Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

31 
 Mai 
 
2008


 

DICHTUNG Johann Wolfgang von Goethe
LESUNG Christian Brückner
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Kein Wesen kann zu Nichts zerfallen!
Das Ew’ge regt sich fort in allen,
am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
bewahren die lebend’gen Schätze,
aus welchen sich das All geschmückt.

Das Wahre war schon längst gefunden,
hat edle Geisterschaft verbunden;
das alte Wahre, faß’ es an!
Verdank’ es, Erdensohn, dem Weisen,
der ihr, die Sonne zu umkreisen,
und dem Geschwister wies die Bahn.

Sofort nun wende dich nach innen,
das Zentrum findest du dadrinnen,
woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen:
denn das selbständige Gewissen
ist Sonne deinem Sittentag.

Den Sinnen hast du dann zu trauen,
kein Falsches lassen sie dich schauen,
wenn dein Verstand dich wach erhält.
Mit frischem Blick bemerke freudig,
und wandle sicher wie geschmeidig
durch Auen reichbegabter Welt.

Genieße mäßig Füll und Segen,
Vernunft sei überall zugegen,
wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
das Künftige voraus lebendig,

Der Augenblick ist Ewigkeit.
Und war es endlich dir gelungen,
und bist du vom Gefühl durchdrungen:
Was fruchtbar ist, allein ist wahr;
du prüfst das allgemeine Walten,
es wird nach seiner Weise schalten,
geselle dich zur kleinsten Schar.

Und wie von alters her im stillen
ein Liebewerk nach eignem Willen
der Philosoph, der Dichter schuf,
so wirst du schönste Gunst erzielen:
Denn edlen Seelen vorzufühlen
ist wünschenswertester Beruf.

 
 
16 
 Mai 
 
2008

abgelegt in
Kapitel III.

 

 



Prometheus
 

Körper und Geist

Ewig entrauscht schon kristallenem Urquell des göttlichen Willens
wundersam Seele, bestrebt, Heimat im Weltenbezirk,
Wohnung in ird’schem Gefäße zu finden. Denn die Idee des
Wahren, des edleren Sinns göttlich verborgenen Seins
möchte als ew’ge Gestalterin in der Welt der Erscheinung,
in der Materie Reich einzig beheimatet sein.

Möchte gestalten der klumpen Masse sterbliche Hülle,
prägen und kunstvoll grazil Anmut verleih’n. Und die Hand
bildenden Geists formt geduldig nach höherm Prinzip das
Wesen allen Geschöpfs: Pflanze, Getier als auch Mensch.

Denn im Vergänglichen erst reift die Vernunft, sie zähmt ihrer Stoffe
wilder Mechanik und drängt zur Vervollkommung hin.


 


 

Also erhub auch Prometheus, der stolze Titanensohn sich, be-
seelten Tatendrangs voll. Denn der Leib der Erdengeschöpfe
ward noch nicht so beschaffen, dass göttlicher Geist ihn beherrschen,
gänzlich Besitz gar ergreife konnte und befriedet, bezwung’ne
Triebe in heiligem Wandel sich zeigten.

Sei’n es die Pflanzen,
oder die Tiere, die wilden, alles noch folgte dem Laster
planlosem, blindem Gefüge.

Jenes gewahrte Prometheus,
nahm drum vom Ton feuchter Grube und formte geduldig den Klumpen,
dass er fasse geschmeidige Züge von Menschengestalt, als
rühmendes Ebenbild des olympischen Herrschergeschlechtes:
 

Hände liebkosten und Finger polierten mit Gleichmaß des plumpen
Lehmkloßes schroffe Konturen, damit aus der Ungestalt Erden-
scholle mit Feingefühl die nun rundungsvolle durch Venus’
Gnaden schönheiterstehende Statur rankt und dann tonge-
brannt im Farbgewand noch lieblicher prangt schönes Kunstwerk.

 
Was jedoch nutzen dem prunken Gefäß zierlich gewundene Linien?
Was gebieren die rührenden Seufzer bei andächt’ger stiller
Wohlgestalt? Oh, nimmer mit gar weiser Einsicht erspüren
sie den rechten Pfad auf des Lebens Drangsal verschlung’nen
Wegen!

So trat die Göttin der Weisheit, Pallas Athene,
barmend hinzu und blies in das tönern Gefäß nun den Geist, und
göttlicher Funke entfachte in bisher erfahr’ner Umnachtung.

Nebst der Athene Geschenk, der Vernuft, bescherte Hephaistos,
Glieder beseelend, die Erdengebor’nen mit Fingergeschick für
klugen Werkzeuggebrauch: der Kultur empfangene Segnung.

Eins in das and’re ergossen: Der wohlgeziemeten Götter
Tracht in wohlgelungene Fleischespracht. Für das heilig
Amt nun bedacht, entsendet als ird’schen Regenten an götter-
statt, um durch frommer Sitten Bewahrung mit heilsamen Händen
treu zu verwalten das kostbare Erdengut, als Leihpfand der Götter.

 

16ter Mai 1827,  Scardanelli *    

 
 
1 
 Mai 
 
2008

abgelegt in
Kapitel II.

 

Der schaffende Weltgeist als Triumphator

 
Im Anfang der jungend Erdenzeit,
als fahler Sternenglanz des Himmelsgewölbes
noch mit matter Wange
in die ewigen Wasser des Weltmeers hinabblickte,
bedrang der Finsternis dichtgewebtes Nebelkleid
des goldenen Sonnenballes
hehren und immerdar währenden Glanzes.

Weiterlesen »