen Geschäftigkeit mit eifernder Glut nach materieller Glückseligkeit gierte, mit ihrer gutbürgerlichen Tüchtigkeit die berstenden Kammern häufender Habe zu füllen gedachte, um im erquicklichen Bade des Geldstromes das sorgende Jammern der Seele zu ersäufen, anstatt ihr erhabenes Sehnen nach wahrem Erdenglück gebührend zu stillen.
Ach, wie treu wogen sie indes die stillen Momente im Heiligtum der empfangenden Natur, die sie in ihren blumen Purpurmantel bergend hüllte und beide im trauten Flüstertone Liebesworte fromm einander beichten durften.
Doch alles schwindet, alles auf dem Erdenkreise schwindet und mündet kläglich ins weite Meer der Vergänglichkeit.
Werther, des Friedens beraubt drang entschwelgter Brust auf die entlegnen Fluren der einst so stillen Zweisamkeit.

Chor

Dumpf steigt aus kühler Herzensgruft
der bersten Glocke Leidgesang,
der lüftewogend durch die kalte Geistesnacht
gespenstisch raunt
und Tränenzoll erheischt.

Gewiß, Tränenzoll,
als Preisgeld heitrer Erdenstunden.

Oh, Hades,
Du schmuckerpichter Schattenfürst,
dem’s selbst an prächtigem Gewand ermangelt,
wie lang, wie lang gedenkst Du noch,
daß mit der Seele heiligen Perlenflut
er Dir die unbeschwerten Erdentage löhne,
mit salzger Perlenzier
die Halseskette mühesam Dir fädle,
daß sie mit prunkem Tränenschimmer
Dich lieblicher erstrahlen möge.

Zier’ mit dieser Ruhmeskette
doch Deiner Gattin marmorweißen Hals,
daß ehrend sie zum holden Dank
mit ihrem duftgen Wiesenzauber
den welken Garten Deiner fernen Jugend
wieder grünen läßt
und sende ihm indes
Zephyris milden Wonnehauch.

Laß Deine grauen Wolkenschleier fallen,
ihn Helios goldnes Antlitz schaun,
den frostigen Gedankenschauer,
der ihm in bangem Busen wintert
in seinem Gnadenlichte schmelzen,
beströmend seiner lichten Segensgabe
die eisen Herzensquellen tauend brechen.

[Vogelgesang des Waldes, Fußschritte des dahergehenden Werther]

 
Werther

Ach, Lottchen,
der Schönheit liebstes Kinde und reich beschenkt an Geistesgaben,
verbann’ mich nicht von Deinem Sternenzelt, das lieblich prangt im lauen Abendschein
berauschter Sommernächte…

Wes hehren Geistes Firmament sollt’ sonst ich denn bestirnen im ewigkreisenden All?
Spende mir nur einen matten Schimmer in jenem Ätherreich,
aber lass mich leuchten, lass mich leuchten, als unscheinbarer, blasser Sternentrost
nicht buhlend mit Albert, dem lichtbekränzten Siegesheld an Deinem Himmelsgewölb’.
Abendtau linde entatmend umwolkt selbst Selene ihn glorreich mit dunstigem Vlies.

Oh, welch’ selige Heimstatt eines Erdgeplagten.
Nur dort in Deinen goldnen Bahnen prangt des Paradieses verbliebene Schöne.

Denn hier im Erdental sind sie versiegt,
die muntren Quellen irdischer Wonnen
und stiller denn je
streifen die trauten Winde
durch des Haines einsamer Gründe.

So entfliehet doch ihr irdischen Gefilde,
ferner betöret mich euer duft’ger Wiesenzauber,
jenseits heiler Kunst!

Mehr verlanget mich
nach eines fühlenden Herzen’s Märchenhaine,
wo des Jünglings totgeschwiegener Geist frei wandeln darf,
wo lausches Ohr ihm zugeneigt
und bäldigste Genesung wird zuteil
durch heiliger Lippen balsamischer Rede.

Nur dort frohlockt,
erbebt die matte Brust in seligem Jubilier’n,
wiegt sich beflügelter Gedanken zwitschernder Reigen
in höchsten Tannenwipfeln,
und des spendenden Trostes treues Geleit
stützt der Bürde schweren Gang,
auf dem rauhen Steg der wirren Zeit.

