Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

12 
 September 
 
2007


 

 

Über die enge Verwandtschaft zwischen Erzählung und Träumen
Ein Referat im Studienbereich LBK bei Herrn Hubert Habig (September 2007),
inhaltlich und oft auch begrifflich angelehnt an Johannes Merkel


 

Wie ein Geschwisterpaar reichen Erzählung und Traumbild sich treu die
Hände, vereinigen sich wie zwei Flüsse es tun:
Rauschend’ Verlangen mit strömenden Worten hinstrebend und einend
still sich ergeben sodann ins unendliche Meer.

Nichts unterscheidet der Kinder recht schlichten Erzählung von Erwachs’ner
wohlfeiler Rede noch von Goethe’s poet’scher Gewalt.
In der Abwandlung Vielfalt sind’s stets die gleichen Strukturen,
stets ist’s derselbige Quell, dem der Wortfluss entströmt.

Wie die Phantastik Erzählungen nährt, sich erbaut am Fiktiven,
so erscheint alles im Traum wirklich und unecht zugleich.
Vieles entzieht sich der zeitlichen [geordneten] Folge, die Handlung ist allzu
lose und dürftig verknüpft: Wirrspiel, es lastet allzeit.

Stets regiert in der Kinder Erzählung und Traum die Bedrohung,
größer jedoch ist der Wunsch wie man Herr der Gefahr
dennoch wird, wenn Gespenster und Hexen umscharend sich nahen:
Keine rettende Fee wendet das Unheil jäh ab,
nur im Enteilen, im Fluchtergreifen empfängt die geplagte
kindliche Seele ihr Heil, nicht im heroischen Kampf.

Reich sind die kindlichen Formen idyllisch gezeichneter Traumwelt,
allerlei Schreckensgebild’ als auch des Wunschdenkens viel.

Leid erduldet die tragische Heldenfigur oft im Traume:
Immerdar während sind Krieg, Massenvernichtung und Tod,
die den nächtlichen Traum thematisch bestimmen und bis zum
fünften Lebensjahr noch feldregierend bestehn.

Erst im achten Jahre, mit wachsender Reife, erringt er-
starkender Wille den Sieg, bietet die Stirn der Gefahr.

Hier sei auf Grof erläuternd verwiesen, der engen Bezug zum
Austreiben leiblicher Frucht bei der Geburt darin sieht.
Er betont die symbiotische Einheit des Fötus zur Mutter,
die in der Schwangerschaft stets durch den Nabel vereint.
Dann mit der Wehen mechanischer Krämpfe verengt sich der Raum und
jene Verengung beschwört existentielle Gefahr.
Letztlich bewirkt die allmähliche Austreibung oft dann nicht minder
einen Sauerstoffmangel als auch massiv mechanischen Druck.
Dieser durchlebte traumatische Vorgang ist wohl der Grund für
grausamen Kampf, dem der Held in dem Traume sich stellt.

Weshalb erwacht nun das Kind aus verworrenem Traume, der sinnzer-
fetzt keine wahre Konfliktlösung, keinen Abschluss erfuhr?

Sprachlich gefasst müssen Traumbilder werden, denn nur im Gespräch mit
Anderen klärt sich Struktur, füget sich Bild nur an Bild.
Darin erzeigt sich der Sinn des Erzählens, dass des geträumten
Drangsal Ventil dann erfährt, damit Befriedung erlangt,
weil des Alltags Erfahrung im Traum als Bilderpartikel
oft zersplittert sich stellt, aufsteigt aus Tiefen des Seins
und durch ein ordnendes Muster geformt dann hervortritt als Ganzes.

Jenes Muster als treibende Kraft offenbart sich nicht nur
-wie schon erwähnt- in dem Traum. Auch in des kindlichen Spiels
greifbaren Ausdruck wirket es mächtiglich fort, im Erzählen
sucht es im Worte Gestalt, kündigt sich auch in Ideen,
die in des Alltags bescheidenem Werke fromm uns begatten.

So erkannte schon Freud, Vater der Traumdeutung, dass
Träume verschlüsselte Botschaften sind, Hyroglyphen gekleidet
in des Tages Gescheh’n, „Tagesreste” genannt.
Bild und Handlungssequenzen verdichtet zu straffem Gefüge
weisen als Medium fungier’nd auf den seelischen Kern.

Jung, ein Vertreter im gleichen Fache, vermutete, dass der
Menscheitsgeschichte Gesamt in der Seele Bezirk
Niederschlag fand und als “kollektiv Unbewusstes” in Form von
Archetypen (im Griech’schen auch als ‘Urbild’ benannt),
sich der symbolischen Deutung bemächtigt, ein Gegenpol sprachlich
kognitiven Konzepts, der Hypothese des Freud.

Jung zudem sieht im Traum Parallelen zum klassischen Drama,
wenn in der Exposition Themeneröffnung sich bahnt,
so gestaltet das Unbewusste im Träumenden dies und
wird durch Symbol dem Bewusst-Sein verständlich gemacht.

Gleichfalls erfährt im klassischen Drama die Handlung ein Aufschwung,
wie auch im Traum die Tendenz steigender Handlung besteht.

 
 
1 
 Februar 
 
2002

abgelegt in
Dionysos' Fest

 

Kaserne zu Samos – 523 v. Chr.

