Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

9 
 Februar 
 
2008

abgelegt in
Gedankenschau

 

In der Straßenbahn

» Was guckst du so blöde? «
» Wer? Ich? «
» Ja, DU! «

» Ich schaue nicht blöde, eher gelangweilt … gelangtweilt vom hektischen Verkehrsgetriebe, von den noch hektischeren, geschäftigen und anonymen Menschenmassen, kurzum: vom mich wieder ereilten Alltag einer pulsierenden Großstadt.

Und insbesondere gelangweilt von solchen Menschen wie dir, die glauben, sie könnten sich aus dieser grauen, tristen Masse der Anonymität, der Eintönigkeit emporschwingen, indem sie durch provokante Zurufe “auf”-zufallen sich erhoffen, um dadurch in den Fokus meiner näheren Betrachtung zu gelangen, meiner sinnlichen Anteilnahme an ihrem Dasein.

Du könntest auch deine sicherlich gesprächigeren Fäuste reden lassen, das würde mir auch keinen spürbaren Reiz zuführen, der mich aufhorchen ließe.
Auch über dich hat sich der graue Schleier der Anonymität gelegt, bist eins mit der leblosen Objektwelt um mich geworden, die in gefühlserkalteter Manier selbstgefällig sich nur selbst meint.

Wieso sollte ich dich -in alles in der Welt- also “blöde angucken”?

Ich schaue dich nämlich NICHT an, mein Blick ist nach innen gewandt und lediglich mein Kopf wendete sich in die Richtung, in der du vor gut zwei Haltestationen Platz genommen hast.

Du hättest dich auch woanders hinsetzen können.
Zur alten Dame mit ihrem Schoßhündchen, zum Beispiel.
Zum zeitungslesenden Geschäftsmann.
Zu den lärmenden Schulkindern.
Oder einfach -stehend- neben den Fahrkarten-Entwerter.

Aber NEIN, DU musstest ja dich unbedingt mir gegenüber hinsetzen.
Einfach so. Rein zufällig.

 
Natürlich könnte ich meinen gedankenversunkenen Blick auch aus dem Fenster richten.
Oder zur alten Dame mit ihrem Schoßhündchen.
Zum zeitungslesenden Geschäftsmann.
Zu den lärmenden Schulkindern.
Oder einfach nur auf den Fahrkarten-Entwerter.

Aber NEIN, ICH wendete meinen Kopf, und NUR meinen Kopf, dir zu.
Einfach so. Rein zufällig. «

 
 
29 
 Mai 
 
1995


 

Ein Fragment

Klemens (Novize) und sein Novizenmeister. Streif im dämmernden Abendlicht.

Klemens
andächtig gen Himmel blickend, die Brust sich weitend

Oh, süße Stille,
mein Herz erfülle,
an dieser freudgeweihten Stätte hier.
Der Grashalme Reigen,
mir Majestät zeigen,
und selbst die Bäume bilden Spalier.
Die Zapfen der Zweige
beschweren zur Neige,
beschirmen mir das Haupt,
sich demütig beugend
und damit mir zeugend,
dass ich zum König werd’ geglaubt.

Novizenmeister
ernüchternd ironisch

Vielleicht könnten eure Majästät,
wenn’s in euren Mächten steht,
zu flottem Fuße euch bequemen
und des Dichters Zunge zähmen?
Sollten wir auf ewig hier verweilen
anstatt im Ziele einzukehren
so könnt’ die Mitternacht uns jäh ereilen
und uns mit Wölfen Übles bescheren!

Klemens (Novize)
einsichtig

Oh, verzeiht dies überschäumend Schwärmertum,
Herrschaftsdenken und eitlen Ruhm!
Doch eurer harten Rede antreibender Sporen
wird von meinen müden Gliedern abgeschworen,
die verfror’nen Sinne allmählich schwinden
nach Atemluft ringend, stetig keuchend,
geschöpfter Odem mir prompt entfleuchend,
soll ich zum Meilenschritt mich überwinden?

Novizenmeister
eindringlich

… und das ohne Säumen,
zerschlag’ das lebhafte Träumen,
und weiche von des Hirngespirnsten hölzern’ Furt!
Denn des blühenden Geistes Edelgeburt,
das sprudelnde Dichten in gereimten Versen,
zeuget mir von waltender Kraft
und beflüg’le nun in teilender Brüderschaft
die wankenden Füße und schmerzenden Fersen!

Klemens (Novize)
sich rechtfertigend

Ich wollt’ euch keineswegs erregen,
was straft ihr mich mit peitschend’ Schlägen?
Nur des Zeitvertreibes wegen…

Novizenmeister
aufbrausend

Genug jetzt mit dem Schwollwerk lyrischer Rede!
Wenn alles nach der Poesie sich drehte:
Gedichte verfassen mit schmelzendem Sinn,
Liebesschwüre schwingen und Ständchen singen
anstatt doch geistlich’ Siege zur erringen,
wo käm’ der Weltenlauf denn hin?

beruhigt

Schönheit, Romantik und Dichterliebe,
dies sind wahrlich güld’ne Triebe,
die da sprießen in der Jugend
und es ist freilich eine Tugend!
Doch sollten wir nicht nach Höherem streben
als nur der Leidenschaft uns hinzugeben?
Denn diese Worte sind vergänglich,
der Lohn dir aber überschwenglich,
der im Himmel uns empfängt,
gleich dem ew’gen Leben, das uns geschenkt!
Wenn wir uns nicht nach IHM ausrichten
ist unser irdisch’ Wandel wohl fürnichten!
Dann gleichen wir der Nelke,
die da sprieße, blühe und verwelke…

Klemens (Novize)
unterbrechend

… Soll demnach das Tongefäß des himmlischen Töpfers
sehnend für das Jenseits schwärmen
sich nicht am diesseitigen Freudenfeuer wärmen?
Ist dies das wahre Bestreben uns’res Schöpfers?

Novizenmeister
einlenkend

Gott bewahre dich vor falschen Schlüssen!
Nur ein überschwenglich’ Maß an ird’schen Genüssen,
wird dem Menschenkind zum Fallstrick:
Geldgier, Saufgelag’ und üpp’ges Mästen,
Hurerei auf ausschweifenden Festen,
vernebelt dir den klaren Himmelsblick!

Klemens (Novize)
den Gasthof/Kapelle erblickend

Meister, schaut eine Lichterquelle!

Novizenmeister
in der Rede noch versunken, beruhigend aufatmend

Gottlob, hab ich dir, Weggeselle,
ein strahlend’ Licht entfacht
in dunkler Geistesnacht!

Klemens (Novize)
berichtigend

Doch Meister, ich meinte nicht
das Geisteslicht,
getrübten Verstandes mangelnder Einsicht
[…]