Heil den Trösterworten, die mit wahrem Frühlingstau
die strömenden Wunden lindernd mir benetzen,
die befiedert als zwitschernd und fächelnde Schar
mich mit süßem Singspiel sonnen
und zarter Worthauch mich zugleich bekühlet.

Ewigwährendes Heil dem reinen Gedankenweben,
dessen Rede Blumenkranz mit duftender Entsendung
vermag das fahle Haupt mir schmückend zu bekränzen,
adelnd mit Lorbeer-Reden
die Schläfe liebgeflochten zu umwinden…

Doch er welkt dahin, Lottes mattgeword’ner Rosenblick,
flaut kehrt sich die ambrosische Brise Ihrer Seele Zauberhauch.
Das Lampenöl ist aufgezehrt…

Gewiß, auch Dich, Amor,
Du mildbeflammter Seelenwächter,
entwaffnet rege Frevelhand der rauhen Zeit,
entreißt den sich’ren Schaft
der ölgetränkten Fackel Dir
und tauchet sie in Lethes Leidensstrom
mit kraller Bärenpranke nieder.

Der milde Sommer im Busen verstreicht
und weicht
dem fahlen Welken muntrer Tage.

Drum, Seel’, verschmäh’ auch Du den nicht’gen Tand,
der Wiesen schmuckes Blumenband.

 
Erzähler

Es hemmte den Schritt des Kummers schwere Last
und Werther ersonn auf kühlem Steine
unweit des Weges sich erquickende Rast.

Der sonst so gestählte Blick zerbrach
und schmolz bestürmt zur Tränensaat.
Trän’ um Trän’ ergoß mit heißem Quellen sich
die perlenreiche Flut,
furchte salz’ge Wangenbäche
und raubte brausen Stromes gramentschäumt
den klaren Augenglanz.
Der Herzenspfahl grub tiefer sich
und riss der Wunde ein blutendes Rinnsal,
träufelnd und zum Leben salbend aus heiligem Gral
den steinernen Gesellen.

Der Stein vernahm
des Jünglings brennenden Harm
erfühlend die klaffende Wunde

Regend erfragte
der sonst wortbekargte
nunmehr gerührte Felsenstein
des Leids offenbarende Kunde,
das Laster der wütenden Pein,
was ihm im schweren Busen wühlt.

Werther erlauschte
des fühlenden Steines Widerhall
und erhob die Klage
mit der Seele mattem Flügelschlage

 
Werther

Was soll der Götter laun’sches Narrenspiel,
das unentwegt mit heißem Lustgefühl
begehrt, dem siechend’ Erdensohn zu drängen :
Kühlet sich die Zeusesbrust, die ruhmerglühte,
mit Tränenflut menschlicher Trauergesängen ?
Füllt damit Poseidon die Weltenmeere,
trübsalserpicht,
Menschenzähre um Menschenzähre ?

Raubt Helios’ Lächeln sich die Siegesstrahlen
vom erlosch’nen Augenlicht
gefall’ner Helden, um fremdbeprunkt zu prahlen ?

Dünkt Flora, das prachtentfächerte Rosengewand
im Pril verflossenem Streiterblut zu färben ?

 
Stein

Des Frevel’s Maß ist nunmehr voll,
Ihr reizt der Götter Donnergroll!
Schweigt hinfort, so schweigt,
der Lästergeist soll nimmerkehrend Euch entfahren
und neigt
den himmlischen Scharen
das Spötterhaupt mit reuem Herzen.

 
Werther

Oh soll doch am abendhimmelnden Aulis’ Strand
Helios blutend’ Wächterauge
sich in die schwarzen Massen tauchend senken
und Morpheus dunkler Schleier – sonnenlichtringend –
mit finst’rem Blick allmählich nachten …

Dem Leidgeplagten auf verwaistem Erdenpfad
schauert nicht der eise Würgegriff,
schreckt nicht des Todes glatter Degenstich
lüstern in die schmerzend Brust gerammt,
tilgt nichts, was eh’ schon ist verflammt.

