Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 Oktober 
 
2012

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DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Paul Celan
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Engführung

*

VERBRACHT ins
Gelände
mit der untrüglichen Spur:

Gras, auseinandergeschrieben. Die Steine, weiß,
mit den Schatten der Halme:
Lies nicht mehr — schau!
Schau nicht mehr — geh!

Geh, deine Stunde
hat keine Schwestern, du bist —
bist zuhause. Ein Rad, langsam,
rollt aus sich selber, die Speichen
klettern,
klettern auf schwärzlichem Feld, die Nacht
braucht keine Sterne, nirgends
fragt es nach dir.

* Nirgends fragt es nach dir —

Der Ort, wo sie lagen, er hat
einen Namen — er hat
keinen. Sie lagen nicht dort. Etwas
lag zwischen ihnen. Sie
sahn nicht hindurch.

Sahn nicht, nein,
redeten von
Worten. Keines
erwachte, der
Schlaf
kam über sie.

* Kam, kam. Nirgends fragt es —

Ich bins, ich,
ich lag zwischen euch, ich war
offen, war
hörbar, ich tickte euch zu, euer Atem
gehorchte, ich
bin es noch immer, ihr
schlaft ja.

* Bin es noch immer —

Jahre.
Jahre, Jahre, ein Finger
tastet hinab und hinan, tastet
umher:
Nahtstellen, fühlbar, hier
klafft es weit auseinander, hier
wuchs es wieder zusammen – wer
deckte es zu?

* Deckte es zu — wer?

Kam, kam.
Kam ein Wort, kam,
kam durch die Nacht,
wollt leuchten, wollt leuchten.

Asche.
Asche, Asche.
Nacht.
Nacht-und-Nacht. — Zum
Aug geh, zum feuchten.

* Zum Aug geh, zum feuchten —

Orkane.
Orkane, von je,
Partikelgestöber, das andre,
du
weißts ja, wir
lasens im Buche, war
Meinung.

War, war
Meinung. Wie
faßten wir uns
an — an mit
diesen
Händen?

Es stand auch geschrieben, daß.
Wo? Wir
taten ein Schweigen darüber,
giftgestillt, groß,
ein
grünes
Schweigen, ein Kelchblatt, es
hing ein Gedanke an Pflanzliches dran —

grün, ja
hing, ja
unter hämischem
Himmel.

An, ja,
Pflanzliches.

Ja.
Orkane, Par-
tikelgestöber, es blieb
Zeit, blieb,
es beim Stein zu versuchen — er
war gastlich, er
fiel nicht ins Wort. Wie
gut wir es hatten:

Körnig,
körnig und faserig. Stengelig,
dicht;
traubig und strahlig; nierig,
plattig und
klumpig; locker, ver-
ästelt –: er, es
fiel nicht ins Wort, es
sprach,
sprach gerne zu trockenen Augen, eh es sie schloß.

Sprach, sprach.
War, war.

Wir
ließen nicht locker, standen
inmitten, ein
Porenbau, und
es kam.

Kam auf uns zu, kam
hindurch, flickte
unsichtbar, flickte
an der letzten Membran,
und
die Welt, ein Tausendkristall,
schoß an, schoß an.

* Schoß an, schoß an. Dann —

Nächte, entmischt. Kreise,
grün oder blau, rote
Quadrate: die
Welt setzt ihr Innerstes ein
im Spiel mit den neuen
Stunden. — Kreise,

rot oder schwarz, helle
Quadrate, kein
Flugschatten,
kein
Meßtisch, keine
Rauchseele steigt und spielt mit.

* Steigt und spielt mit –

In der Eulenflucht, beim
versteinerten Aussatz,
bei
unsern geflohenen Händen, in
der jüngsten Verwerfung,
überm
Kugelfang an
der verschütteten Mauer:

sichtbar, aufs
neue: die
Rillen, die

Chöre, damals, die
Psalmen. Ho, ho-
sianna.

Also
stehen noch Tempel. Ein
Stern
hat wohl noch Licht.
Nichts,
nichts ist verloren.

Ho-
sianna.

In der Eulenflucht, hier,
die Gespräche, taggrau,
der Grundwasserspuren.

* (– — taggrau, der Grundwasserspuren —

Verbracht
ins Gelände
mit
der untrüglichen
Spur:

Gras.
Gras,
auseinandergeschrieben.)

 

Textdichter Paul Celan
Lesung Paul Celan
Bereitstellung wortlover

 
 
3 
 Januar 
 
2012


 


Abbildung aus Cantus Circaeus
von Giordano Bruno


 

Als Giordano Bruno seine Werke über die Gedächtniskunst schreibt und veröffentlicht, entwickelt er sich von der Philosophie weiter in Richtung Magie.

