Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

28 
 Juni 
 
2012

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DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Georg Lembeck



Durch so viel Form geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage
– ob Sinn, ob Sucht, ob Sage –
dein fernbestimmtes: Du mußt.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

 
 
28 
 Juni 
 


 

DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Axel Milberg



Auf deine Lider senk ich Schlummer,
auf deine Lippen send ich Kuss,
indessen ich die Nacht, den Kummer,
den Traum alleine tragen muss.

Um deine Züge leg ich Trauer,
um deine Züge leg ich Lust,
indes die Nacht, die Todesschauer
weben allein durch meine Brust.

Du, die zu schwach, um tief zu geben,
du, die nicht trüge, wie ich bin –
drum muss ich abends mich erheben
und sende Kuss und Schlummer hin.

 
 
28 
 Juni 
 


 

DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



Sieh die Sterne, die Faenge
Lichts und Himmel und Meer,
welche Hirtengesaenge,
daemmernde treiben sie her,
du auch die Stimmen gerufen
und deinen Kreis durchdacht,
folge die schweigenden Stufen
abwaerts dem Boten der Nacht.

Wenn du die Mythen und Worte
entleert hast, sollst du gehn,
eine neue Goetterkohorte
wirst du nicht mehr sehen,
nicht ihre Euphratthrone,
nicht ihre Schrift und Wand –
giesse, Myrmidone,
den dunklen Wein ins Land.

Wie dann die Stunden auch hiessen,
Qual und Traenen des Seins,
alles blueht im Verfliessen
dieses naechtigen Weins,
schweigend stroemt die Aeone,
kaum noch von Ufern ein Stueck –
gib nun dem Boten die Krone,
Traum und Goetter zurueck.