Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

21 
 Juni 
 
2017


 
baumstamm_umwunden_von_efeu
Scherenschnitt
Margarete Schreiber[1]Foto: Margarete Schreiber. In: “Das Himmelsvolk” von Waldemar Bonsels
 
Musik
Wolfgang Amadeus Mozart [2]Klavierkonzert Nr. 23 – Adagio

Die Lichtung

Hüll’ mich umarmend in der Geborgenheit lichtem Gewande!

Hebe den scheuen Farn strähner Wimpern,
den Silbertau klarer Augen liebfunkelnd mir strahle!

Wohlduft entsteige der Wangen samt‘ges Moos,
trunk’ne Süße reiche der Lippen Holunder!

Und aus berauschter Sinne umlagernden Nachtesflor
rankt sich
deiner zarthalm‘gen Finger Akelei,
knospenquell blühend
mir ambrosisch entatmend
des Balsamhauchs linder Entsendung.

→ zu Mnemosynes Geleit
Morpheus’ Schoß

Fußnoten[+]

 
 
8 
 Juli 
 
2012

Schlagwörter

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1.
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

2.
Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß.
Der Felder gelbe Winde schlafen still.
Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will.
Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß.

Die blauen Lider schatten sanft herab.
Und bei der Sensen blanken Melodien
Träumt sie von eines Kusses Karmoisin
Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab.

Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt
Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt
Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt

Hall voller Straßen. Glocken und Geläut.
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht
In blinde Scheiben dumpfes Abendrot,
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,

Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann,
Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien.
Last schwerer Brücken, die darüber ziehn
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann.

Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit.
Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschwarm
Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm,
Der schattet über beide Ufer breit.

Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht
Der westlich hohe Tag des Sommers spät,
Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht
Des fernen Abends zarte Müdigkeit.

Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht,
Durch manchen Winters trauervollen Port.
Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort,
Davon der Horizont wie Feuer raucht.

 

Textdichter Georg Heym
Lesung Corinna Kirchhoff
Bereitstellung wortlover