| 18 Mai 2017 |
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| DICHTUNG | Antoine de Saint-Exupéry | |
| LESUNG | Oskar Werner |
Erbarme Dich meiner, o Herr, denn meine Einsamkeit lastet auf mir. Es gibt nichts, auf das ich wartete. Hier bin ich in dieser Kammer, in der nichts zu mir spricht. Und doch wünsche ich nicht die Gegenwart der Menschen herbei, denn ich weiß mich noch verlorener, wenn ich in der Menge untertauche. Aber sich jene andere, die mir gleicht und die sich in eben solch einer Kammer befindet und sich doch glücklich fühlt, wenn die Menschen, denen ihre Zärtlichkeit gehört, anderswo im Hause geschäftig sind. Sie hört sie nicht und sieht sie nicht. Sie empfängt nichts von ihnen im Augenblick. Aber um glücklich zu sein, genügt es ihr zu wissen, daß ihr Haus bewohnt ist.
Herr, auch ich erwarte nicht etwas, das ich sehen oder hören könnte. Deine Wunder sind nicht für die Sinne. Doch um mich zu heilen, genügt es, wenn Du meinen Geist erleuchtest, so daß ich mein Heim verstehe.
Wenn der Wanderer in seiner Wüste einem bewohnten Haus angehört, so freut er sich dessen, obwohl er weiß, dass es am anderen Ende der Welt liegt. Keine Entfernung hält ihn davon ab, sich von ihm nähren zu lassen, und wenn er stirbt, stirbt er in der Liebe … Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass mein Heim mir nahe sei.
Sieh den Spaziergänger, dem in der Menge ein Gesicht auffällt. Er verwandelt sich, selbst wenn das Gesicht nicht für ihn bestimmt ist. So geht es jenem Soldaten, der in die Königin verliebt ist: Er wird Soldat einer Königin. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim mir verheißen sei.
Auf den weiten Meeren gibt es glühende Schicksale, die sich einer gar nicht vorhandenen Insel geweiht haben. Sie singen, während sie auf dem Schiff sind, die Hymne der Insel und fühlen sich glücklich dabei. Nicht die Insel ist es, die sie glücklich macht, sondern der Gesang. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim überhaupt bestehe …
Die Einsamkeit, Herr, ist nur Frucht des Geistes, wenn er krank ist. Er bewohnt nur ein Vaterland, das der Sinn der Dinge ist. So ist es mit dem Tempel, wenn er Sinn der Steine ist. Nur für diesen Raum hat der Geist Flügel. Er freut sich nicht über die Dinge, sondern allein über das Gesicht, das man durch sie hindurch erkennt und das sie miteinander verknüpft.
Gib nur, dass ich zu erkennen lerne.
Dann, Herr, wird meine Einsamkeit überstanden sein…
[…]
| 6 Juli 2016 |
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Edgar Allan Poe (1799– 1853)
Über manche lang verschollne Kunde in den Büchern schwer.
Als in Halbschlaf ich gefallen, drang im Traum zu mir ein Schallen,
Von der Türe her ein Hallen, so als klopfte irgendwer.
»Pocht so spät noch irgend jemand?« gähnte ich, »so spät noch – wer?
Ein Besucher, sonst nichts mehr.«
Wenn ich recht erinnre, war es in dem bleichen Rest des Jahres.
Geisternd kam ein sonderbares Flackern vom Kamine her.
Tief ersehnte ich den Morgen, denn umsonst wars, Trost zu borgen
Aus den Büchern für mein Sorgen. Denn mir war das Herz so sehr
Um Lenore, die Geliebte, traurig, bitter, kalt und schwer –
Ach, hier lebt sie nun nicht mehr.
Mutig mich vom Stuhl erhob ich und zurück den Riegel schob ich:
Schreckensvolle Bilder sehend, die kein Mensch gesehn vorher.
