Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 August 
 
2011


 

“Niederstürzen möchte ich mich und anbeten
am Altar reiner Verehrung!”

 
Ob ich die Frauen verehre, sie gar im Stillen vergött’re?
Ja, im Gesang und der Dichtung, wo Reines verschmilzt, sich
alles verdichtet und sich übersteigert ins Geist’ge, ins wahre
Schöne verkläret, dem ewig Unfassbaren! Keines verschmähten
Mannes Frevelhand darf dich [holdes Weib], dem Erdkreis enthoben, nun schänden,
kein lüstern Aug’ dich erschauen, kein weltlärmertäubtes Ohr dir
lauschen im heil’gen Bezirke des ätherdurchwogenden Sphärengesanges!

 


O ecclesia
Hildegard von Bingen

 

O Ecclesia,
oculi tui similes saphiro sunt,
et aures tue monti Bethel,
et nasus tuus est
sicut mons mirre et thuris,
et os tuum quasi sonus
aquarum multarum.

In visione vere fidei
Ursula filium dei amavit
et virum cum hoc seculo reliquit
et in solem aspexit
atque pulcherrimum iuvenem vocavit,
dicens:

“In multo desiderio
desideravi ad te venire,
et in celestibus nuptiis tecum sedere,
per alienam viam ad te currens
velut nubes
que in purissimo aere currit similes saphiro.”

Et postquam Ursula sic dixerat,
rumor iste per omnes populos exiit.

Et dixerunt:
“Innocentia puellaris ignorantie
nescit quid dicit.”

Et ceperunt ludere cum illa
in magna symphonia,
usque cum ignea sarcina super eam cecidit.

Unde omnes cognoscebant:
quia contemptus mundi
est sicut mons Bethel.

Et cognoverunt etiam
suavissimum odorem mirre et thuris,
quoniam contemptus mundi
super omnia ascendit.

Tunc diabolus membra sua invasit,
que nobilissimos mores
in coporibus istis occiderunt.

Et hoc in alto voce
omnia elementa audierunt
et ante thronum Dei dixerunt:

“Wach! rubicundus sanguis innocentis agni
in desponsatione sua effusus est.

Hoc audiant omnes celi
et in summa symphonia
laudent Agnum Dei,
quia guttur serpentis antique
in istis margaritis
materie Verbi Dei
suffocatum est.”

Oh, [heilige] Kirche,
deine Augen sind wie ein Saphir
und deine Ohren wie der Berg Bethel
und deine Nase ist
wie ein Berg von Myrrhe und Weihrauch
und dein Mund ist [klingt] wie
rauschende Wasser.

In der Schau des wahren Glaubens
hat Ursula den Sohn Gottes geliebt
und dem Mann und der Welt entsagt
und sie blickte in die Sonne
und erblickte den strahlenden Jüngling
und sprach:

“Mit großem Verlangen habe ich mich gesehnt,
zu dir zu gelangen
und in himmlischer Vermählung bei dir zu sein.
Auf einem unbekannten Wege eilte ich zu dir,
wie eine Wolke,
die in reinem Äther dahineilt einem Saphir gleich.”

Und als Ursula so vernehmbar gesprochen hatte,
da ging ein Raunen durch alle Völker.

Und sie sprachen:
“Diese mädchenhafte Unschuld,
sie weiß in ihrer Einfalt nicht, was sie sagt.”

Und sie begangen mit ihr zu spielen
mit großem Klang
bis eine Feuergarbe auf sie niederfiel.

Da erkannten alle:
Die Weltverachtung
gleicht dem Berg Bethel.

Und sie erkannten auch
den süßen Duft von Myrrhe und Weihrauch,
denn die Weltverachtung
steigt über alles steigt.

Der Teufel aber schickte die Seinen,
um das Edelste
in diesen Körpern zu vernichten.

Und was laut vernehmbar wurde,
das hörten alle Elemente
und vor dem Thron Gottes sprachen sie:

“Wehe! Das leuchtendrote Blut des Lammes
ist bei seiner Vermählung vergossen worden.

Die sollen alle Himmel hören
und mit allen Stimmen
lobpreisen das Lamm Gottes,
denn der Rachen der alten Schlange
ist durch diese Perlen,
aus Gottes Wort erschaffen,
erstickt worden.”

