Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 August 
 
2018

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Die Schwäne (0:18)
Friedrich Hebbel (1813 – 1863)
Von dunkelnden Wogen
Hinunter gezogen,
Zwei schimmernde Schwäne.
Sie schwimmen daher.
Die Winde, sie schwellen
Allmählich die Wellen.
Die Nebel, sie senken
Sich finster und schwer.

Die Schwäne, sie leiden,
Weil einander sie meiden.
Nun tun sies nicht mehr.
Sie können die Glut
Nicht länger verschließen.
Sie wollen genießen,
Verhüllt von den Nebeln,
Gewiegt von der Flut.

Sie schmeicheln, sie kosen,
Sie trotzen dem Tosen
Der Wellen, die zweie
In eines verschränkt.
Wie die sich auch bäumen,
Sie glühen und träumen,
In Liebe und Wonne
Zum Sterben versenkt.

Nach innigem Gatten
Ein süßes Ermatten.
Da trennt sie die Woge,
Bevor sies gedacht.
Lasst ruhn das Gefieder!
Ihr seht euch nicht wieder.
Der Tag ist vorüber.
Es dämmert die Nacht.
Gretchen 3:55)
Friedrich Hebbel (1813 – 1863)
»Was trägst du dort am Finger, Kind?«
»Das ist ein goldner Ring,
Den ich von meiner Mutter einst
Zum Namenstag empfing.«

»So? Von der Mutter? Also nicht
Vom werten Freiersmann?«
»O jemine, wie doch der Herr
So drollig spaßen kann!

Wie aber kommt der Herr darauf,
Ich hätt nen Freiersmann?«
»Du hast ihn nicht? Der goldne Ring,
Der sagte es mir an.«

Als nun die Abendglocke schlug
Und es zum Tanze ging –
Was Gretchen nicht am Finger trug,
Das war der goldne Ring!

Der Alte sieht die junge Maid,
Und fällt, versucht von seinem Triebe,
Mit höchster Alterszierlichkeit
Aufs Knie und stottert schamhaft: Liebe!

Die Grete lacht ihm ins Gesicht.
Sie kniet sich hin, um seinetwegen,
Drückt seine Hand aufs Haupt und spricht:
»Mein Vater, gebt mir euren Segen!«
Hexenritt (5:37)
Friedrich Hebbel (1813 – 1863)
Es haben drei Hexen bei Nebel und Nacht
Zum fernen Blocksberg sich aufgemacht.

Begegnet ihnen ein feiner Mann,
Da halten die drei den Besenstiel an.

Spricht drauf die erste: “Ich tu euch kund,
Den da verwandl’ ich in einen Hund!”

Spricht drauf die zweite: “Das ist nicht recht,
Zum Affen aber taugt er nicht schlecht!”

Spricht drauf die dritte: “Du bist ein Stock,
Er wird der trefflichste Ziegenbock!”

Und murmeln alle zugleich den Fluch,
Und jede entkräftet der Schwestern Spruch.

Und sind schon lange beim tollen Schmaus,
Da steht noch der Zarte in Schreck und Graus.

Und kommt zum Liebchen mit blassem Gesicht
Und klopft ans Fenster, doch ruft er ihr nicht.

Und redet sie leise, leise an
Und freut sich, daß er nicht bellen kann.

Und spricht vom Himmel auf Erden nun
Und denkt: das kann doch kein Affe tun.

Und als sie ihm hold in die Arme sinkt,
Da weiß er’s gewiß, daß er auch nicht stinkt!
Herbstbild (7:32)
Friedrich Hebbel (1813 – 1863)
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum.
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält.
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
 
 
12 
 September 
 
2007


 

 

Über die enge Verwandtschaft zwischen Erzählung und Träumen
Ein Referat im Studienbereich LBK bei Herrn Hubert Habig (September 2007),
inhaltlich und oft auch begrifflich angelehnt an Johannes Merkel


 

Wie ein Geschwisterpaar reichen Erzählung und Traumbild sich treu die
Hände, vereinigen sich wie zwei Flüsse es tun:
Rauschend’ Verlangen mit strömenden Worten hinstrebend und einend
still sich ergeben sodann ins unendliche Meer.

Nichts unterscheidet der Kinder recht schlichten Erzählung von Erwachs’ner
wohlfeiler Rede noch von Goethe’s poet’scher Gewalt.
In der Abwandlung Vielfalt sind’s stets die gleichen Strukturen,
stets ist’s derselbige Quell, dem der Wortfluss entströmt.