Doch es herrschte ungebrochen Schweigen, aus dem Dunkel krochen
Keine Zeichen, und gesprochen ward von mir nur ein Wort – schwer:
Nur: »Lenore?« – und ’Lenore’ scholl das Echo zu mir her –
Dieses Wort nur, sonst nichts mehr.
Ich ging drauf zurück ins Zimmer, doch mein Herz erschrak noch schlimmer,
Weil ich wieder Klopfen hörte, ungestümer als vorher.
»Sollt ich«, sprach ich, »mich nicht irren, hört ichs jetzt vom Fenster klirren.
Oh, ich werde bald entwirren, was des Rätsels Lösung wär.
Still mein Herz, noch eine Weile, dass ich mir das Ding erklär! –
Wind, der pocht und – sonst nichts mehr!«
Hastig stieß ich auf das Fenster. Flatternd kam herein ein ernster,
Stattlich großer, schwarzer Rabe wie aus alten Sagen schwer.
Ohne eines Grußes Zeichen sah ich ihn den Raum durchstreichen.
Würdevoll wie seinesgleichen, flog er durch die Kammer quer
Schnurstracks auf die Pallasbüste über meiner Türe her.
Setzte sich und – sonst nichts mehr.
Doch das würdige Gebaren dieses schwarzen Sonderbaren
Wie er auf der Büste thronte, das erheiterte mich sehr.
»Rabe, schwärzer noch als Mohren, sprich, was hast du hier verloren?
Niemand hat dich herbeschworen aus dem Reich am Nebelmeer.
Tu mir kund, wie heißt du, Stolzer aus der Toten Geisterheer!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«
Wie ein Mensch sprach er verständlich – ich erstaunte drob unendlich,
Dass er Antwort mir erteilte, wenn auch klug nicht allzu sehr.
Und ich dachte ganz beklommen: »Hat man jemals es vernommen,
Dass ein Rabe angekommen in der Nacht von ungefähr
Und auf einer Büste thronend, unbeweglich so wie der
Mit dem Namen: Nimmermehr?«
Grübelnd an den Sinn verloren, den dies ’Nimmermehr’ beschworen,
Fühlte ich des finstren Toren Feuerblick im Herzen schwer.
Auf dem samtnen Sofa liegend, dachte ich, nach vorn mich biegend
Und im fahlen Lichte wiegend mit verzehrender Begehr:
»Hier bei mir auf diesen Kissen ruht Lenore nimmermehr,
Nimmer, nimmer, nimmermehr!«
»Ob der Rabe tilgt die Zweifel, mir Prophet oder mir Teufel,
Über Leonore droben, nach der ich mich so verzehr?
Sag! Schließ ich am Sternentore in die Arme einst Lenore?
Ewige Musik im Ohre? Frei von irdischer Beschwer?
Finde ich, die ich verloren, diesen Engel, hell und hehr?«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«
Und nun war ich wie von Sinnen: »Hebe dich, du Feind, von hinnen,
Satansrabe, voller Tücke, fort ins Reich am Nebelmeer!
Deine Macht will ich dir brechen, deine Lügen, diese frechen,
Wollen mir das Herz zerstechen mit dem Schnabel scharf wie Speer!
Schere dich von meiner Türe! Schwinde ohne Wiederkehr!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«
Er bewegt nicht einen Flügel, sitzt dort wie auf einem Hügel
Immer auf der Kammertür, droht mir durch sein Schweigen schwer.
Seine Augen träumen trunken wie Dämonen traumversunken.
Mir zu Füßen hingesunken, zeigt sein Schatten zu mir her,
Meine Seele ist gefangen in dem Raume um mich her.
Wird sie frei sein? – Nimmermehr
| 26 Mai 2016 |
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Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876)
Ruht die Jungfrau, schlafbefangen.
Tiefgesenkt die braune Wimper,
Purpur auf den heißen Wangen.
Schimmernd auf dem Binsenstuhle
Steht der Kelch, der reichgeschmückte,
Und im Kelche prangen Blumen,
Duftge, bunte, frischgepflückte.
Brütend hat sich dumpfe Schwüle
Durch das Kämmerlein ergossen.
Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.
Stille. Ringsum tiefes Schweigen!
Plötzlich, horch! Ein leises Flüstern!
In den Blumen, in den Zweigen
Lispelt es und rauscht es lüstern.
Aus den Blütenkelchen schweben
Geistergleiche Duftgebilde.
Ihre Kleider: zarte Nebel.
Kronen tragen sie und Schilde.
Aus dem Purpurschoß der Rose
Hebt sich eine schlanke Frau.
Ihre Locken flattern lose,
Perlen blitzen drin, wie Tau.
Aus dem Helm des Eisenhutes
Mit dem dunkelgrünen Laube
Tritt ein Ritter kecken Mutes.
Hell erglänzt die schwere Haube.
Auf der Haube nickt die Feder
Silbergrau von einem Reiher.
Aus der Lilie schwankt ein Mädchen.
Dünn, wie Spinnweb, ist ihr Schleier.
Aus dem Kelch des Türkenbundes
Ein Osmane kommt gezogen.
Hell auf seinem grünen Turban
Glüht des Halbmonds goldner Bogen.
Prangend aus der Kaiserkrone
Schreitet kühn ein Zepterträger.
Aus der blauen Iris folgen
Schwertbewaffnet seine Jäger.
Aus den Blättern der Narzisse
Schwebt ein Knab mit lüstern Blicken,
Tritt ans Bett, um heiße Küsse
Auf des Mädchens Mund zu drücken.
Da ums Lager drehn und schwingen
Sich die andern wild im Kreise,
Drehn und schwingen sich und singen
Der Entschlafnen diese Weise:
»Mädchen, Mädchen! Von der Erde
Hast du grausam uns gerissen,
Dass wir in der bunten Scherbe
Schmachten, welken, sterben müssen!
O, wie ruhten wir so selig
An der Erde Mutterbrüsten,
Wo, durch grüne Wipfel brechend,
Sonnenstrahlen heiß uns küssten.
Wo wir Frühlingslüfte fühlten,
Unsre schlanken Stengel zeigend.
Wo wir nachts als Elfen spielten,
Unserm Blätterhaus entsteigend.
Hell umfloss uns Tau und Regen.
Jetzt umfließt uns trübe Lache.
Wir verblühn ! Doch eh wir sterben,
Mädchen! Trifft dich unsre Rache!«
Welch ein Rauschen, welch ein Raunen!
Wie des Mädchens Wangen glühen!
Wie die Blumen es anhauchen!
Wie die Düfte wallend ziehen!
Da begrüßt der Sonne Funkeln
Das Gemach. Die Geister weichen.
Auf des Lagers Kissen schlummert
Kalt die lieblichste der Leichen!
Eine welke Blume selber,
Noch die Wange sanft gerötet,
Ruht sie bei den welken Schwestern.
Blumenduft hat sie getötet.
| 13 Januar 2016 |
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| DICHTUNG | Antoine de Saint-Exupéry | |
| LESUNG | Oskar Werner | |
| BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Erbarme Dich meiner, o Herr, denn meine Einsamkeit lastet auf mir. Es gibt nichts, auf das ich wartete. Hier bin ich in dieser Kammer, in der nichts zu mir spricht. Und doch wünsche ich nicht die Gegenwart der Menschen herbei, denn ich weiß mich noch verlorener, wenn ich in der Menge untertauche. Aber sich jene andere, die mir gleicht und die sich in eben solch einer Kammer befindet und sich doch glücklich fühlt, wenn die Menschen, denen ihre Zärtlichkeit gehört, anderswo im Hause geschäftig sind. Sie hört sie nicht und sieht sie nicht. Sie empfängt nichts von ihnen im Augenblick. Aber um glücklich zu sein, genügt es ihr zu wissen, daß ihr Haus bewohnt ist.
Herr, auch ich erwarte nicht etwas, das ich sehen oder hören könnte. Deine Wunder sind nicht für die Sinne. Doch um mich zu heilen, genügt es, wenn Du meinen Geist erleuchtest, so daß ich mein Heim verstehe.
