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    Versuch einer Dichtung            

13 
 November 
 
2016

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Die Stoa | Philosophie
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Lebenskunst der Stoa


 

  • Der Schlüssel des Glücks liegt nicht unter der Laterne, wo wir bevorzugt suchen, sondern eher dort, wo es uns schon meist zu dunkel ist. Vielleicht liegt aber gerade an dieser Stelle der Schlüssel, den wir schon so lange vermissen. [1]Der verlorene Schlüssel oder „mehr desselben“
    Ein Betrunkener sucht unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel. Ein Polizist hilft ihm bei der Suche. Als der Polizist nach langem Suchen wissen will, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel hier verloren zu haben, antwortet jener: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster. Aus: “Anleitung zum Unglücklichsein (Paul Watzalwick)
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  • Die antike Philosophie verstand sich weit mehr als die heutige als Ratgeberin in praktischer Lebenskunst. Die Erkenntnis der Welt war nicht Selbstzweck, sondern sollte das Leben der Menschen verbessern. Für die Stoiker bildete daher die Ethik das Zentrum ihres Denkens.
    Sie befassten sich zwar auch mit anderen philosophischen Gebieten, vor allem mit der Logik und der Naturphilosophie, aber diese Untersuchungen standen letztlich alle im Dienste einer guten Lebensführung.
    Die Logik sollte etwa falsches Denken verhindern und die Naturphilosophie falsche Annahmen über die Natur und die Welt. Dadurch sollte vermieden werden, dass die Menschen sich aufgrund von Irrtümern Schaden zufügen, also falsch denken und auch falsch handeln und entsprechend schlechter leben.
    Logik und Naturphilosophie sollten also ein Fundament an Wissen bereit stellen für das richtige Handeln, nämlich das, was zum Glück führt.
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  • Das Ziel der stoischen Glücksphilosophie war anspruchsvoll.
    Die Stoiker wollten zeigen wie der Mensch nicht nur ab und zu, sondern dauerhaft und zuverlässig glücklich werden kann. Das Glück sollte nicht etwas sein, das einem Menschen einmal zufällig zu teil wird und dann auch wieder nicht, ohne dass er selber viel dazu tun kann, sondern jeder sollte tatsächlich – wie es unser Sprichwort sagt – seines Glückes Schmied sein.
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  • Die Stoa wollte Wege finden, wie der Mensch sein Glück selbst erwerben und auf Dauer bewahren kann. Nicht kurze Momente des Glücks waren das Ziel, sondern ein konstant glückliches Leben.
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  • Glück besteht im Erreichen aller Ziele, die man sich gesetzt hat.
    Wir sind glücklich, wenn wir all das erlangen, was wir möchten und all das vermeiden können, was wir nicht mögen.
    Unglücklich sind wir, wenn Lücken auftreten zwischen unseren Wünschen und deren Erfüllung.
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  • Wer also sicher und dauerhaft glücklich werden will, muss dafür sorgen, dass er alle seine Zwecke erreicht und alle Wünsche sich erfüllt. Wir wissen, dass dies im normalen Leben nicht der Fall ist. Der Mensch muss also etwas ändern.
    Da die natürlichen Umstände unseres Lebens sich nicht beliebig umgestalten lassen, kann dies nur die eigenen Wünsche betreffen und damit unsere Einstellung zu uns selbst und der Welt.
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  • Um alles zu können, was wir wollen, dürfen wir nur noch das wollen, was wir können.
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  • Wir dürfen unser Glück nur in Dingen suchen, die in unserer Macht stehen und immer für uns verfügbar sind. Nur auf diesem Weg ist es möglich, Enttäuschungen über nicht erfüllte Wünsche zu vermeiden und dauerhaft und sicher glücklich zu sein.
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  • Wir sollen nur das für wichtig halten, was wir aus eigener Kraft geschaffen haben oder verhindern können, ist die entscheidende Weichenstellung der stoischen Ethik mit weitreichenden Konsequenzen: Es gibt nämlich nur sehr wenige Dinge, die in unserer Macht stehen.
