Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

7 
 Oktober 
 
2012


 

Jüngst war seine Mutter zu Besuch.
Doch sie konnte nur zwei Tage bleiben.
Und sie müsse Ansichtskarten schreiben.
Und er las in einem dicken Buch.

Freilich war er nicht sehr aufmerksam.
Er betrachtete die Autobusse
und die goldnen Pavillons am Flusse
und den Dampfer, der vorüberschwamm.

Seine Mutter hielt den Kopf gesenkt.
Und sie schrieb gerade an den Vater:
“Heute abend gehen wir ins Theater
Erich kriegte zwei Billets geschenkt.”

Und er tat, als ob er fleißig las.
Doch er sah die Nähe und die Ferne,
sah den Himmel und zehntausend Sterne
und die alte Frau, die drunter saß.

Einsam saß sie neben ihrem Sohn.
Leise lächelnd. Ohne es zu wissen.
Stadt und Sterne wirkten wie Kulissen.
Und der Wirtshausstuhl war wie ein Thron.

Ihn ergriff das Bild. Er blickte fort.
Wenn sie mir schreibt, mußte er noch denken,
wird sie ihren Kopf genau so senken.
Und dann las er. Und verstand kein Wort.

Seine Mutter saß am Tisch und schrieb.
Ernsthaft rückte sie an ihrer Brille,
und die Feder kratzte in der Stille.
Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!

 

Textdichter Erich Kästner
Gesang Joeczy

 
 
4 
 September 
 
2012


 

Ich bin ein Bewunderer der klassischen Musik, vor allem auch des Rezitativs in der Oper, ein dem Sprechen angenäherter Gesang. Daher gefällt mir die musikalische Abrundung, wenn auch islamisch geprägt.
Trotzdem meine ich, dass es bei diesem Vortrag um einen “unpersönlichen Gott” geht, um ein Schöpfungsprinzip. Vom Judengott, Christengott oder Muslimengott war nicht die Rede und ich finde es schade, dass dadurch der Eindruck entsteht, der wunderbare Gesang dient Instrumentalisierungszwecken einer Offenbarungsreligion…

 

Moderator Johannes B. Kerner
Gast Prof. Harald Lesch
Bereitstellung Hindenbrugstrasse

 
 
14 
 April 
 
2012


 

DICHTUNG Bert Brecht
GESANG Bert Brecht
MUSIK Kurt Weill
BEREITSTELLUNG Deweycheatumnhowe


 

Das Lied von der Unzulänglichkeit
des menschlichen Strebens


Der Mensch lebt durch den Kopf
der Kopf reicht ihm nicht aus
versuch es nur; von deinem Kopf
lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlau genug
niemals merkt er eben
jeden Lug und Trug.

Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höch´res Streben
ist ein schöner Zug.

Ja; renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr!
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht anspruchslos genug
drum ist all sein Streben
nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
drum hau ihn auf den Hut
hast du ihn auf den Hut gehaut
dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht gut genug
darum haut ihn eben
ruhig auf den Hut.