Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

24 
 Mai 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Klöpplerinnen (1:19)
Louise Otto-Peters (1819 – 1895)
Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen
Die Wangen bleich und die Augen rot?
Sie mühen sich ab für einen Bissen,
Für einen Bissen schwarzes Brot!

Großmutter hat sich die Augen erblindet,
Sie wartet, bis sie der Tod befreit –
Im stillen Gebet sie die Hände windet:
Gott schütze uns in der schweren Zeit.

Die Kinder regen die kleinen Hände.
Die Klöppel fliegen hinab, hinauf.
Der Müh und Sorge kein Ende, kein Ende!
Das ist ihr künftiger Lebenslauf.

Die jungen Frauen, dass Gott sich erbarme,
Sie ahnen nimmer der Jugend Lust –
Das Elend schließt sie in seine Arme,
Der Mangel schmiegt sich an ihre Brust.

Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen,
Seht Ihr die Spitzen, die sie gewebt:
Ihr Reichen, Großen – hat das Gewissen
Euch nie in der innersten Seele gebebt?

Ihr schwelgt und prasset, wo sie verderben,
Genießt das Leben in Saus und Braus,
Indessen sie vor Hunger sterben,
Gott dankend, dass die Qual nun aus!

Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen?
Und fühlt kein Erbarmen in solcher Zeit?
Dann werde Euer Sterbekissen
Der Armut Fluch und all ihr Leid!

Nachtphantasien (3:36)
Louise Aston (1814 – 1871)
Ich liebe die Nacht! Ich liebe die Nacht!
Doch nicht die einsame, trübe!
Nein, die aus seligen Augen lacht,
In flammender Pracht, in Zaubermacht,
Die heilige Nacht der Liebe.

Es mahne der Tod mich, der finstere bleiche,
An das Leben, das lichte, das reiche,
An den heiteren Genius der Welt!
Drum hab ich ein knöchern Beingerippe
Mit Kruzifix und drohender Hippe
In meinem Zimmer aufgestellt.

Fest schau ich es an bei Mondenscheine,
Wenn ich in verzweifeltem Schmerze weine.
Ein kämpfendes Kind der kämpfenden Zeit!
Dann tauml ich empor in wildem Entzücken,
Das Leben noch einmal ans Herz zu drücken,
Bevor es vernichtendem Tode geweiht!

Ja, kühlen in frischen Lebensfluten
Will ich der lodernden Seele Gluten!
Ich will, vor Sünde und Kreuz bewahrt,
Stark durch des eigenen Geistes Ringen,
Mich aus Fesseln und Banden schwingen
Auf zu begeisterter Himmelfahrt!

Farbenwechsel (5:50)
Kathinka Zitz (1801 – 1877)
»Warum nur gehst du immer grau gekleidet?«
So sprach der Freund zu einer ernsten Frau.
»Mein Aug sich gern an bunten Farben weidet,
Du aber gehst so lange schon in Grau.«

»Mein treuer Freund, dir will ich wohl es sagen.
Die graue Stimmung herrscht mir im Gemüt,
Und keine bunten Farben kann ich tragen,
Seit mir des Lebens Baum hat abgeblüht.

Das Kind trug Weiß – Der Unschuld Engelfarbe
Umhüllte es so duftig, hell und klar.
Und aus der Ähren aufgehäufter Garbe
Zog es sich Blumen für sein Lockenhaar.

Dann kam die Zeit der aufgewachten Triebe,
Die in dem Lenz des Lebens feurig glühn.
Ich ging im Kleid der rosenroten Liebe
Und in der Hoffnung heilig-schönem Grün.

Dann kam ein Tag, der brachte die Gewänder
Der wilden feuerfarbnen Leidenschaft,
Die mich umschloss mit ihren Glutenbändern,
Mir aufgezehrt des Geistes rege Kraft.

Die Gattin ging einher im blauen Kleide
Der ewig duldenden Ergebenheit.
Und später trug ich violette Seide.
Die Farbe, die dem edlen Zorn geweiht.

Dann sah ich Jahre auf mich niederschweben
Wie Rabenzüge mit dem Unglücks-Flug,
In welchen ich um ein verfehltes Leben.
Das dunkle Schwarz der tiefen Trauer trug.

Allmählich trug ich Braun – Denn die Bestrebung
Des Selbstbewusstseins lichtete den Sinn.
Die braune Farbe deutet auf Ergebung
In ein Geschick, an dem ich schuldlos bin.

Jetzt ist das Grau die Farbe meiner Tage.
Das Sinnbild einer blassen Dämmerzeit,
In der gestorben ist die Freude wie die Klage.
Die graue Farbe zeigt Gleichglültigkeit.«

 
 
11 
 April 
 
2012

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DICHTUNG Else Lasker-Schüler
LESUNG Elke Heidenreich
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Seid du nicht da bist,
Ist die Stadt dunkel.

Ich sammle die Schatten
Der Palmen auf,
Darunter du wandeltest.

Immer muss ich eine Melodie summen,
Die hängt lächelnd an den Ästen.

Du liebst mich wieder –
Wem soll ich mein Entzücken sagen?

Einer Waise oder einem Hochzeitler,
Der im Widerhall das Glück hört.

Ich weiß immer,
Wann du an mich denkst –

Dann wird mein Herz ein Kind
Und schreit.

An jedem Tor der Straße
Verweile ich und träume;

Ich helfe der Sonne deine Schönheit malen
An allen Wänden der Häuser.

Aber ich magere
An deinem Bilde.

Um schlanke Säulen schlinge ich mich
Bis sie schwanken.

Überall steht Wildedel,
Die Blüten unseres Blutes.

Wir tauchen in heilige Moose,
Die aus der Wolle goldener Lämmer sind.

Wenn doch ein Tiger
Seinen Leib streckte

Über die Ferne, die uns trennt,
Wie zu einem nahen Stern.

Auf meinem Angesicht
Liegt früh dein Hauch.

 
 
11 
 April 
 


 

Was doch heut Nacht ein Sturm gewesen,
bis erst der Morgen sich geregt!
Wie hat der ungebetne Besen
Kamin und Gassen ausgefegt!

Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,
das halb verschüchtert um sich sieht;
wie Rosen, die der Wind zerblasen,
so unstet ihr Gesichtchen glüht.

Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,
er will ihr voll Entzücken nahn:
wie sehn sich freudig und verlegen
die ungewohnten Schelme an!

Er scheint zu fragen, ob das Liebchen
die Zöpfe schon zurecht gemacht,
die heute Nacht im offnen Stübchen
ein Sturm in Unordnung gebracht.

Der Bursche träumt noch von den Küßen,
die ihm das süße Kind getauscht,
er steht, von Anmut hingerissen,
derweil sie um die Ecke rauscht.

 

Textdichter Eduard Mörike
Lesung Oskar Werner
Bereitstellung wortlover