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  • Das Einzige also, das voll und ganz in unserer Macht steht ist unser Innenleben, unsere Seele. Und dies meint für die Stoa vor allem die Vernunft. Darüber gebieten wir. Darüber gebieten wir. Alles andere unterliegt unserem Einfluss nur begrenzt oder garnicht, angefangen von unserem Körper, über unseren Besitz bis zu allen anderen Dingen außerhalb von uns und auch dem Verhalten anderer Menschen.
    Man kann also nicht davon ausgehen, dass es immer so verfügbar ist oder sich so verhält wie wir es gerne hätten. Dann aber kann oder darf all dies nicht Gegenstand unseres Begehrens oder unserer Befürchtungen sein, denn sonst drohen Frustration und Unglücklichsein.
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  • Für unser Glück darf daher nur unser eigenes Innenleben wichtig sein: unsere Seele und unsere Vernunft, alles andere nicht.
    Damit scheiden, so befremdlich dies zumindest klingt so gut wie alle gängigen Glücksfaktoren aus.
    Wer dauerhaft und sicher glücklich sein will, muss all das, was normalerweise das Leben und Streben der Menschen prägt, als unwichtig ansehen: Reichtum, Macht, Ansehen, Gesundheit und sogar ein gesundes Familienleben.
    Für das persönliche Glück darf nichts davon ins Gewicht fallen, weil all dies nicht unserer Verfügungsgewalt unterliegt, zumindest nicht voll und ganz.
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  • So wie wir die guten äußerlichen Dinge nicht begehren sollen, so dürfen wir auch die äußerlichen Übel nicht fürchten. Wir müssen uns auch von ihnen innerlich frei machen.
    Das uns solche Übel treffen, können wir nicht verhindern, wohl aber, dass sie uns nicht innerlich berühren und unglücklich machen.
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  • Wer dies nicht erkennt und beherzigt, ist für Epiktet ein Träumer:
    “Wenn du willst, dass deine Kinder, deine Frau und deine Freunde ewig leben, bist du ein Narr.
    Denn du willst, dass du über das, worüber du nicht gebietest, DOCH gebietest.
    Und dass das, was dir nicht gehört, DOCH dir gehöre.
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  • Es gilt also zu erkennen, was nicht in unserer Macht steht und dies auch zu akzeptieren, das heißt auf solche Dinge keinen Anspruch zu erheben.
    Dann kann man nicht enttäuscht oder geschädigt werden.
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  • Entscheidend für unsere Befindlichkeit sind nicht Tatsachen, sondern unsere Meinungen darüber.
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  • Alles im Leben hängt von der Einbildung ab: Ehrgeiz, Verschwendung und Habsucht leben von ihr. Der Schmerz nicht minder. Jeder ist so unglücklich wie er zu sein glaubt. [2]Seneca
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  • Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge. [3]Epiktet
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  • Wir freuen uns über Dinge, die wir als erfreulich halten.
    Traurig sind wir nur über das, was wir als betrüblich ansehen.
    Und einen Schaden erleiden wir nur, wenn wir, was geschieht, als Schaden für uns betrachten, sonst nicht.
    Dies ist kein Ausblenden der Realität, sondern deren subjektive Komponente [4]Subjektivität bezieht sich sowohl auf das Einzelwesen als auch auf die Gesellschaft als Summe von Einzelwesen.
    Die Wirklichkeit, soweit sie uns betrifft, ist immer auch unsere Wirklichkeit.
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  • Meinung und Urteile lassen sich korrigieren, also auch unsere Ansichten über das, was begehrenswert und auch das, was zu fürchten ist.
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  • Denke aber vor allem daran den Vorgängen das Aufregende zu nehmen und zu sehen, was es mit den Schach selbst für eine Bewandtnis hat. Du wirst erkennen, dass es an ihnen nichts Schreckliches gibt, außer der Furcht selbst. [5]Seneca
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  • Die Dinge sind nicht schlecht, schlecht ist nur die innere Einstellung dazu, nämlich sie für wichtig zu halten.
    Die Dinge selbst, also etwa Reichtum, Ansehen, Gesundheit und auch der Tod sind NICHT schlecht, auch nicht gut, sondern gleichgültig. Sie gehen uns nichts an, zumindest soweit es unser persönliches Glück betrifft.
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  • Die Leidenschaften und Triebe wie Hunger, Durst, sexuelle Lust, Liebe und Hass bilden die größte Gefahr für die richtige innere Einstellung, weil sie uns immer wieder in Versuchung führen, das, worauf sie sich richten, als wichtig anzusehen.