[Pause]
[zum Stein sich herablassend]

Stein,
ergründest Du der Seele reißenden Strudelstrom,
erfühlest Du der Menschen schmerzliches Regen, …

… wenn Hades Schattenklauen in Bälde mich erhaschen
weil Lottes froher Märe Widerhall verstreicht und ewig harret,

… wenn kampfbeflügelt im Philisterlande,
meines Herzen’s Trachten freiflatterndes Banner
im Spottgehagel doch zum Erdenstaube sinken muß,

… wenn Pegasus glühender Wirbelhuf
mein leuchtend Sternendastein bersten wird,
und scharrend auf Erlöschung sinnt

… und des Zeuses Götterarm dann zornbeweget,
mich zu feinem Sternenstaub zermahlt,
weil ich mit mattem Schein die Erdenwohner nicht beglücke
und drum dem Sternenzelt entweichen muß.

 
Stein

Zeus erzürnt
und verderblich Euch gesinnt,
der selbst Amores’ Fackelstab
göttersendend Euch entlieh,
mit lieblich flammenden Geisteslicht
der Menschen Herzensgrüfte zu erleuchten ?

Worttand,
der Götter menschenfreundlich Trachten
erwärmt sich mehr am lodernden Geist
denn an seiner verglimmenden Glut.

Und sollte in fernen Tagen
der Toteninsel Fackelruf einst doch Euch flammen,
so schaudert nicht
und hebet Euch getrost in Charons Kahn.

Denn sehet,
wie rings umher auf lichtgeschwellter Heide
der reichen Apfelbäume Blütenzauber
sich an Helios Liebesstreich erlaben,
daß jedes weilend Auge schwelgt,
sich unersättlich daran weidet.

Auch dieses Schmuckgewande welkt,
entweicht und MUSS entweichen
dem höher’n Glück,
das waltende Zepter dazureichen
der eigentlichen Segensfrucht.

So wie des Samens Hülle nicht erstirbt,
vermag auch nicht der Sproß
aus ew’gem Schattenreich sich stolz erheben.

Denn jenes wirkt den Lauf der frommen Natur:
Es erringt der Venus Gunst,
wenn flüchtiger Dunst der nieder’n Kunst
entflieht und Schönes Schöneres gebiert.

 
Chor

Traure drum nicht dem erblühten Gedanken der seligen Hoffnung
Bitteren Tränenzoll nach, wenn die mächtige Hand
Nachtenden Scheins dein Gedankenreich deckt mit Vergessen,
Jenen sonnigen Hain hüllet ins Schattengewand,
Dem der zärtliche Lichtstreich der Freiheit Prachtwuchs bescherte.

Nun denn der Lichtflut entraubt, rückt das Gefild der Ideen
Tauchend ins Schattenreich ab. Es entschwelgt das selige Schauen.

Sei getrost und erfreu himmlischer Gabe Dich doch,
Daß der Muse Sommerwind streichend den Forst mild durchglänzte,
Deinen geheiligten Grund blumen Geistes Bezirk.

Geistesblüten, sie welken nicht. Morpheus, die nächtliche Gottheit,
Bangt um den lieblichen Reiz. Treu im Liebesarm wiegt
Sicher den Liebling er, deckt mit ambrosischem Schlafe die Blüte,
Mattet das Farbengewand und, mit sachtem Geschick,
Senkt er den Kelch des Geblüms zum Schoße der schwärzenden Erde,
Senkt in den ruhenden Schoß sinnenden Herzensgrund ihn.

Heilige Erde, Du Heimstatt der scheuen Gedanken, beherberg’
Frei die verwaiste Geburt geistigen Adels. Gewähr’
Fürstlich ein Obdach dem nächtlichen Gaste in Deinem Schoße.
Gönn’ dem untadligen Schlaf kühlende Ruhstatt gelind.

Reich der liebkosenden Schatten, oh weile als wachender Hüter,
Bis im dämmernden Tal purpur Aurora entflammt,
Wo mit loderndem Brand sie Helios Auge beschüret.

Schimmernd woget die Glut übers Gefild der Ideen.
Nebel verziehn im Blumenhain, Schatten, sie weichen entmachtet.

Siehe, da neigt das Geblüm schmiegend dem Lichtstreich sich zu.
Badet sich munter im warmen Lichtmeer erwachenden Tages.

Und Mnemosyne daselbst küßt es mit Morgentau wach.