Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

26 
 Januar 
 
2018


 

DICHTUNG Reinhold Schneider
LESUNG Sandra Hüller



Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,

Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug‘ entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.

 
 
26 
 September 
 
2017


 

DICHTUNG Joseph von Eichendorff
LESUNG Ulrich Mühe
MUSIK Arête – Brambles


 

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab’ ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die über’m Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht. –

 
 
5 
 März 
 
2016

abgelegt in
Gibran, Khalil

 

Weisheit von Khalil Gibran aus: “Der Prophet”


DICHTUNG Khalil Gibran
LESUNG Otto Sander
REALISIERUNG Andreas Lucas
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK



Und er antwortete: Eure Freude ist euer Leid ohne Maske. Und derselbe Brunnen, aus dem euer Lachen aufsteigt, war oft von euren Tränen erfüllt. Und wie könnte es anders sein? Je tiefer sich das Leid in euer Sein eingräbt, desto mehr Freude könnt ihr fassen.
Ist nicht der Becher, der euren Wein enthält, dasselbe Gefäß, das im Ofen des Töpfers brannte? Und ist nicht die Laute, die euren Geist besänftigt, dasselbe Holz, das mit Messern ausgehöhlt wurde? Wenn ihr fröhlich seid, schaut tief in eure Herzen, und ihr werdet finden, dass nur das, was euch Leid bereitet hat, euch auch Freude gibt. Wenn ihr traurig seid, schaut wieder in eure Herzen, und ihr werdet sehen, dass die Wahrheit um das weint, was euch Vergnügen bereitet hat.
Einige von euch sagen: “Freude ist größer als Leid”, und andere sagen: “Nein, Leid ist größer.” Aber ich sage euch, sie sind untrennbar. Sie kommen zusammen, und wenn einer allein mit euch am Tisch sitzt, denkt daran, dass der andere auf eurem Bett schläft. Wahrhaftig, wie die Schalen einer Waage hängt ihr zwischen eurem Leid und eurer Freude. Und wenn ihr leer seid, steht ihr still und im Gleichgewicht. Wenn der Schatzhalter euch hochhebt, um sein Gold und sein Silber zu wiegen, muss entweder eure Freude oder euer Leid steigen oder fallen.

-leicht veränderte Fassung-