Ich erwache nachtumdämmert, gliedertaub auf fremdem Lager, niedergestreckt von Dionysos’ wohlmundendem, süßen Laster.

Mein sonst so manniggefeiter Geist erlag den wilden, sinnbetörenden Mächten jenes allerorts verehrten Gottes.

Regungsstarr geschlagen vom Zeremoniell nächtlich heiteren Überschwangs, erkundet der noch leicht trunkene Schleierblick umsichtig die unvertraute Stube und gewahrt im mondlichtgetauchten Silberschein die graumatten Schattenrisse türmender Schrankbauten und fremdartig himmelstrebenden Gewächsen: Anmutende Tempelsäulen einer geweihten Kultstätte der besagten Gottheit, mystisch berankt im trüben Nachtesflor sich verkündend.

Der Widerschein befremdet mich und schürt die aufbegehrende Wißbegier :
Welche Mauern bergen mich?

Wes Geschick verschlug mich von Dionysos gehuldigtem Trinkgelage zum befindlichen Bettgelage unter unmerklicher Entledigung meines Schuhwerks?

Und diesmal – außerhalb der gewohnten Reihe nach gefrönten Freudenfesten – wer schlummert befriedeter Seele neben mir seinen unsündigen Schlaf?

Letztere Frage und für mich von unmittelbarem Wissensdrang: Mir schwant keines Soldaten Haupt !
Die düsteren Lichtverhältnisse bürgen keineswegs für äußerliche, für das forschende Auge wahrnehmbare Erkennungsmerkmale.

Vielversprechender frommt die atmosphärische Erscheinung zum Erspüren des meintlichen Wesens.
Im vorliegenden Fall bedeutet das: Mild entfleuchender Odem, ein behaglicher, wohlduftender Hauch wonnigster Empfindung, dann die teilende Gesinnung beim Überlassen einer wärmenden Schlafdecke, also keineswegs Beiwerk männlicher Gegenwart, vielmehr der Anwesenheit weiblicher Umsorgung.

Männer leiden nämlich meistens unter nächtlichen Dyspnoen (Atembeschwerden), Schnarchen im Galeerenstakt ihrer sinnzerfetzten Traumbilder, entsteigt Mundgeruch aus fauler Rachengrotte und räumen einem Geschlechtsgenossen ungern anteilige Nutzung des Nachtlagers ein.

Die mittlerweile erspähte kurze Haarestracht läßt mich verdachterhärtend Chloris vermuten, eine platonische Spielgesellin unweit der Dorfsiedlung mit geschmeidigem Gebärdenspiel und schöngeistiger Seele, deren wogenschlagender Liebreiz mich nun in diesem Moment seligster Gefilde mit bebendem Verlangen erfaßte.

Näheres Beäugen und vor allem Vergegenwärtigung des Vorabends lassen allerdings ernüchternd Polydor erkennen.
Polydor, dessen mitfühlendem Herzen ich mich durch Dionysos’ Drangsal schicksalshadernd unter Tränenfluß anvertraute, bevor mich Morpheus ereilte und in seine Liebesarme brüstend barg.

Der weitere Verlauf entzog sich dem Reich meiner Wahrnehmung, als Polydor mich sanft bettete, neben dem ich nun geklärteren Sinnes erwachte – mit waltender Geborgenheit, die so gegensätzlich zu den weingenährten Wirren des verflossenen Abends stand.

Aus dem Gestrüpp noch wuchernder, wirrer Gedanken entringt sich die treibende Blüte reiferer Vernunft:
Dionysos’ balsamischer Zauber, des Weines geistbeflügelnde Gabe, die der frostgeplagten Seele in berauschten Wonnestunden wärmespendende Glückseligkeit verheißt und doch nach entsandtem Sinnestaumel mich wieder in den krallen Würgegriff eiser Schicksalslaune treulos entläßt, der mich nach kühnem, leichten Geistesfluge bleiern auf der Erde Grund zerschellend schmettert:

Ist er Geliebte oder Hure meines Geistes, Himmelssteige oder Abgrund mir?
Strafft oder stutzt er meines Geistes Gefieder?

Dionysos, Du närrender Gott, mit Trugbildern falscher Wonnen prahlest Du geistestrübend auf der Bühne niederster Spielart!

Doch allmählich weicht die trunkene Benommenheit, ich raffe mich torkelnd auf, spähe mit tastenden Händen nach meinen Sandalen, verschnüre sie mit ungeschickter Fertigkeit, entlaufe jener Bühne des abendlichen Geschehens und trete in den dämmernden, vögelbeschallten Morgenstunden meinen verwaisten Heimgang an.

Aurora entflammt und jähe scheint die Erde zu erbeben von fernem Hufgestampfe.

Oh, Gott der trügenden Sinne, Deinem Narrenspiele sei’s gelohnt!
Fürwahr erlausche ich in der Steppe gähnender Leere schauernd voller Unbehagen den bebenden Donner anrückender Streiteswagen und erspähe türmende Feindesheere mit bangem Gemüt und angstgeschürt, wo bloße Einöde mir entgegen stiert…

Dem Gaukelspiel meiner Sinne gewiß, frohlocke ich unerschüttert des jungen Tages lichte Stunden, dem steigenden Flimmerglanz am Horizonte lächelnd entgegen … und gewahre ihn als Blendwerk bronzerner Schilde!

Erst jetzt stirbt mein purpurnes Lächeln auf bleicher Wange…