Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

20 
 Oktober 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Die Kapelle (0:07)
Ludwig Uhland (1787 – 1862)

Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab.
Drunten singt bei Wies und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab.

Traurig tönt das Glöcklein nieder,
Schauerlich der Leichenchor.
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.

Droben bringt man sie zu Grabe,
Die sich freuten in dem Tal.
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.

 

 
Das Schloss am Meere (2:55)
Ludwig Uhland (1787 – 1862)

»Hast du das Schloss gesehen,
Das hohe Schloss am Meer?
Golden und rosig wehen
Die Wolken drüber her.

Es möchte sich niederneigen
In die spiegelklare Flut.
Es möchte streben und steigen
In der Abendwolken Glut.«

»Wohl hab ich es gesehen,
Das hohe Schloss am Meer,
Und den Mond darüber stehen
Und Nebel weit umher.«

»Der Wind und des Meeres Wallen,
Gaben sie frischen Klang?
Vernahmst du aus hohen Hallen
Saiten und Festgesang?«

»Die Winde, die Wogen alle
Lagen in tiefer Ruh.
Einem Klagelied aus der Halle
Hört ich mit Tränen zu.« –

»Sahst du oben gehen
Den König und sein Gemahl?
Der roten Mäntel Wehen,
Der goldnen Kronen Strahl?

Führten Sie nicht mit Wonne
Eine schöne Jungfrau dar?
Herrlich wie eine Sonne,
Strahlend im goldenen Haar?«

»Wohl sah ich die Eltern beide,
Doch ohne der Kronen Licht.
Sah sie im Trauerkleide –
Die Jungfrau sah ich nicht.«

 

 
Die Rache (5:21)
Ludwig Uhland (1787 – 1862)

Der Knecht hat erstochen den edlen Herrn.
Der Knecht wäre selber ein Ritter gern.

Er hat ihn erstochen im dunklen Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.

Hat angelegt dessen Rüstung blank,
Auf des Herren Ross sich geschwungen frank.

Und als er sprengen will über die Brück,
Da stutzet das Ross und bäumt sich zurück.

Und als er die güldnen Sporen ihm gab,
Da schleuderts ihn wild in den Strom hinab.

Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt.
Der schwere Panzer ihn niederzwingt.

 

 
Des Sängers Fluch(t) (7:36)
Heinz Erhardt (1909 – 1979)

frei nach Ludwig Uhland,
dem Erfinder der gleichnamigen Straße

Der Ritter sprach zum Knappen Heiner:
»Nanu, da draußen singt ja einer?!
Gib ihm zwei Groschen, und er möge
Bald sehen, dass er weiterzöge!
Und sag ihm, dass hier niemand wohne,
Für den zu singen es sich lohne!«

Der Knappe tat, wie man befahl.
Da trat der Sänger in den Saal,
Warf ihm die Groschen ins Gesicht:
»Den Dank, Herr Ritt, begehr ich nicht!
Du bist ein Geizhals! Bist verrucht!«
Und ging. Das war des Sängers Fluch(t).

Moral:
Man gebe Sängern für die Lieder
Nie zu viel Geld. Sonst kommse wieder.

 

 
Frühlingsglaube (9:12)
Ludwig Uhland (1787 – 1862)

Die linden Lüfte sind erwacht.
Sie säuseln und weben Tag und Nacht.
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag.
Man weiß nicht, was noch werden mag.
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal!
Nun, armes Herz, vergiss die Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.

 
 
6 
 Oktober 
 
2012


 

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht
bleibt ja doch nur eins: die Zeit.

Pünktlich holt sie aus der Truhe
falschen Bart und goldnen Kram.
Pünktlich sperrt sie in die Truhe
Sorgenkleid und falsche Scham.

In Brokat und seidnen Resten,
eine Maske vorm Gesicht,
kommt sie dann zu unsren Festen.
Wir erkennen sie nur nicht.

Bei Trompeten und Gitarren
drehn wir uns im Labyrinth
und sind aufgeputzt wie Narren
um zu scheinen, was wir sind.

Unsre Orden sind Attrappe.
Bunter Schnee ist aus Papier.
Unsre Nasen sind aus Pappe.
Und aus welchem Stoff sind wir?

Bleich, als sähe er Gespenster,
mustert uns Prinz Karneval.
Aschermittwoch starrt durchs Fenster.
Und die Zeit verläßt den Saal.

Pünktlich legt sie in die Truhe
das Vorüber und Vorbei.
Pünktlich holt sie aus der Truhe
Sorgenkleid und Einerlei.

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht,
bleibt uns doch nur eins: die Zeit.

 

Textdichter Erich Kästner
Lesung Heinz Rühmann
Bereitstellung wortlover

 
 
18 
 Juli 
 
2012


 

Daß das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Daß das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Männerblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Daß sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer.
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.

Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah am Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.

So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben.
Eines Wolkenspielers Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweggeflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.

 

Dichtung Hermann Hesse
Lesung Annett Louisan