Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

17 
 April 
 
2017


 

DICHTUNG Friedrich Hölderlin
LESUNG Mathias Wieman


 

Da ich ein Knabe war,
rettet’ ein Gott mich oft
vom Geschrei und der Rute der Menschen,
da spielt’ ich sicher und gut
mit den Blumen des Hains,
und die Lüftchen des Himmels
spielten mit mir.

Und wie du das Herz
der Pflanzen erfreuest,
wenn sie entgegen dir
die zarten Arme strecken,
so hast du mein Herz erfreut,
Vater Helios! und, wie Endymion,
war ich dein Liebling,
heilige Luna.

O all ihr treuen,
freundlichen Götter!
Daß ihr wüßtet,
wie euch meine Seele geliebt!

Zwar damals rief ich noch nicht
euch mit Namen, auch ihr
nanntet mich nie, wie Menschen sich nennen,
als kennten sie sich.

Doch kannt’ ich euch besser,
als ich je die Menschen gekannt,
ich verstand die Stille des Äthers,
Der Menschen Worte verstand ich nie.

Mich erzog der Wohllaut
des säuselnden Hains,
und lieben lernt’ ich
unter den Blumen.
Im Arme der Götter wuchs ich groß.

 
 
1 
 Januar 
 
2017


 

Bearbeiteter Ausschnitt aus „Empodekles“

O Ende meiner Zeit!
O Geist, der uns erzog, der du geheim
Am hellen Tag und in der Wolke waltest,
Und du, o Licht! und du, du Mutter Erde!
Hier bin ich ruhig, denn es wartet mein
Die läͤngstbereitete, die neue Stunde,
Nun nicht im Bilde mehr, und nicht, wie sonst,
Bei Sterblichen, im kurzen Glück, — ich find’,
Im Tode find’ ich den Lebendigen,
Und heute noch begegn’ ich ihm; denn heute
Bereitet er, der Herr der Zeit, zur Feier,
Zum Zeichen ein Gewitter mir [1]eben erlauschte Silvester-Rakete und sich.
Kennst du die Stille rings? kennst du das Schweigen
Des schlummerlosen Gotts? erwart’ ihn hier!
Wenn jetzt zu einsam sich
Das Herz der Erde klagt und eingedenk
Der alten Einigkeit die dunkle Mutter
Zum Aether aus die Feuerarme breitet,
Und jetzt der Herrscher koͤmmt in seinem Strahl,
Dann folgen wir, zum Zeichen, dass wir ihm
Verwandte sind, hinab in heil’ge Flammen.

 

Textdichter Friedrich Hölderlin
Lesung Mathias Wieman

Fußnoten[+]

 
 
2 
 Dezember 
 
2016