Frances Yates ging es bei ihren Studien darum, die Philosophie Brunos im hermetischen und magischen Kontext seiner Zeit neu zu betrachten. Sie hat gezeigt, dass die Symbole und Zeichen mit der Magie gleichgesetzt werden können, da der Mensch mit ihrer Hilfe die universelle Erkenntnis erlangen kann. Durch die Anwendung der Gedächtniskunst, die in der Renaissance unter den Intellektuellen sehr beliebt war, können Archetypen in das Bewußtsein aufgenommen werden.

Von Sonnenkult und Hermetismus stark beeinflusst lesen sich die ersten beiden Bücher, die Giordano Bruno der Gedächtniskunst gewidmet hat, wie eine Anleitung zum Aktivieren “aller Mächte der Seele”. “De Umbris Idearum” (Von den Schatten der Ideen) ist in Form eines Dialogs zwischen 3 Personen geschrieben: Hermes, Philothine und Logifer. Hermes ist in der magischen Kunst der offenbarten Bilder bewandert und gibt dieses Wissen an seine beiden Schüler weiter. Die Gedächtniskunst steht in direkter Verbindung zur Sonne, und so konzentriert sich das Buch auf das Thema der von Hermes Trismegistos gelehrten Sonnenmagie.

Es folgt ein mytischer Katalog mit 150 Bildern, auf denen das magische System des Gedächtnisses aufbaut. Der Einfluss durch das Werk “De occulta philosophia” von Corneille Agrippa ist deutlich spürbar. Anschließend zeigt das Buch die Bilder der 36 Dekane: die Bilder der 7 Planeten sowie die 28 Bilder der Mondstände, ergänzt durch das Bild des Draco Lunae.

So findet sich beispielsweise folgende Beschreibung zum ersten Bild des Saturn: “Ein Mann mit dem Kopf eines Hirsches auf einem Drachen mit einer Eule in seiner rechten Hand, die eine Schlange verschlingt”.

Das Cantus Circaeus (Gesang der Kirke) bleibt dieser Richtung treu und präsentiert Kirke, Tochter der Sonne, als Magierin, wie sie ausführlich Planetenbeschwörungen rezitiert.

Auf den ersten Seiten ist eine Zusammenfassung aller Namen der Sonne und ihrer Attribute sowie der Pflanzen und Tiere zu lesen, die der Sonne zugeordnet sind und deren Mächte es dem Magier erlauben, die Sonnenseele auf sich zu konzentrieren. Kirke wiederholt ihre Formeln für jede einzelne Planetenmacht: Mond, Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur.
Bruno erweist sich als Meister in der Kunst der Erfindung von Systemen magischer und talismanischer Bilder. Wie schon Frances Yates gezeigt hat, ist die hermetische Ausrichtung seiner Schriften kaum zu übersehen. Die von Bruno verwendeten Bilder werden nicht mehr im christlichen Sinne interpretiert, sonders beziehen sich auf den ägyptischen Hermetismus, den der Philosoph über das Christentum stellt. Zwei Jahre später schreibt Bruno “Die Vertreibung der triumphierenden Bestie”, eine Verteidigungsschrift der magischen Religion der Ägypter und nach Meinung von Frances Yates, vom okkulten Asklepius inspiriert.

In der ersten 1591 veröffentlichten Schrift widmet sich Bruno erneut der magischen und astrologischen Gedächtniskunst. “De Imaginum, Signorum et Idearum compositione” enthält einen Planetenkatalog, der die Sonne und ihre Attribute in den Mittelpunkt stellt.

In diesem besonders sorgfältig ausgearbeiteten und mit den herkömmlichen Abbildungen der Planeten illustrierten letzten Werk beschreibt Bruno die Aufgliederung des Gedächtnisses in allen Einzelheiten. Sein hochentwickeltes Modell baut auf “12 Prinzipien” auf, denen z. T. sekundäre Prinzipien zugeordnet sind.

Jedem dieser Prinzipien entsprechen magische Bilder, in denen Bruno zahlreiche negative und positive Attribute sieht. Wie schon in “De Umbris Idearum” erscheint die Sonne als bindende Kraft und steht für Reichtum, Überfluss oder auch Fruchtbarkeit. Kirke ist auch hier eine mächtige Magierin, die ihre Kräfte weder zu eindeutig guten noch zu eindeutig schlechten Zwecken einsetzt.

Frances Yates erklärt, dass die hinter den Aspekten der Gedächtnistheorie zu erkennende Magie Brunos dem Eingeweihten erlaubt, sich die positiven Kräfte eines jeden Prinzips anzueignen, um sich in einen “Sonnen-, Jupiter- oder Venusmagier” zu verwandeln. Anders ausgedrückt werden mit seiner Gedächtniskunst Mittel und Wege aufgezeichnet, den Einfluss der Sterne auf sich zu ziehen, sich mit einer Macht zu identifizieren und sich dem Göttlichen zu nähern, um mit ihm zu verschmelzen.

Quelle: www.bruno-giordano.net