Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

22 
 Dezember 
 
2022


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Hermann Hesse
BEREITSTELLUNG Lyrik-Klinge



Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

 
 
24 
 Juli 
 
2022


 
Ibykos
Ibykus
griechischer Sänger aus Rhegium

 

Musik
MVMB & Ticon – Something Sleeps Inside Us

24/02/2018
[ Bemerkung zum Text ] [1] Ich distanziere mich explit zu Bezügen aus meinem privaten Umfeld,
die rein zufällig wären.

Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
der auf Corinthus Landesenge
der Griechen Stämme froh vereint,
zog Ibykus, der Götterfreund.

Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
der Lieder süßen Mund Apoll,
so wandert’ er, an leichtem Stabe,
aus Rhegium, des Gottes voll.

[…]

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken
und in Poseidons Fichtenhain
tritt er mit frommem Schauder ein.

aus: “Die Kraniche des Ibykus” [2]von Friedrich Schiller

 

Isthmus’ heiliger Götterhain

Zarter Stämmchen Moosgeschmeid
süßer Rinde Harzgeträuf
berger Äste Friedenshort
reger Zweige Föhngestreich
webend’ Blätter Trostgeflüster
lichter Kronen Wogensang

meiner Laute [3]Stimme und Instrument zugleich Silberklang.
→ zu Mnemosynes Geleit
Pygmalions Werkstatt

Fußnoten[+]

 
 
22 
 April 
 
2022

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Gedankenschau
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Meistermaler Helios

Zulang bemessen die Frist des alljährlich währenden Winters,
in jene Hades den Anspruch erhob, dass Demeters Tochter
teile mit ihm den Thron im Reiche der Schatten.

Nun nahte
wieder der Frühling und mit ihm der sehnliche Aufstieg zum Lichte!
Doch noch fehlt’ es an Blumen, das Haupt der Wiedergekehrten
kränzend zu schmücken. Also befahl des Olympos Regent, der
wohlweise Zeus, nun dem Sonnengott Helios: “Wie *ich* mit dem Bündel
gleisender Blitze vermag finst’re Nacht zu erhellen, genüge
du dich am Tage und sende aus goldenem Köcher ihm nun die
prunkenden Pfeile! Husch, husch, rasch an’s Werk, es warten bereits des
Erdenreichs Zöglinge, die Pflanzen, voll Ungeduld der lichteren Tage.”

Helios gedachte bei sich: “Nur die Berge und Täler mit Licht zu
fluten, genüget mir nicht. Im blendenden Strahle ergleisen
würde alles sodann wie doch Zeus des Nachts schon getan … nein,
tauschen will meine Pfeile ich gegen sorgsam gewählte
Pinsel, sie tauchen in Floras köstliche Gabe, Hyazinthos’
Farbenpalette: In Lotos’ schneeischem Weiß, in Narzissos’
Gelb, in das Rot des Adonis’, ….” und mischte nach Vorbild der Iris’
farbenschimmerndem Steg zu erlesenen Farben sie nun.

Hier nun die Farben, hier Staffelei, von Uranos selbst nun
als Firmament ihm entliehen, spannte genügsamen Blicks nun
auf die Leinwand der Gott den heiteren Himmel, bereits in
stählerner Bläue grundieret, vereinzelt mit Wölkchen versehen.
Und wo kein Silbergewölke verweilte erwecket mit farb’gem
Streich er Magnolien am knospen Gezweige und rahmte vollendend
nunmehr sein Tagwerk mit rankem Verlangen der Äste sein Bild.