Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

27 
 April 
 
2019


 

Die hoffnungsfrohe Mondgöttin

 
MUSIK
Claude Debussy [1]Clair de lune


Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Rainer Maria Rilke [2]aus: “Das ist die Sehnsucht”

 
Silberklang

 
Was birgt
der Genien Geisterreich?

Was wirkt
der Parzen [3]Gemeint ist insbesondere die Schicksalsgöttin Klotho,
die den Lebensfaden spinnt.
Fingerstreich [4]Schicksalsstreich
am sausend Webgestühl
der Schicksalsgöttin Tyche?
Was bürgt
des Zwirnes wirrer Lebensfaden?

Was hält
Apollons [5]Gott der Dichtkunst und des Gesanges Saitenspiel,
die heit’ren und oft klagen Lieder, [6]die munt’ren und auf traur’gen Lieder
mir nun auf dumpfer Leier [7]auf missgestimmter Leier
wohl bereit?

* * *

In all dem brausend Weltgewühl,
wo finde tröstend ich mich ein?

An deiner treuen Seit’,
Gefährtin Einsamkeit,
nun wieder?

* * *

Es rauscht
im stillern Hain [8][…], trostentlaubt
auf dunklen Herzenspfaden
der zagen Zweifel Nachtesschwinge. [9]der Zweifel zagen Nachtesschwinge

Es lauscht
vergeblich Hoffen,
für und für,
dem wehen Ruf aus trauter Ferne,
der hoffnungsfroh [10]windeseil an mich erginge… [11]die lebensmatte Brust durchpfeilt

* * *

Und über mir
Selenes mondnes Haupt,
wo stumm der silbern Sichelmund
im wolken Feierkleide weilt. [12]im wolken Feierkleid verweilt

Nur ihrer Augensterne Liedchoral,
tönt lächelnd mild
mir schimmertrunken [13]tönetrunken nieder,
und träuft [14]träumt in meines Anlitz’ Nachtesweiher
aufs dämmerschweigende Gefild.

Vom gleisen Niedergange
lichter Quelle himmlisch Lauten,
schäumt meiner flauten Wange
die flüsternd Welle
und träumt im leisen Wogenklange, [15]Wogengange
enthoben [16]erlöset / zerstoben nun der nied’ren Qual nun von nied’rer Qual.

→ zu Mnemosynes Geleit
Pygmalions Werkstatt

Fußnoten[+]

 
 
9 
 April 
 
2018


 

Der fabulierende Ares
Kriegsschau #4

Musik
Claude Debussy [1]Clair de lune

Kampflos gewonnen
Bad Hersfeld – 2010

Köstliches Los, das mir bisher vergönnt ward, nun heute gefallen:
Mächtig, mit stemmendem Arm eines Atlas, stieß ich des Königs
Bauern von friedlicher Reihe vor zu der feindlichen Linie
zentrumsbeherrschend auf e4.

Gegenwehr blieb aus.
Mein Gegner säumte den kraftvollen Auftakt bevorsteh’nder Schlacht,
überhörte die zum Turniere geblasene Kriegesposaun’ und verweilte
anderen Ortes privater Lustbarkeit. Wer konnt’s ihm verwehren?
15 Minuten verstrichen. Ich reklamierte Gewinn und … obsiegte!

Weder Ponziani, der Kampfschacherprobte, noch Philidor, der Recke,
hätten an diesem Tage besser gespielet.
Niemals zuvor empfand ich Sterblicher mich diesen Heroen
schachlichen Genius’ näher gerückt und fühlte mit ihnen
gleichen Puls schlagen, fühlte gleiches Herz pochen im Busen.

Schnell war der Bleistift gezückt, historisch brisanten Moment skiz-
zierend. Die staunende Schachwelt begehret ja ständig Rapport und
forschet auch stets nach aufgeh’nden Sternen am schachlichen Himmel.
So auch an diesem Tage, der Stunde Null des bis dahin
unscheinbaren aber nunmehr erwachten Talentes.

Ich verließ den Turniersaal, den Tummelplatz leidiger Spieler…
Was zu meinem Hotel mich dann trug, ich konnt’s nur erahnen:
Hermes, der Herold der Götter, entlieh’ den beflügelten Schuh’ mir.
Aller irdischen Banden gelöset ließ mich der Taumel
jüngsten Sieges entschweben, krönte mit Lichtesglanz mich und
meiner geistigen Grazie gewiss erblasste die Welt in
schlichten Farben. Am Ziel angekommen verlangte es mich ein
Bad zu nehmen, im hauseig’nen Schwimmbad, dem wohltemperierten.

Wie mein Schachfreund Benno dem sonst so gezähmeten Springer
aller Eröffnungskunde zum Trotz die Sporen versetzet,
ich – vom Siege geritten – stürzte mich gleichfalls jeglich Gebotes
widrig in eben geglättetes Wasser, der mich empfangenden
Flut und … jähe Entdeckung, als auf dem Rücken ich schwamm: es
waren flammende Kerzen montiert an erhabener Decke,
die, durch gezogene Linien verbunden, Sternbild um Sternbild dem
wachsamen Aug’ offenbarte, wie zum Beispiel der „Drache“.

Ob mein Vereinsfreund Achim das Drachensystem heut’ gewählet?
Speit’ ihm aus Bauern erschaffener Höhle drohend der Läufer?
Wer braucht’s zu wissen? Ich trieb auf ruhiger Welle gemählich
siegreich dem „Großen Wagen“ entgegen, gewahrte die hellste
Kerze als hellstes Gestirn, den Polarstern. Wohl dem, der vom Ruhme
sicher getragen dahintreibt auf glorreichem Strome des Glückes.

→ zu Mnemosynes Geleit
Caissas Liebesgeschenke

Fußnoten[+]

 
 
14 
 September 
 
2012


 

https://www.youtube.com/watch?v=QGRe2wF6Dnk

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien !
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

 

Textdichter Friedrich Hölderlin
Lesung Alexander Khuon
Bereitstellung Wortlover