Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

18 
 März 
 
2018


 

DICHTUNG Rainer Maria Rilke
LESUNG Fritz Stavenhagen
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK



Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
in euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
um Beifall bettelt und um Würde wirbt,
und endlich arm ein armes Sterben stirbt
im Weihrauchabend gotischer Kapellen, –
nennt ihr das Seele?

Schau ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
in der die Welten weite Wege reisen,
mir ist: ich trage ein Stück Ewigkeit
in meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
und will hinauf und will mit ihnen kreisen …
Und das ist Seele.

 
 
1 
 April 
 
2012


 

DICHTUNG Theodor Fontane
LESUNG Otto Sander
BEREITSTELLUNG wortlover



John Maynard!
“Wer ist John Maynard?”
“John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron’,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.”

Die “Schwalbe” fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: “Wie weit noch, Steuermann?”
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
“Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.”

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
“Feuer!” war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: “Wo sind wir? wo?”
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
“Noch da, John Maynard?”
“Ja,Herr. Ich bin.”

“Auf den Strand! In die Brandung!”
“Ich halte drauf hin.”
Und das Schiffsvolk jubelt: “Halt aus! Hallo!”
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

“Noch da, John Maynard?” Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: “Ja, Herr, ich halt’s!”
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die “Schwalbe” mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug’ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

“Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.”

 
 
8 
 Januar 
 
1995


 

[07./08.01.95]

Stille ragt das Burggemäuer
aus dem Tannenwald empor
sanft erleuchtet durch ein Feuer
kommt es mir wie Golde vor.
Gold, das schimmert in der Nacht
mit so sanftem, lichtem Schein
und in mir die Freud’ entfacht erwacht.
Doch Und ich wandle schreite weiter sinnend fort
auf verschneiten Pfadeswegen
zum geheimen, düst’ren Ort:
zur alten Kapelle, abseits gelegen.
Zur Linken mir vereiste Wiesen
auf denen saftig zwei Fichten sprießen
zur Rechten mir steht der finstre Wald
aus dem manch’ nächtlich Geräusch still hallt.

Ich wandle weiter, den Hügel hinauf
folge stets des Wand’rers Lauf.

Steig’ behende die Treppe hinab
mich nun und mi und mich am Bauwerk Blick der Kapelle erlab’.

Ein Windhauch säuselt mir ums Ohr,
als ich steh verharre am vor dem Eingangstor.
Rechts und links zwei ein Wächter aus Stein
behüten die Ruh’ der Kapelle fein.

Plötzlich ein Glockenschlag erschallt,
zerreißt die Stille, das Blut in mir wallt.
Es ist des Abends siebte Stunde,
so hallt es von des Talesgrunde.

Zeit für mich, nun heimzukehren,
sonst könnt’ die Finsternis mir übles [Übles] bescheren.
Ich darf Sollt’ ich an dieser Stätte nicht mehr länger verweilen
sonst könnte die Nacht mich jäh ereilen.