 
 
11 
 September 
 
2009

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein


 
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Rezitierte Gedichte

 
Menschliches Elende (Auszug) (0:09)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itz und Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn, wie Rauch von starken Winden.

 

 
Thränen des Vaterlandes (2:35)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwerdt, die donnernde Carthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrath auffgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret.
Das Rathauß liegt im Grauß, die Starcken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Hertz und Geist durchfähret.

Hir durch die Schantz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
Dreymal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fort gedrungen.

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnoth:
Das auch der Seelen Schatz so vilen abgezwungen.

 

 
Es ist alles eitel (4:06)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetz und Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetz und prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder findt!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

 

 
An sich selbst (6:09)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Mir grauet vor mir selbst, mit zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp’ und Nas’ und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht’, und die nun schon erstorbnen Augenlider.

Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder,
Und lallt ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu, das Fleisch reucht nach der Gruft,
Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder,

Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen eine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten!

Was ist der hohe Ruhm und Jugend, Ehr’ und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt: wird alles Rauch und Dunst.
Und eine Not muss uns mit allem Vorsatz töten.

 

 
Verleugnung der Welt (Auszug) (8:24)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Was frag ich nach der Welt! sie wird in Flammen stehn:
Was acht ich reiche Pracht: der Tod reißt alles hin!
Was hilfft die Wissenschafft / der mehr denn falsche Dunst:
Der Libe Zauberwerck ist tolle Phantasie:
Die Wollust ist fürwahr nichts als ein schneller Traum;
Die Schönheit ist wie Schnee‘ / diß Leben ist der Tod.

Diß alles stinckt mich an / drumb wündsch ich mir den Tod!
Weil nichts wie schön und starck / wie reich es sey / kan stehn
Offt / eh man leben wil / ist schon das Leben hin.
Wer Schätz‘ und Reichthumb sucht: was sucht er mehr als Dunst.
Wenn dem der Ehrenrauch entsteckt die Phantasie:
So traumt ihm / wenn er wacht / er wacht und sorgt im Traum.

Auff meine Seel / auff! auff! entwach aus disem Traum!
Verwirff was irrdisch ist / und trotze Noth und Tod!
Was wird dir / wenn du wirst für jenem Throne stehn /
Die Welt behülfflich seyn? wo dencken wir doch hin?
Was blendet den Verstand? sol diser leichte Dunst
Bezaubern mein Gemüt mit solcher Phantasie?

Bißher! und weiter nicht! verfluchte Phantasie!
Niehts werthes Gauckelwerck. Verblendung-voller Traum!
Du Schmertzen-reiche Lust! du folter-harter Tod!
Ade! ich wil nunmehr auff freyen Füssen stehn
Vnd treten was mich tratt! Ich eile schon dahin;
Wo nichts als Warheit ist. Kein bald verschwindend Dunst.

Treib ewig helles Licht der dicken Nebel Dunst
Die blinde Lust der Welt: die tolle Phantasie
Die flüchtige Begird‘ und diser Gütter Traum
Hinweg und lehre mich recht sterben vor dem Tod.
Laß mich die Eitelkeit der Erden recht verstehn
Entbinde mein Gemüth und nim die Ketten hin.

Nim was mich und die Welt verkuppelt! nim doch hin
Der Sünden schwere Last: Laß ferner keinen Dunst
Verhüllen mein Gemüth / und alle Phantasie
Der Eitel-leeren Welt sey für mir als ein Traum
Von dem ich nun erwacht! und laß nach disem Tod
Wenn hin! Dunst / Phantasie / Traum! Tod / mich ewig stehn.

 
 
19 
 September 
 
2008

abgelegt in
Gedankenschau
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“Glauben ist nicht Wissen”, heißt es oft.

Dieser Ansicht bin ich nicht, denn Glaube kann auch eine feste, unerschütterliche Überzeugung sein und nicht nur im religiösen Bereich.

Andererseits nützt auch das größte enzyklopädische (Welt-)Wissen nichts, wenn man nicht an sich und seine Fähigkeiten glaubt und dieses angehäufte, rational abgeklärte, empirisch gesicherte Wissen nicht anwendet im Glauben seiner eigenen Wirkungskraft, seiner Selbstwirksamkeit.

Eingestaubte Bücherregale (=externalisiertes Wissen) sind in sich schon erstorben, entfachter Glaube indes schürt an.

Das glaube ich zu wissen.