Wie die Phantastik Erzählungen nährt, sich erbaut am Fiktiven,
so erscheint alles im Traum wirklich und unecht zugleich.
Vieles entzieht sich der zeitlichen [geordneten] Folge, die Handlung ist allzu
lose und dürftig verknüpft: Wirrspiel, es lastet allzeit.

Stets regiert in der Kinder Erzählung und Traum die Bedrohung,
größer jedoch ist der Wunsch wie man Herr der Gefahr
dennoch wird, wenn Gespenster und Hexen umscharend sich nahen:
Keine rettende Fee wendet das Unheil jäh ab,
nur im Enteilen, im Fluchtergreifen empfängt die geplagte
kindliche Seele ihr Heil, nicht im heroischen Kampf.

Reich sind die kindlichen Formen idyllisch gezeichneter Traumwelt,
allerlei Schreckensgebild’ als auch des Wunschdenkens viel.

Leid erduldet die tragische Heldenfigur oft im Traume:
Immerdar während sind Krieg, Massenvernichtung und Tod,
die den nächtlichen Traum thematisch bestimmen und bis zum
fünften Lebensjahr noch feldregierend bestehn.

Erst im achten Jahre, mit wachsender Reife, erringt er-
starkender Wille den Sieg, bietet die Stirn der Gefahr.

Hier sei auf Grof erläuternd verwiesen, der engen Bezug zum
Austreiben leiblicher Frucht bei der Geburt darin sieht.
Er betont die symbiotische Einheit des Fötus zur Mutter,
die in der Schwangerschaft stets durch den Nabel vereint.
Dann mit der Wehen mechanischer Krämpfe verengt sich der Raum und
jene Verengung beschwört existentielle Gefahr.
Letztlich bewirkt die allmähliche Austreibung oft dann nicht minder
einen Sauerstoffmangel als auch massiv mechanischen Druck.
Dieser durchlebte traumatische Vorgang ist wohl der Grund für
grausamen Kampf, dem der Held in dem Traume sich stellt.

Weshalb erwacht nun das Kind aus verworrenem Traume, der sinnzer-
fetzt keine wahre Konfliktlösung, keinen Abschluss erfuhr?

Sprachlich gefasst müssen Traumbilder werden, denn nur im Gespräch mit
Anderen klärt sich Struktur, füget sich Bild nur an Bild.
Darin erzeigt sich der Sinn des Erzählens, dass des geträumten
Drangsal Ventil dann erfährt, damit Befriedung erlangt,
weil des Alltags Erfahrung im Traum als Bilderpartikel
oft zersplittert sich stellt, aufsteigt aus Tiefen des Seins
und durch ein ordnendes Muster geformt dann hervortritt als Ganzes.

Jenes Muster als treibende Kraft offenbart sich nicht nur
-wie schon erwähnt- in dem Traum. Auch in des kindlichen Spiels
greifbaren Ausdruck wirket es mächtiglich fort, im Erzählen
sucht es im Worte Gestalt, kündigt sich auch in Ideen,
die in des Alltags bescheidenem Werke fromm uns begatten.

So erkannte schon Freud, Vater der Traumdeutung, dass
Träume verschlüsselte Botschaften sind, Hyroglyphen gekleidet
in des Tages Gescheh’n, „Tagesreste” genannt.
Bild und Handlungssequenzen verdichtet zu straffem Gefüge
weisen als Medium fungier’nd auf den seelischen Kern.

Jung, ein Vertreter im gleichen Fache, vermutete, dass der
Menscheitsgeschichte Gesamt in der Seele Bezirk
Niederschlag fand und als “kollektiv Unbewusstes” in Form von
Archetypen (im Griech’schen auch als ‘Urbild’ benannt),
sich der symbolischen Deutung bemächtigt, ein Gegenpol sprachlich
kognitiven Konzepts, der Hypothese des Freud.

Jung zudem sieht im Traum Parallelen zum klassischen Drama,
wenn in der Exposition Themeneröffnung sich bahnt,
so gestaltet das Unbewusste im Träumenden dies und
wird durch Symbol dem Bewusst-Sein verständlich gemacht.

Gleichfalls erfährt im klassischen Drama die Handlung ein Aufschwung,
wie auch im Traum die Tendenz steigender Handlung besteht.