Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

15 
 August 
 
2015


 

DICHTUNG Andreas Gryphius
LESUNG Ritter von Schönhering
BEREITSTELLUNG Ritter von Schönhering


 

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben — schlafen —

Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ‘s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben — schlafen —
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:

Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,

Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte

Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,

Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;

Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen. — Still!
Die reizende Ophelia! — Nymphe, schließ
In dein Gebet all meine Sünden ein!

 
 
10 
 Juni 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
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Sehr lange her ist es gewesen (0:24)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Sehr lange her ist es gewesen,
Da tanzten wir in diesem Saal.
Doch dann entflogst du Wunderwesen,
Der reinen Schönheit Ideal.

Im schmerzlich hoffnungslosen Sehnen,
Im ewgen Lärm der Menschenschar,
Hört deine süße Stimm ich tönen,
Träumt ich dein mildes Augenpaar.

Allein, im Kampf mit dem Geschicke
Und in der Jahre düsterm Gang
Vergaß ich deine Engelsblicke
Und deiner süßen Stimme Klang.

Denn lange Jahre war verbannt ich.
Es war die Brust mir stumm und leer.
Für keine Gottheit mehr entbrannt ich.
Nicht weint ich, lebt ich, liebt ich mehr.

Es darf die Seele nun genesen.
Denn du erscheinst zum zweitenmal,
Ein rasch entfliegend Wunderwesen,
Der reinen Schönheit Ideal.

Und wieder schlägt das Herz voll Weihe.
Sein Todesschlummer ist vorbei.
Für eine Gottheit glühts aufs neue.
Es lebt, es weint, es liebt aufs neu.

 

 
Gnädiges Fräulein, ich fuhr neulich (2:20)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Gnädiges Fräulein, ich fuhr neulich
An ihrem Haus vorüber, Sie verzeihn.
Nun, ich hatte es sehr eilig,
Kehrte nicht bei Ihnen ein.
Hatte Angst vor Ihren schönen,
Blauen Augen allzu sehr.

Ich, den längst Vampir schon nennen,
Alle im Distrikt von Twer,
Fürchtete, es könnt geschehen,
Dass ich falle auf die Knie.
Und so glaubt ich, durch mein Flehen
Störe und schockier ich Sie.

Im Gedächtnis wird inzwischen
Sich vielleicht zu meinem Leid
Ihrer Schönheit Bild verwischen.
Durch des Tags Geschäftigkeit.
Aber nein! Nichts kann zerstören
Die Erinnerung an Sie.

Weiterhin werd ich verehren
Ihres Wesens Harmonie.
Kommt es anders, werd einstweilen
Anderswo ich trösten mich,
Doch zu Ihnen werd ich eilen
Ein Jahr später sicherlich.

 

 
Was tut man auf dem Land an trüben Wintertagen (3:47)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Was tut man auf dem Land an trüben Wintertagen?
Als erstes wird man früh beim Tee den Diener fragen:
»Wie wird das Wetter heut? Gabs Neuschnee? Ists sehr kalt?«
Ich greif zu einem Buch, doch lesen kann ich nicht.
Was macht mich so zerstreut? – Ich leg das Buch beiseite.
Zur Feder greife ich, doch nichts gelingt mir heute.
Die Muse döst wie ich, umsonst beschwör ich sie,
Wirr reihn die Worte sich und ohne Melodie …
Mein treuer Diener selbst, der Reim, will mir nicht dienen,
So dass die Verse blass wie Nebelschwaden rinnen.
Verzweifelt stelle ich den Kampf mit ihnen ein.
Die Köchin lärmt und schreit! Ich geh zu ihr hinein.
Man macht ums Rübenkochen, das Silberzeug, sich Sorgen,
Vom Wetter spricht man und, obs Schneesturm gibt auch morgen.
Ja, ja, so interessant ists hier an trüben Wintertagen.

Doch welche Sensation, wenn plötzlich mal ein Wagen,
Ein Reiseschlitten vor dem Tor des Hofs sich zeigt,
Und eine Dame mit zwei hübschen Töchtern daraus steigt.
Wie kann sich dann – gefügt durch Gottes Willen –
Das ganze öde Haus sogleich mit Leben füllen!
Mit Blicken fängt es an, anfangs versteckt und scheu,
Und Worte folgen drauf, Gespräche, bald ganz frei.
Gemeinsamer Gesang, des Abends dann Gesellschaftsspiele,
Bis durch den Tanz sich lockern die Gefühle.
Die Worte werden kühn, Begier verrät der Blick,
Trifft man die Holde unverhofft auf schmalen Treppenstieg.
Wenns dunkelt, sieht man sie erregt von Lustgefühlen
Wohl unterm Vordach stehn, die heiße Stirn zu kühlen.
Die halbentblößte Brust gibt sie dem Schneesturm preis.
Der Frost macht ihr nichts aus, ihr Kuss brennt doppelt heiß!
Wie frisch sind Russlands Fraun, vom Schneestaub weiß gepudert!

 

 
Liebeserklärung an seine Frau (7:02)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Fürwahr, ich bin kein Freund von stürmischen Genüssen,
Von Zügellosigkeit und hemmungslosen Küssen.
Mag die Bacchantin nicht, die sich mit brünst’gem Schrei
Wie eine Schlange krümmt in wilder Raserei,
Sich selbst nur steigern will mit krampfhaftem Bemühen,
In letzten Zuckungen der Wollust zu erglühen.

Ach, wie viel lieber ist doch deine Sanftheit mir!
Welch schmerzlich-tiefe Lust empfind ich stets bei dir,
Wenn ich nach langem Flehn mich über dich darf neigen,
Und du dich ohne Rausch mir zögernd gibst zu eigen.

Wie sehr beglückt mich stets deine Verhaltenheit!
Stumm, schamhaft nimmst du hin all meine Zärtlichkeit,
Wirst lebhaft ohne Hast, pflegst nichts zu übereilen,
Um im Zusammenklang das Glück mit mir zu teilen.

 
 
12 
 Mai 
 
2012


 

Aus “Dir zur Feier”

Ich geh Dir nach, wie aus der dumpfen Zelle
ein Halbgeheilter schreitet: in der Helle
mit hellen Händen winkt ihm der Jasmin.
Ein Atemholen hebt ihn von der Schwelle, –
er tastet vorwärts: Welle schlägt um Welle
der großbewegte Frühling über ihn.

Ich geh dir nach in tiefem Dirvertrauen.
Ich weiß deine Gestalt durch diese Auen
vor meinen ausgestreckten Händen gehn.
Ich geh dir nach, wie aus des Fiebers Grauen
erschreckte Kinder gehn zu lichten Frauen,
die sie besänftigen und Furcht verstehn.

Ich geh dir nach. Wohin dein Herz mich führe
frag ich nicht nach. Ich folge dir und spüre
wie alle Blumen deines Kleides Saum..

Ich geh dir nach auch durch die letzte Türe,
ich folge dir auch aus dem letzten Traum…

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
Bereitstellung RilkeForum