Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

6 
 November 
 
2019

abgelegt in
Gedankenschau

 

Charlotte von Stein


Eine wahrlich traurige Biographie:

Charlotte Albertine Ernestine von Stein-Kochberg wird 1742 in Eisenach als älteste Tochter des Weimarer Hofmarschalls von Schardt geboren. Nach einer streng protestantischen Erziehung im elterlichen Haus wird sie 1758 Hofdame bei der Herzogin Anna Amalia in Weimar.

1764 heiratet sie den herzoglichen Stallmeister Josias von Stein. In ersten zehn Ehejahren bringt sie sieben Kinder zur Welt: die vier Mädchen sterben, nur die drei Söhne überleben. Ihre Gesundheit ist geschwächt und sie leidet unter Depressionen.

1775 kommt es in Weimar zur ersten Begegnung mit dem sieben Jahre jüngeren Goethe. Der rege geistige Austausch führt zwischen beiden zu einer tiefempfundenen Zuneigung und Liebe, die über zehn Jahre andauert und die weitere Entwicklung Goethes entscheidend prägt. In Gedichten, in der «Iphigenie», im «Tasso» feiert er Charlotte als seine Erzieherin: «Vollende dein Werk und mache mich recht gut».

1786, als Goethe fluchtartig und ohne ihr Wissen nach Italien abreist, geht ihre Beziehung abrupt zu Ende. Wochenlang bleibt Goethe auch für sie verschollen und diesen Vertrauensbruch wird sie ihm nie verzeihen: «Ich habe keine glückliche Natur, bei mir vernarbt keine Wunde».

1787 stirbt ihr zweiter Sohn Ernst und ihre depressiven Stimmungen verstärken sich. In diesen Jahren befreundet sie sich mit Charlotte von Lengefeld, der späteren Frau Friedrich Schillers.

Als Goethe 1788 nach Weimar zurückkehrt, kommt es zum endgültigen Bruch, als Charlotte erfährt, daß Goethe mit der 18-jährigen, aus einfachen Verhältnissen stammenden Christiane Vulpius zusammenlebt. Ihre eigenen Briefe an ihn läßt sie sich zurückgeben und verbrennt sie.

1793 stirbt Charlottes Mann nach langer Krankheit.

In den Jahren 1794/95 schreibt sie das Trauerspiel «Dido», in dem sie auch ihre Beziehung zu Goethe verarbeitet. 1798 folgt die Komödie «Die Verschwörung gegen die Liebe». 1803 druckt Cotta ihr um 1800 entstandenes Drama «Die zwey Emilien».

Ihr in Amsterdam 1809 erschienenes Lustspiel «Die Probe» ist verschollen.

Zum Ende ihres Lebens verbessert sich die Beziehung zu Goethe wieder und sie treffen sich gelegentlich. Doch ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich mehr und mehr: sie ist fast blind, Stimme und Gehör versagen: «Meine Gesundheit ist sehr schlecht; ich hoffe, ich werde im Grabe den Verwesungsprozeß nicht so zu sehen bekommen wie jetzt den Sterbeprozeß, obgleich es für den Physiker interessant sein kann».

Sie stirbt 1827 in Weimar. Vorher hatte sie verfügt, daß der Trauerzug mit ihrem Sarg nicht an Goethes Haus vorbeigeführt werden sollte, wissend um seine Angst vor allem, was mit dem Tode zu tun hat. Doch die Behörden entsprachen nicht ihrem Wunsch.

«Ach, da ich irrte, hatt’ ich viel Gespielen, da ich dich kenne, bin ich fast allein.»
(Brief Goethes an Charlotte von Stein, 1775)

«O zerstörendes Geschlecht! Ohne euch wäre uns die Krieglust unbekannt. Warum gabst du, Natur, den Männern dieses Treiben, diese Thatensucht, um den ruhigen Gang nach einem bessern Ziel, wozu deine Ewigkeit dir genug Zeit lässet, widrig zu stören?» (Dido, 2. Aufzug, 4. Szene)

Quelle: Bibliothecea Augustana

 
 
31 
 Juli 
 
2011


 

An Charlotte v. Stein

Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun?
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehn,
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?

Ach, so viele tausend Menschen kennen,
Dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
Schweben zwecklos hin und her und rennen
Hoffnungslos in unversehnem Schmerz;
Jauchzen wieder, wenn der schnellen Freuden
Unerwartete Morgenröte tagt.
Nur uns armen liebevollen beiden
Ist das wechselseit’ge Glück versagt,
Uns zu lieben, ohn uns zu verstehen,
In dem andern sehn, was er nie war,
Immer frisch auf Traumglück auszugehen
Und zu schwanken auch in Traumgefahr.

Glücklich, den ein leerer Traum beschäftigt!
Glücklich, dem die Ahdnung eitel wär!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahndung leider uns noch mehr.
Sag, was will daß Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.

Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt;
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden irren Lauf,
Und in deinen Engelsarmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf;
Hieltest zauberleicht ihn angebunden
Und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
Da er dankbar dir zu Füßen lag,
Fühlt’ sein Herz an deinen Herzen schwellen,
Fühlte sich in deinem Auge gut,
Alle seine Sinnen sich erhellen
Und beruhigen sein brausend Blut!

Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, daß das Schicksal, das und quälet,
Uns doch nicht verändern mag!