Wenn der Wanderer in seiner Wüste einem bewohnten Haus angehört, so freut er sich dessen, obwohl er weiß, dass es am anderen Ende der Welt liegt. Keine Entfernung hält ihn davon ab, sich von ihm nähren zu lassen, und wenn er stirbt, stirbt er in der Liebe … Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass mein Heim mir nahe sei.
Sieh den Spaziergänger, dem in der Menge ein Gesicht auffällt. Er verwandelt sich, selbst wenn das Gesicht nicht für ihn bestimmt ist. So geht es jenem Soldaten, der in die Königin verliebt ist: Er wird Soldat einer Königin. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim mir verheißen sei.
Auf den weiten Meeren gibt es glühende Schicksale, die sich einer gar nicht vorhandenen Insel geweiht haben. Sie singen, während sie auf dem Schiff sind, die Hymne der Insel und fühlen sich glücklich dabei. Nicht die Insel ist es, die sie glücklich macht, sondern der Gesang. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim überhaupt bestehe …
Die Einsamkeit, Herr, ist nur Frucht des Geistes, wenn er krank ist. Er bewohnt nur ein Vaterland, das der Sinn der Dinge ist. So ist es mit dem Tempel, wenn er Sinn der Steine ist. Nur für diesen Raum hat der Geist Flügel. Er freut sich nicht über die Dinge, sondern allein über das Gesicht, das man durch sie hindurch erkennt und das sie miteinander verknüpft.
Gib nur, dass ich es abzulesen lerne.
Dann, Herr, wird meine Einsamkeit überstanden sein…
| 6 August 2015 |
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| DICHTUNG | Georg Trakl | |
| LESUNG | Oskar Werner | |
| MALEREI | Pierre-Auguste Renoir | |
| BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Oft am Brunnen, wenn es dämmert,
Sieht man sie verzaubert stehen
Wasser schöpfen, wenn es dämmert.
Eimer auf und nieder gehen.
In den Buchen Dohlen flattern
Und sie gleichet einem Schatten.
Ihre gelben Haare flattern
Und im Hofe schrein die Ratten.
Und umschmeichelt von Verfalle
Senkt sie die entzundenen Lider.
Dürres Gras neigt im Verfalle
Sich zu ihren Füßen nieder.
Stille schafft sie in der Kammer
Und der Hof liegt längst verödet.
Im Hollunder vor der Kammer
Kläglich eine Amsel flötet.
Silbern schaut ihr Bild im Spiegel
Fremd sie an im Zwielichtscheine
Und verdämmert fahl im Spiegel
Und ihr graut vor seiner Reine.
Traumhaft singt ein Knecht im Dunkel
Und sie starrt von Schmerz geschüttelt.
Röte träufelt durch das Dunkel
Jäh am Tor der Südwind rüttelt.
Nächtens übern kahlen Anger
Gaukelt sie in Fieberträumen.
Mürrisch greint der Wind im Anger
Und der Mond lauscht aus den Bäumen.
Balde rings die Sterne bleichen
Und ermattet von Beschwerde
Wächsern ihre Wangen bleichen.
Fäulnis wittert aus der Erde.
Traurig rauscht das Rohr im Tümpel
Und sie friert in sich gekauert.
Fern ein Hahn kräht. Übern Tümpel
Hart und grau der Morgen schauert.
In der Schmiede dröhnt der Hammer
Und sie huscht am Tor vorüber.
Glührot schwingt der Knecht den Hammer
Und sie schaut wie tot hinüber.
Wie im Traum trifft sie ein Lachen;
Und sie taumelt in die Schmiede,
Scheu geduckt vor seinem Lachen,
Wie der Hammer hart und rüde.
Hell versprühn im Raum die Funken
Und mit hilfloser Geberde
Hascht sie nach den wilden Funken
Und sie stürzt betäubt zur Erde.