    Dennoch sind sie an sich nicht schlecht, sondern zu unserer Selbsterhaltung notwendig.
    Wir müssen sie allerdings unter Kontrolle halten, durch unsere Vernunft. [6]Affektkontrolle
    Dann bleiben wir Herr unserer selbst.
    Nicht die Affekte beherrschen uns, sondern wir sie.
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  • Ein Mensch mit stoische Haltung lebt auch im Einklang mit der Natur, weil er sich den natürlichen Gegebenheiten widerstandslos beugt, nicht aus Feigheit oder Schwäche, sondern aus Einsicht.
    Das freiwillige Akzeptieren des ohnehin Unvermeidlichen macht das Leben leichter und schöner.
    Epiktet: “Verlange nicht, dass das, was geschieht, so geschieht, wie du es wünschst, sondern wünsche, dass es so geschieht wie es geschieht und dein Leber wird heiter dahin strömen.”
    Seneca: “Glücklich ist, wer mit den Umständen, wie immer diese sind, zufrieden ist und sich mit seinen Verhältnissen angefreundet hat.
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  • Seneca: “Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zehrt es mit sich.”
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  • Das Glück, das man durch eine stoische Lebenseinstellung gewinnen ist nicht das überschäumende Glücksgefühl, das wir uns meistens unter Glück vorstellen. Dies ist nach Auffassung der Stoa aber auch garnicht erstrebenswert: Denn auf jedes Himmelhoch-Jauchzend folgt ein Zu-Tode-Betrübt [7]Sinus-Kurve des Lebens.
    Das Glück soll ein stilles und konstantes Glück sein, eine Windstille der Seele, die uns souverän macht und in heiterer Gelassenheit auf die Stürme des Lebens blicken lässt. Es ist ein Freisein von jeglicher Erregung und ein Zustand des vollkommenen inneren Friedens. Darin besteht für die Stoiker das höchste Glück des Menschen.
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  • Epiktet: “Bedenke, du musst dich im Leben wie bei einem Gastmahl benehmen. Es wird etwas herumgereicht und du kommst an die Reihe. Strecke deine Hand aus und nimm bescheiden deine Portion! Es wird weitergereicht. Halte es nicht zurück! Es ist noch nicht bei dir angelangt. Richte nicht schon von Weitem dein Verlangen darauf, sondern gedulde dich, bis die Reihe an dir ist.
    So halte es auch mit dem Verlangen nach Kindern, nach einer Frau, nach Ämtern, nach Reichtum und du wirst einst ein würdiger Tischgenosse der Götter sein.”
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  • Sag’ nie von einer Sache: “Ich habe sie verloren!”,
    sondern: “Ich habe sie zurückgegeben!
    “Dein Kind ist gestorben – es wurde zurück gegeben!
    “Deine Frau ist gestorben – sie wurde zurück gegeben!
    “Man hat mir mein Grundstück gestohlen! Nun, auch das wurde zurück gegeben!” – “Aber es ist doch ein Schuft, der es mir gestohlen hat!” – “Was schert es dich, durch wen es der Geber von dir zurück forderte? Solange er es dir zur Verfügung stellt, behandle es als fremdes Eigentum wie die Reisenden ihre Herberge!”
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  • Wir sind nur Gäste auf der Erde und sollen uns auch entsprechend verhalten und zwar durchaus im eigenen Interesse, denn dies ist der Weg zu einem dauerhaftem Glück!
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  • Praktische Übungen für den Stoiker wären: die Achtsamkeit, das Erinnern und die Sorge.
    Die Achtsamkeit ist Aufmerksamkeit auf sich selbst. Wir sollen uns ständig selbst beobachten und prüfen, ob wir die richtige Einstellung haben und uns auch entsprechend verhalten.
    Das bewusste Erinnern der Grundregeln soll man sich immer wieder aufsagen: “Für mich zählt nur mein Inneres, meine Seele und das, was mir meine Vernunft sagt. Alles andere, was außerhalb von mir geschieht, ist gleichgültig. Es geht mich nichts an, sofern es nicht in meinem Machtbereich mit meinen mir zur Verfügung stehenden Mitteln liegt, es zu beeinflussen.
    Die Sorge sorgt für die Anwendung der Grundregel auf die Ereignisse des jeweiligen Tages. Am Morgen soll man sich die voraussichtlichen Geschehnisse des Tages vergegenwärtigen und sich vornehmen und ausmalen, wie man ihnen am besten begegnet. Und am Abend soll man überprüfen, ob man sich richtig verhalten hat oder nicht.
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  • Die Stoiker versuchen, aus einer Haltung der inneren Distanz und Souveränität heraus, die eigenen Wünsche den Verhältnissen anzupassen.
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Fußnoten[+]

