Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

6 
 Mai 
 
2012

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Aus dem “Buch der Bilder”

Wer du auch seist: am Abend tritt hinaus
aus deiner Stube, drin du alles weißt;
als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:
wer du auch seist.
Mit deinen Augen, welche müde kaum
von der verbrauchten Schwelle sich befrein,
hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum
und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein.
Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß
und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift.
Und wie dein Wille ihren Sinn begreift,
lassen sie deine Augen zärtlich los.

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
Bereitstellung RilkeForum

 
 
8 
 Januar 
 
1995


 

[07./08.01.95]

Stille ragt das Burggemäuer
aus dem Tannenwald empor
sanft erleuchtet durch ein Feuer
kommt es mir wie Golde vor.
Gold, das schimmert in der Nacht
mit so sanftem, lichtem Schein
und in mir die Freud’ entfacht erwacht.
Doch Und ich wandle schreite weiter sinnend fort
auf verschneiten Pfadeswegen
zum geheimen, düst’ren Ort:
zur alten Kapelle, abseits gelegen.
Zur Linken mir vereiste Wiesen
auf denen saftig zwei Fichten sprießen
zur Rechten mir steht der finstre Wald
aus dem manch’ nächtlich Geräusch still hallt.

Ich wandle weiter, den Hügel hinauf
folge stets des Wand’rers Lauf.

Steig’ behende die Treppe hinab
mich nun und mi und mich am Bauwerk Blick der Kapelle erlab’.

Ein Windhauch säuselt mir ums Ohr,
als ich steh verharre am vor dem Eingangstor.
Rechts und links zwei ein Wächter aus Stein
behüten die Ruh’ der Kapelle fein.

Plötzlich ein Glockenschlag erschallt,
zerreißt die Stille, das Blut in mir wallt.
Es ist des Abends siebte Stunde,
so hallt es von des Talesgrunde.

Zeit für mich, nun heimzukehren,
sonst könnt’ die Finsternis mir übles [Übles] bescheren.
Ich darf Sollt’ ich an dieser Stätte nicht mehr länger verweilen
sonst könnte die Nacht mich jäh ereilen.