Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

29 
 Juli 
 
2011


 

Was schläfst und träumst du, Jüngling, gehüllt in dich
Und säumst am kalten Ufer, Geduldiger,
Und achtest nicht des Ursprungs, du, des
Ozeans Sohn, des Titanenfreundes!

Die Liebesboten, welche der Vater schickt,
Kennst du die lebenatmenden Lüfte nicht?
Und trifft das Wort dich nicht, das hell von
Oben der wachende Gott dir sendet?

Schon tönt, schon tönt es ihm in der Brust, es quillt,
Wie, da er noch im Schoße der Felsen spielt’,
Ihm auf, und nun gedenkt er seiner
Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er,

Der Zauderer, er spottet der Fesseln nun,
Und nimmt und bricht und wirft die Zerbrochenen
Im Zorne, spielend, da und dort zum
Schallenden Ufer und an der Stimme

Des Göttersohns erwachen die Berge rings,
Es regen sich die Wälder, es hört die Kluft
Den Herold fern und schaudernd regt im
Busen der Erde sich Freude wieder.

Der Frühling kommt; es dämmert das neue Grün;
Er aber wandelt hin zu Unsterblichen;
Denn nirgend darf er bleiben, als wo
Ihn in die Arme der Vater aufnimmt.

 

Sprecher Katharina Thalbach   |   Bereitstellung Wortlover

 
 
1 
 Mai 
 
2008

abgelegt in
Gedankenschau

 

Dichtung – Gottesdienst und Appell

Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen.
Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?
Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst?
Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben.
Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord.
Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
Das glaube ich.

Franz Kafka (Briefe 1900 – 1912)

Hölderlin zu Susette Gontard.
[…] Sie haben nur getan, was tausend andere auch tun.
Sie benutzen die Kunst, um sich zu zerstreuen. Und aus dem Grund, spielt man Spiele: um sich zu zerstreuen. Menschen wie Ihnen bedeutet die Poesie nichts. Garnichts.
Susette Gontard.
Das ist nicht wahr! […]
Hölderlin.
Oh, doch!
Die Poesie ist das Gegenteil des Spieles.
Sie ist ein Gottesdienst.
Und davon haben Sie keine Ahnung!
Susette Gontard.
Sie wagen es, mir das zu sagen!
Hölderlin.
Warum nicht?
Weil ich Ihr Domestik bin? Sie irren sich!
Ich bin Dichter. Wir betrachten die Welt von oben und von da hat man einen sehr guten Blick.
[…]

Dialog aus Feuerreiter

Eine Unterredung zwischen Schiller und dem Iffland (selbst auch ein Theaterschreiber) pflichtet in einer Schiller-Biografie-Verfilmung ebenfalls dieser Ansicht bei.

Iffland.
Was ich an Ihren Theaterstücken nicht mag, ist, dass Sie nicht nur Shakespeare kopieren, sondern auch -gerade- seine schlechten Seiten.
Wieso müssen Sie immer so maßlos übertreiben?
Schiller.
Weil es Tragödie ist!
Iffland lacht.
Achso, und davon können wir Mannheimer nicht genug bekommen.
Schiller.
Mit Ihren Stücken wird sich in hundert Jahren keiner mehr den Arsch abwischen.
Sie machen die Menschen mit Ihren Stücken nicht besser, Sie halten sie absichtlich dumm mit Ihrem Quark […]

 
 
23 
 April 
 
2008

abgelegt in
Kapitel VII.

 

Schattengestalt der Schrift

 
Ist’s nicht der Geist, der beseelt, der gedruckte Buchstabe aber,
der in erstarrten Konturen leblos dem Auge sich stellet?

Findet Empfindung im glüh’nden Geist des Phantasten nicht mehr
Beheimatung als in der kühlen Fürstengruft nüchternbedruckter Seiten?

Ist nicht in freieren Sphären des menschlichen Geistes
der von irdischen Banden gelöste Gedanke von höherem
Gut, indessen die Niederschrift jenes musengewirkten
Gotthauchs zu niederem Adel entwürdigt?

In Lettern gepresst, ins enge Korsett der Sprachgewalt!
Oh leid’ges Tintengekleckse,
das des entfesselten Geistes Allmacht die Schwingen gestutzt hat!

Selbst pathetisches Dichtungswerk gleicht „kristall’ner Karaffe“,
das den süßen Gehalt des heiligen Herzensgefäßes
nicht zu fassen vermag.

Wie der Gießbach mit brausender Urgewalt sich vom Gebirge stürzt,
dann springend ins Tale sich schlängelt,
um gemächlich als ebener Strom das Gefild zu durchkreuzen,

so ähnlich büßet der einst dem Geistquell entbrauste Gedanke
doch an himmlischer Macht und Kraftfülle ein, wenn
er des Geistes Refugium durch die ehernen Pforten
treulos verlässt, hinabströmt ins geschriebene Wort und
ird’sche, gezähmte Züge erleidet in der Ordnung Begrenzung.

Da der mildherbe Wildwuchs der Geistesblüten sich nimmer
im vollsten Duftumfang in der Schrift offenbart, so erzeigt er
sich auf der Herzensflur ungepflücket doch weitaus
edler, prächtiger, als im gebundenen Wortstrauß in kostbarer Vase.

 

23ter April 1827,  Scardanelli *