Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

9 
 Juni 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Wer nie sein Brot mit Tränen aß – Auszug: Wilhelm Meister (0:42)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte,
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr lasst den Armen schuldig werden,
Dann überlasst ihr ihn der Pein.
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

 

 
Meeresstille (1:09)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Tiefe Stille herrscht im Wasser.
Ohne Regung ruht das Meer.
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.

Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.

 

 
Nur wer die Sehnsucht kennt (1:39)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach! Die mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!

 

 
Aussöhnung (2:31)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Die Leidenschaft bringt Leiden! – Wer beschwichtigt,
Beklommnes Herz, dich, das all zu viel verloren?
Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt?
Vergebens war das Schönste dir erkoren!
Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen!
Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!

Da schwebt hervor Musik mit Engelsschwingen,
Verflochten zu Millionen Tön um Töne,
Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,
Zu überfüllen ihn mit ewger Schöne.
Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen
Den Götterwert der Töne wie der Tränen.

Und so das Herz erleichtert merkt behende,
Dass es noch lebt und schlägt und möchte schlagen,
Zum reinsten Dank der überreichen Spende
Sich selbst erwidernd willig darzutragen.
Da fühlte sich – o dass es ewig bliebe! –
Das Doppelglück der Töne wie der Liebe!

 

 
Gesang der Geister über den Wassern (4:11)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser.
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels.
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leis rauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler.
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

 

 
Vermächtnis (5:47)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewge regt sich fort in allen.
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
Bewahren die lebendgen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.

Das alte Wahre, fass es an!

Sofort nun wende dich nach innen.
Das Zentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen,
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.

Den Sinnen hast du dann zu trauen.
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Genieße mäßig Füll und Segen.
Vernunft sei überall zugegen,
Wo Leben sich des Lebens freut.

Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendig,
Der Augenblick ist Ewigkeit.

 

 
Wandrers Nachtlied (8:46)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Über allen Gipfeln
Ist Ruh.
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch.
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur,
Balde ruhest du auch.

 
 
31 
 März 
 
2012

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Der Mensch (0:09)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kommt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr.
Gelüstet und begehret
Und bringt sein Tränlein dar.
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr,
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr.
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar.
Schläft, wachet, wächst und zehret,
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenns hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kommt nimmer wieder.

 

 
Epigramm von Lessing über Klopstock (0:09)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.
Wir möchten weniger erhoben
Und fleißiger gelesen sein.

 

 
Abendlied (4:24)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Der Mond ist aufgegangen.
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold.
Wie eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolzen Menschenkinder
Sind doch nur arme Sünder
Und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
Und treiben viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder.
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen,
Und lass uns ruhig schlafen
Und unsern kranken Nachbar auch!

 

 
Täglich zu singen (6:11)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Ich danke Gott und freue mich
Wies Kind am Weihnachttage,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
Schön menschlich Antlitz habe.

Dass ich die Sonne, Berg und Meer
Und Laub und Gras kann sehen,
Und abends unterm Sternenheer
Und lieben Monde gehen.

Und dass mir dann zumute ist,
Wie wenn wir Kinder kamen,
Und sahen, was der heilge Christ
Bescheret hatte, Amen!

Ich danke Gott mit Saitenspiel,
Dass ich kein König worden.
Ich wär geschmeichelt worden viel
und wär vielleicht verdorben.

Auch bet ich ihn von Herzen an,
Dass ich auf dieser Erde
Nicht bin ein großer, reicher Mann,
Und auch wohl keiner werde.

Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht,
Hat mancherlei Gefahren.
Und vielen hats das Herz verdreht,
Die weiland wacker waren.

Und all das Geld und all das Gut
Gewährt zwar viele Sachen.
Gesundheit, Schlaf und guten Mut
Kann’s aber doch nicht machen.

Und die sind doch bei Ja und Nein
Ein rechter Lohn und Segen!
Drum will ich mich nicht groß kastei’n
Des vielen Geldes wegen.

Gott gebe mir nur jeden Tag,
So viel ich brauch zum Leben.
Er gibts dem Sperling auf dem Dach.
Wie sollt ers mir nicht geben!

 

 
Die Sternseherin Lise (8:10)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan,
Und niemand mehr im Hause wacht
Die Stern am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut,
Als Lämmer auf der Flur,
In Rudeln auch, und aufgereiht
Wie Perlen an der Schnur!

Und funkeln alle weit und breit
Und funkeln rein und schön.
Ich seh die große Herrlichkeit,
Und kann mich satt nicht sehn.

Dann saget unterm Himmelszelt
Mein Herz mir in der Brust:
Es gibt was bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.

Ich werf mich auf mein Lager hin,
Und liege lange wach.
Und suche es in meinem Sinn.
Und sehne mich danach.