Schmächtig hingestreckt im Bette
Wacht sie auf voll süßem Bangen
Und sie sieht ihr schmutzig Bette
Ganz von goldnem Licht verhangen,
Die Reseden dort am Fenster
Und den bläulich hellen Himmel.
Manchmal trägt der Wind ans Fenster
Einer Glocke zag Gebimmel.
Schatten gleiten übers Kissen,
Langsam schlägt die Mittagsstunde
Und sie atmet schwer im Kissen
Und ihr Mund gleicht einer Wunde.
Abends schweben blutige Linnen,
Wolken über stummen Wäldern,
Die gehüllt in schwarze Linnen.
Spatzen lärmen auf den Feldern.
Und sie liegt ganz weiß im Dunkel.
Unterm Dach verhaucht ein Girren.
Wie ein Aas in Busch und Dunkel
Fliegen ihren Mund umschwirren.
Traumhaft klingt im braunen Weiler
Nach ein Klang von Tanz und Geigen,
Schwebt ihr Antlitz durch den Weiler,
Weht ihr Haar in kahlen Zweigen.
| 2 Januar 2013 |
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Der Knabe im Moor (0:18)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)
O, schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche.
Sich wie Phantome die Dünste drehn,
Und die Ranke häkelt am Strauche.
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt.
O, schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage.
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Haage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht.
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor.
Unheimlich nicket die Föhre.
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere.
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselge Spinnerin.
Das ist die gebannte Spinnlenor,
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran, nur immer im Lauf.
Voran als woll sie ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf.
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei!
Das ist der Geigemann ungetreu.
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor. Ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle.
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
»Ho, ho, meine arme Seele!«
Der Knabe springt wie ein wundes Reh
Wärn nicht Schutzengel in seiner Näh,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mählich gründet der Boden sich.
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich.
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf. Zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
»Ja, im Geröhre wars fürchterlich.
O, schaurig wars in der Heide!«
Im Moose (3:09)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)
Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmerung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut.
An meiner Wange flüsterte das Kraut.
Unsichtbar duftete die Heiderose.
Und flimmern sah ich durch der Linde Raum
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächtgen Glühwurm schien zu tragen.
Es sah so dämmernd wie ein Traumgesicht
Doch wusste ich, es war der Heimat Licht,
In meiner eignen Kammer angeschlagen.
Ringsum so still, dass ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen. Und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach so manchem, nach.
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag.
Fast war es mir, als sei ich schon entschlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf:
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lang nicht mehr bekannt.
Vergessne Töne summten um mein Ohr.
Und endlich trat die Gegenwart hervor.
Da ruht die Welle, wie an Ufers Rand.
Dann, gleich der Quelle, die verrinnt im Schlund
Und drüben wieder sprudelt aus dem Grund,
So stand ich plötzlich in der Zukunft Lande.
Ich sah mich selber, ganz gebückt und klein,
Geschwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen staubge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben sah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war.
Mich, sorgsam lösen aus verblichnen Hüllen.
Löckchen, vermorscht, zu Staub zerfallen schier.
Sah über die gefurchte Wange mir,
Langsam herab die karge Träne quillen.
Und endlich an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen, die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knien.
Und – horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch –
Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor und schüttelte mich dann,
Wie eine, die dem Scheintod kaum entrann
Und taumelte entlang die dunklen Haage.
Nun zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sei wirklich meiner Schlummerlampe Schein,
Oder das ewge Licht am Sarkophage.
Am Turme (7:31)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)
Ich steh‘ auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass‘ gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!
Und drunten seh‘ ich am Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht‘ ich hinein alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Walroß, die lustige Beute!
Und drüben seh ich ein Wimpel wehn
So keck wie eine Standarte,
Seh auf und nieder den Kiel sich drehn
Von meiner luftigen Warte;
O, sitzen möcht‘ ich im kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen,
Und zischend über das brandende Riff
Wie eine Seemöve streifen.
Wär‘ ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär‘ ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muß ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
Und lassen es flattern im Winde!























