Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

2 
 Februar 
 
2016

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In deinen Tälern wachte mein Herz mir auf
Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,
Und all der holden Hügel, die dich
Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir.

Auf ihren Gipfeln löste des Himmels Luft
Mir oft der Knechtschaft Schmerzen; und aus dem Tal,
Wie Leben aus dem Freudebecher,
Glänzte die bläuliche Silberwelle.

Der Berge Quellen eilten hinab zu dir,
Mit ihnen auch mein Herz und du nahmst uns mit,
Zum stillerhabnen Rhein, zu seinen
Städten hinunter und lustgen Inseln.

Noch dünkt die Welt mir schön, und das Aug entflieht,
Verlangend nach den Reizen der Erde mir,
Zum goldenen Paktol, zu Smyrnas
Ufer, zu Ilions Wald. Auch möcht ich

Bei Sunium oft landen, den stummen Pfad
Nach deinen Säulen fragen, Olympion!
Noch eh der Sturmwind und das Alter
Hin in den Schutt der Athenertempel

Und ihrer Gottesbilder auch dich begräbt,
Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt,
Die nicht mehr ist. Und o ihr schönen
Inseln Ioniens! wo die Meerluft

Die heißen Ufer kühlt und den Lorbeerwald
Durchsäuselt, wenn die Sonne den Weinstock wärmt,
Ach! wo ein goldner Herbst dem armen
Volk in Gesänge die Seufzer wandelt,

Wenn sein Granatbaum reift, wenn aus grüner Nacht
Die Pomeranze blinkt, und der Mastixbaum
Von Harze träuft und Pauk und Cymbel
Zum labyrinthischen Tanze klingen.

Zu euch, ihr Inseln! bringt mich vielleicht, zu euch
Mein Schutzgott einst; doch weicht mir aus treuem Sinn
Auch da mein Neckar nicht mit seinen
Lieblichen Wiesen und Uferweiden.


 

Textdichter Friedrich Hölderlin
Lesung Bruno Ganz
Musik Alessandro Marcello

 
 
9 
 September 
 
2015


 

 
Johannes Kaup hat Eugen Drewermann anlässlich seines 70. Geburtstages nach seinem Glauben gefragt.

Wenn wir wie Petrus einen Moment lang nichts sehen als den Gang der Wogen, nichts anderes hören als das Brausen des Sturms und die Angst uns selber in den Abgrund zieht, dann wäre eine einzige Rettung: Wir schauen in die Augen der Person, die vom anderen Ufer auf uns zukommt.
Wenn wir das tun, hört die Angst auf, nur ein sterbliches Wesen zu sein, das im Kreislauf des Energiehaushaltes der Natur hervorgebracht und zurückgenommen wird nach bestimmter, kurzer Zeit. Wir bekommen eine Würde in unserem eigenen Leben.
Da ist ein Absolutes, das uns gemocht und gewollt hat und das uns bejaht in unserer Existenz und bei der Hand nimmt.
Das sind die Inhalte der ganzen Botschaft Jesu.

 
 
30 
 August 
 
2011


 


 
Ich finde das Bild des liebevollen, himmlischen Vaters, das Jesus uns im Gleichnis des verlorenen Sohnes gezeichnet hat, weitaus stimmiger, gotteswürdiger und vor allem menschenfreundlicher als die etwas abwegig gekommene “Schäfer”-Metapher Davids in Psalm 23.

Sicherlich ist ein Schäfer bemüht, seine Schafherde zu behüten.
Doch letztlich dient diese Bewahrung nur dem eigensinnlichen Bestreben des Schäfers, den wirtschaftlichen Nutzen seiner Herde zu sichern (in der Banksprache lautet dies: Effektive Verzinsung des eingesetzten Kapitals).
Die wirtschaftliche Nutzung (Wolle, Milch und Fleisch) steht im Vordergrund, nicht der authentisch liebende Bezug.

Während uns also Jesus mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn in die liebenden, herzlich empfangenden Arme des himmlischen Vaters treibt (Amen! so soll es auch sein), treibt der Schäfer in Psalm 23 seine Schutzbefohlenen über kurz oder lang zur Schlachtbank.
Das malerische Schäferidyll der “grünen Auen” und dem “frischen Wasser” von David kann mich aus heutiger Sicht (→Massentierhaltung) nicht gänzlich überzeugen und gereicht schließlich nicht der Hoheit des Gottesbildes.
Aber Christen leben ja nicht mehr unter dem Gesetz (AT), sondern unter der Gnade (NT), der Freiheit, und daher beanspruche ich persönlich für mich das Vaterbild, das uns Jesus vermittelt.

 
 

Ich denke, jeder kann aus den Erzählungen der Bibel jenes für sich persönlich beanspruchen, welches ihm Kraft und Stütze spendet in Zeiten der Not.
Die Geschichten/Metaphern sind letztlich zusammengetragene, geronnene menschliche Erfahrungen zu allen Zeiten der Menschheit und lassen sich oft auf die Gegenwart, auf den gegenwärtig-aktuellen, ganz privaten Kontext übertragen („Übertragung“ von meta-phorein (griech.) „übertragen, übersetzen, transportieren“).
Die Geschichten haben eben nicht an Aktualität verloren (ähnlich wie die Schiller-Dramen), weil sich der Mensch von damals in seiner Grundstruktur nicht wesentlich geändert hat, ebenso die göttlichen, allwaltenden Prinzipien.

Insofern berührt mich auch nicht die Debatte, welche Religion denn nun von welcher abgeschrieben haben könnte, ob sich z.B. der Autor des ATs am durchaus älteren Gilgamesch-Epos bedient hat. Parallelen hierzu gibt es genüge.

Wieso bin ich nicht an “Plagiats-Debatten” interessiert?
Weil es bei religösen Erzählungen immer primär um menschliche Erfahrungen geht.
Weil nämlich nicht nur in jeder religiösen Geschichte eine Ur-Erfahrung mit Gott uns nahe gebracht wird, sondern hinter allem ein Hoher Wille steht, den die Christen “Gott” nennen, die Muslimen “Allah”, die Juden “Jehova”, …

Wer nunmehr behauptet, die Bibel sei eine Ansammlung von Märchengeschichten, der hat mit der falschen “Lesebrille” gelesen und die poetischen Gestaltungsmittel (z.B. Spannungskurven, göttliches Eingreifen) des jeweiligen Autors verkannt, dem es am Herzen lag, nicht die Wirklichkeit 1:1 abzubilden, sondern eine theologische Grundaussage mittels einer einprägsamen Geschichte zu transportieren.

Aber das ist Ansichtssache.
Darüber streiten sich “bibeltreue” und “lauwarme” Christen noch heute.