 
 
27 
 August 
 
2012


 

Bei einem Wirte, wundermild,
da war ich jüngst zu Gaste;
ein goldner Apfel war sein Schild
an einem langen Aste.

Es war der gute Apfelbaum,
bei dem ich eingekehret;
mit süßer Kost und frischem Schaum
hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
viel leichtbeschwingte Gäste;
sie sprangen frei und hielten Schmaus
und sangen auf das beste.

Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
auf weichen, grünen Matten;
der Wirt, er deckte selbst mich zu
mit seinem kühlen Schatten.

Nun fragt’ ich nach der Schuldigkeit,
da schüttelt’ er den Wipfel.
Gesegnet sei er allezeit
von der Wurzel bis zum Gipfel!

 

Textdichter Ludwig Uhland
Lesung Florian Friedrich

 
 
18 
 August 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Pech (0:32)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Wahrlich, aus mir hätte vieles
Werden können in der Welt,
Hätte tückisch nicht mein Schicksal
Sich mir in den Weg gestellt.

Hoher Ruhm war zu erwerben,
Wenn die Waffen ich erkor.
Mich den Kugeln preiszugeben,
War ich aber nicht der Tor.

Um der Musen Gunst zu buhlen,
War ich wenig nur entfernt.
Ein Gelehrter wär ich worden,
Hätt ich lesen nur gelernt.

Bei den Frauen, ohne Zweifel,
Hätt ich noch mein Glück gemacht.
Hätten sie mich allerorten
Nicht unmenschlich ausgelacht.

Über einen Staat zu herrschen,
War vor allem ich der Mann.
Meine Gaben und Talente
Wiesen diesen Platz mir an.

König hätt ich werden sollen,
Der hoch über Fürsten ragt.
Doch mein Vater war ein Bürger,
Und das ist genug gesagt.

Wahrlich, aus mir hätte vieles
Werden können in der Welt,
Hätte tückisch nicht mein Schicksal
Sich mir in den Weg gestellt.

 

 
Recht empfindsam (4:01)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Meine teuren Eltern, habt Erbarmen,
Lasst mein Leid erweichen euren Sinn!
Nehm ich diesen Mann, in seinen Armen
Welkt ich zarte Blume bald dahin!

Mutter, sieh, wie sie sich zieret!
Hör, du dumme Trine du,
Einen Mann sollst du bekommen,
Greif mit beiden Händen zu!

Rauher Wirklichkeit nur wird er fröhnen.
Ohne Zartheit, ohne Poesie.
Ungebildet, wird er mich nur höhnen,
Mich verstehen wird er nie!

Mutter, die verfluchten Bücher
Sinds die ihr den Kopf verdrehn.
Waren wir denn je gebildet?
Konnten wir uns je verstehn?

Wo die Herzen fremd geblieben,
Knüpft ihr nicht ein ewig Band.
Kann nicht achten ihn noch lieben,
Nie erhält er meine Hand.

Mutter, hör die dumme Trine!
Hör doch, was es Neues gibt!
Haben wir uns je geachtet?
Haben wir uns je geliebt?

Lieber in ein Kloster fliehen,
Oder in ein frühes Grab.
Dieser Schmach mich zu entziehen,
In die Flut stürz ich hinab!

Hast du endlich ausgeredet?
Gut, du bleibst mir heut zu Haus!
Hältst dein Maul und nimmst den Bengel!
Punktum, und das Lied ist aus.

 

 
Der rechte Barbier (6:05)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

»Und soll ich nach Philister Art
Mir Kinn und Wange putzen,
So will ich meinen langen Bart
Den letzten Tag noch nutzen.
Ja, ärgerlich, wie ich nun bin,
Vor meinem Groll, vor meinem Kinn,
Soll mancher noch erzittern!

Holla! Herr Wirt, mein Pferd! Macht fort!
Ihm wird der Hafer frommen.
Habt ihr Barbierer hier im Ort?
Lasst gleich den rechten kommen.
Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
Doch nirgends noch den rechten.

Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
Du sollst den Bart mir kratzen.
Doch kitzlig sehr ist meine Haut,
Ich biete hundert Batzen.
Nur, machst du nicht die Sache gut,
Und fließt ein einzges Tröpflein Blut –
Fährt dir mein Dolch ins Herze.«

Das spitze, kalte Eisen sah
Man auf dem Tische blitzen,
Und dem verwünschten Ding gar nah
Auf seinem Schemel sitzen
Den grimmgen, schwarzbehaarten Mann
Im schwarzen, kurzen Wams, woran
Noch schwärzre Troddeln hingen.

Dem Meister wirds zu grausig fast,
Er will die Messer wetzen.
Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
Es packt ihn das Entsetzen.
Er zittert wie das Espenlaub.
Er macht sich plötzlich aus dem Staub
Und sendet den Gesellen.

»Einhundert Batzen mein Gebot,
Falls du die Kunst besitzest.
Doch, merk es dir, dich stech ich tot,
So du die Haut mir ritzest.«
Und der Gesell: »Den Teufel auch!
Das ist des Landes nicht der Brauch.«
Er läuft und schickt den Jungen.

»Bist du der rechte, kleiner Molch?
Frischauf! Fang an zu schaben.
Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
Das beides ist zu haben!
Doch schneidest, ritzest du mich bloß,
So geb ich dir den Gnadenstoß.
Du wärest nicht der Erste!«

Der Junge denkt der Batzen, druckst
Nicht lang und ruft verwegen:
»Nur still gesessen! Nicht gemuckst!
Gott geb euch seinen Segen!«
Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
»Gottlob, nun seid ihr fertig.« –

»Nimm, kleiner Knirps, dein Geld nur hin.
Du bist ein wahrer Teufel!
Kein andrer mochte den Gewinn,
Du hegtest keinen Zweifel.
Es kam das Zittern dich nicht an,
Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
So stach ich dich doch nieder.« –

»Ei! guter Herr, so stand es nicht.
Ich hielt euch an der Kehle.
Verzucktet ihr nur das Gesicht,
Und ging der Schnitt mir fehle,
So ließ ich euch dazu nicht Zeit.
Entschlossen war ich und bereit,
Die Kehl euch abzuschneiden.« –

»So, so! ein ganz verwünschter Spaß!«
Dem Herrn wards unbehäglich.
Er wurd auf einmal leichenblass
Und zitterte nachträglich:
»So, so! das hat ich nicht bedacht,
Doch hat es Gott noch gut gemacht.
Ich wills mir aber merken.«

 

 
Die alte Waschfrau (x:xx)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Du siehst geschäftig bei dem Linnen
Die Alte dort in weißem Haar,
Die rüstigste der Wäscherinnen
Im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit sauerm Schweiß
Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen,
Und ausgefüllt mit treuem Fleiß
Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

Sie hat in ihren jungen Tagen
Geliebt, gehofft und sich vermählt.
Sie hat des Weibes Los getragen.
Die Sorgen haben nicht gefehlt.
Sie hat den kranken Mann gepflegt.
Sie hat drei Kinder ihm geboren.
Sie hat ihn in das Grab gelegt
Und Glaub und Hoffnung nicht verloren.

Da galts die Kinder zu ernähren.
Sie griff es an mit heiterm Mut.
Sie zog sie auf in Zucht und Ehren.
Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Doch ihre Kinder wurden groß und bald
Entließ sie segnend ihre Lieben.
So stand sie nun allein und alt,
Doch war ihr heitrer Mut geblieben.

Sie hat gespart und hat gesonnen
Und Flachs gekauft und nachts gewacht.
Den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
Das Garn dem Weber hingebracht.
Der hats gewebt zu Leinewand.
Die Schere brauchte sie, die Nadel
Und nähte sich mit eigner Hand
Ihr Sterbehemde ohne Tadel.

Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es,
Verwahrts im Schrein am Ehrenplatz.
Es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort
Am Sonntag früh sich einzuprägen.
Dann legt sies wohlgefällig fort,
Bis einst darin zur Ruh sie legen.

Und ich, an meinem Abend, wollte,
Ich hätte, diesem Weibe gleich,
Erfüllt, was ich erfüllen sollte
In meinen Grenzen und Bereich.
Ich wollt, ich hätte so gewusst
Am Kelch des Lebens mich zu laben,
Und könnt am Ende gleiche Lust
An meinem Sterbehemde haben.