Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

12 
 Mai 
 
2012


 

Aus “Dir zur Feier”

Ich geh Dir nach, wie aus der dumpfen Zelle
ein Halbgeheilter schreitet: in der Helle
mit hellen Händen winkt ihm der Jasmin.
Ein Atemholen hebt ihn von der Schwelle, –
er tastet vorwärts: Welle schlägt um Welle
der großbewegte Frühling über ihn.

Ich geh dir nach in tiefem Dirvertrauen.
Ich weiß deine Gestalt durch diese Auen
vor meinen ausgestreckten Händen gehn.
Ich geh dir nach, wie aus des Fiebers Grauen
erschreckte Kinder gehn zu lichten Frauen,
die sie besänftigen und Furcht verstehn.

Ich geh dir nach. Wohin dein Herz mich führe
frag ich nicht nach. Ich folge dir und spüre
wie alle Blumen deines Kleides Saum..

Ich geh dir nach auch durch die letzte Türe,
ich folge dir auch aus dem letzten Traum…

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
Bereitstellung RilkeForum

 
 
12 
 Mai 
 

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Aus dem “Buch der Bilder”

Und wieder rauscht mein tiefes Leben lauter,
als ob es jetzt in breitern Ufern ginge.
Immer verwandter werden mir die Dinge
und alle Bilder immer angeschauter.
Dem Namenlosen fühl ich mich vertrauter:
Mit meinen Sinnen, wie mit Vögeln, reiche
ich in die windigen Himmel aus der Eiche,
und in den abgebrochnen Tag der Teiche
sinkt, wie auf Fische stehend, mein Gefühl.

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
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12 
 Mai 
 

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Aus “Dir zur Feier”

Das Land ist licht und dunkel ist die Laube,
und du sprichst leise und ein Wunder naht.
Und jedes deiner Worte stellt mein Glaube
als Betbild auf an meinem stillen Pfad.

Ich liebe dich. Du liegst im Gartenstuhle,
und deine Hände ruhen weiß im Schooß.
Mein Leben ruht wie eine Silberspule
in ihrer Macht. Lös meinen Faden los.

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
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