16 Januar 2016 | |
DICHTUNG | Novalis | |
LESUNG | Will Quadflieg | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Bergmannslied
Der ist der Herr der Erde,
wer ihre Tiefe mißt
und jeglicher Beschwerde
in ihrem Schoß vergißt.
Wer ihrer Felsenglieder
geheimen Bau versteht
und unverdrossen nieder
zu ihrer Werkstatt geht.
Er ist mit ihr verbündet
und inniglich vertraut
und wird von ihr entzündet,
als wär’ sie seine Braut.
Er sieht ihr alle Tage
mit neuer Liebe zu
und scheut nicht Fleiß noch Plage;
sie läßt ihm keine Ruh’.
Die mächtigen Geschichten
der längstverfloss’nen Zeit
ist sie ihm zu berichten
mit Freundlichkeit bereit.
Der Vorwelt heil’ge Lüfte
umwehn sein Angesicht,
und in die Nacht der Klüfte
strahlt ihm ein ew’ges Licht.
Er trifft auf allen Wegen
ein wohlbekanntes Land,
und gern kommt sie entgegen
den Werken seiner Hand.
Ihm folgen die Gewässer
hilfreich den Berg hinauf,
und alle Felsenschlösser
tun ihre Schätze’ ihm auf.
Er führt des Goldes Ströme
in seines Königs Haus
und schmückt die Diademe
mit edlen Steinen aus.
Zwar reicht er treu dem König
den glückbegabten Arm,
doch frägt er nach ihm wenig
und bleibt mit Freuden arm.
Sie mögen sich erwürgen
am Fluß um Gut und Geld;
er bleibt auf den Gebirgen
der frohe Herr der Welt.