Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

11 
 April 
 
2012

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DICHTUNG Else Lasker-Schüler
LESUNG Elke Heidenreich
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Seid du nicht da bist,
Ist die Stadt dunkel.

Ich sammle die Schatten
Der Palmen auf,
Darunter du wandeltest.

Immer muss ich eine Melodie summen,
Die hängt lächelnd an den Ästen.

Du liebst mich wieder –
Wem soll ich mein Entzücken sagen?

Einer Waise oder einem Hochzeitler,
Der im Widerhall das Glück hört.

Ich weiß immer,
Wann du an mich denkst –

Dann wird mein Herz ein Kind
Und schreit.

An jedem Tor der Straße
Verweile ich und träume;

Ich helfe der Sonne deine Schönheit malen
An allen Wänden der Häuser.

Aber ich magere
An deinem Bilde.

Um schlanke Säulen schlinge ich mich
Bis sie schwanken.

Überall steht Wildedel,
Die Blüten unseres Blutes.

Wir tauchen in heilige Moose,
Die aus der Wolle goldener Lämmer sind.

Wenn doch ein Tiger
Seinen Leib streckte

Über die Ferne, die uns trennt,
Wie zu einem nahen Stern.

Auf meinem Angesicht
Liegt früh dein Hauch.

 
 
22 
 Januar 
 
2012

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DICHTUNG Annette von Droste-Hülshoff
LESUNG Marie-Luise Marjan
BEREITSTELLUNG wortlover


 

O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor’,
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran! nur immer im Lauf,
Voran, als woll’ es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
»Ho, ho, meine arme Seele!«
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär’ nicht Schutzengel in seiner Näh’,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
O schaurig war’s in der Heide!

 
 
20 
 August 
 
2011


 

Ernst von Salomon
Auszug aus: “Die Geächteten” (Rowohlt-Verlag)

Die Fronten erstarrten, sie versanken im Dreck, Schlamm und Feuer, ein gespenstischer Finger zog blutige Linien rund um das Reich.
Der Krieg, den wir zu führen gedachten, führte uns.
Er wuchs vor uns auf, aus den tiefsten Spalten der Erde kommend, wie ein Nebel, wie ein graues Gespenst, und rüttelte an den waffenstarrenden Bastionen, er packte uns plötzlich mit glühender Faust und würfelte die Regimenter zusammen und schmiß sie wieder auseinander und hetzte sie durch die donnernden Felder.

Er kam durch die klirrenden Drähte und nahm über Nacht den Feldherrn die Zügel aus den erschrockenen Händen und wirrte sie durcheinander und zerrte hier und dort, bis die Front brüchig wurde und zog dann weiter.

Und strich in das Land und riß die Fahnen von den Fenstern und spie dreimal aus. Und der Speichel war Gift, und wo er fiel, da wuchs Hunger und Not und Verzicht.

Und der Krieg zog weiter, er war überall, er warf seine Fackel in alle Teile der Welt, er stöberte die geheimsten Wünsche auf und warf ihnen brennende Mäntel um und färbte die Mantel rot.

Er grub das Eisen aus zerschluchteter Erde und schleuderte es in den Raum und ließ alles zerspellend zu Boden fallen.

Der Krieg kam wie ein Riese über das Land, und da war nichts, was ihm sich verbergen könnte.

Er kam wie ein Wolf und hetzte uns mit reißenden Zähnen bis zu den höchsten Hängen und durch die tiefsten Schluchten, er rammt mit einem wahnwitzigen Schlage die Jugend in den Schlamm und schleuderte das Leben in das Feuer und setzte den Stoff gegen den Geist.

Da krochen die Krieger vor ihm in die dunkle Erde. Er aber zerstampfte die Landschaft mit höhnischem Schrei und schuf eine Brache, schuf eine einmalige Welt mit einmaligen Gesetzen, ein Reich, in dem alle Leidenschaften der Steinzeitmenschen von brüllenden Ängsten bis zu den gellenden Triumphen ihren Rang erfuhren, ein Reich, in dem das brausende Hurra zum roten Urschrei wurde, geröchelt aus zerlaugten und besessenen Leibern, ein schreckliches Geheul beseelter Elemente.

Und wie der Krieg sich seine Landschaft schuf, so schuf er sich sein Heer.
Da warf er hin, was nicht bestand, er sonderte mit hartem Schlag und zog die Lieblinge sich an die Brust, die Ekstatiker des Krieges, die Einzelnen, die aus den Gräben sprangen und ihr “Ja” jauchzten zur Umkrempelung der Welt.

Und er drängte die Pflichtgetreuen zu dichten Haufen, in die er immer wieder zerschmetternd fuhr, und malte ihnen das große Warum an den glutbehauchten Himmel, dörrte ihnen die Adern und brannte ihnen sein Mal in das entsetzte Hirn, wissend, sie werden ihm nie entrinnen.

Mit roten Narben schmückte er die mageren Verwegenen seines Reiches, er meißelte die kantigen Gesichter unter düsterem Helm, die scharfen, schmalen Linien um den Mund, um schroffes Kinn und starres, spähend zupackendes Auge.

Er schied die Heimat von der Front und die Nation vom Vaterland.
Sein heißer Atem aber fuhr in alle Winkel.
Da blätterte der angeklatschte Schmuck, es schmolz das unechte Metall, die Kruste wurde mürbe, der Gasdunst der Verwesung strich durch das Reich, und alle stolze Bindung faserte und brach..

Er riß die Masken vom Gesicht, und wessen die Lüge war, der stand in Lüge nackt und bloß, und wessen das Suchen war, der tastete im leeren Raum.

So wütete der Krieg, und die Stunden klatschten sengend in die Herzen,
und die Tage wurden rauchend rot vom Blut, die Jahre rannen unerbitterlich saugend, letztes Mark aus morschen Knochen ziehend, Opfer heischend völliger Erschöpfung zu.

Da schwelte es im Haus, da wurden alle Pfeiler brüchig, es knackte das Gebälk.
Die Waffen sprangen aus gekrampften Händen, was noch der Krieg in wachem Bann gehalten, sank, das Reich fiel auseinander.
Den Letzten war’s, als riefe eine Stimme ihnen zu: “Ihr scheutet keine Probe? – Hier! – Besteht sie!”