Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

20 
 Oktober 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Anno 1839 (0:54)
Heinrich Heine (1797 – 1856)

O, Deutschland, meine ferne Liebe,
Gedenk ich deiner, wein ich fast!
Das muntre Frankreich scheint mir trübe,
Das leichte Volk wird mir zur Last.

Nur der Verstand, so kalt und trocken,
Herrscht in dem witzigen Paris –
O, Narrheitsglöcklein, Glaubensglocken,
Wie klingelt ihr daheim so süß!

Höfliche Männer! Doch verdrossen
Geb ich den artgen Gruß zurück. –
Die Grobheit, die ich einst genossen
Im Vaterland, das war mein Glück!

Lächelnde Weiber! Plappern immer,
Wie Mühlenräder stets bewegt!
Da lob ich Deutschlands Frauenzimmer,
Das schweigend sich zu Bette legt.

Und alles dreht sich hier im Kreise,
Mit Ungestüm, wie’n toller Traum!
Bei uns bleibt alles hübsch im Gleise.
Wie angewurzelt, rührt sich kaum.

Mir ist, als hört ich fern erklingen
Nachtwächterhörner, sanft und traut.
Nachtwächterlieder hör ich singen,
Dazwischen Nachtigallenlaut.

Dem Dichter war so wohl daheime,
ln Schildas teurem Eichenhain!
Da wob ich meine zarten Reime
Aus Veilchenduft und Mondenschein.

 

 
Die Wahl-Esel (4:14)
Heinrich Heine (1797 – 1856)

Die Freiheit hat man satt am End,
Und die Republik der Tiere
Begehrte, dass ein einzger Regent
Sie absolut regiere.

Jedwede Tiergattung versammelte sich,
Wahlzettel wurden geschrieben.
Parteisucht wütete fürchterlich,
Intrigen wurden getrieben.

Das Komitee der Esel ward
Von Alt-Langohren regieret.
Sie hatten die Köpfe mit einer Kokard,
Die schwarz-rot-gold, verzieret.

Es gab eine kleine Pferdepartei,
Doch wagte sie nicht zu stimmen.
Sie hatte Angst vor dem Geschrei
Der Alt-Langohren, der grimmen.

Als einer jedoch die Kandidatur
Des Rosses empfahl, mit Zeter
Ein Alt-Langohr in die Rede ihm fuhr,
Und schrie: Du bist ein Verräter!

Du bist ein Verräter, es fließt in dir
Kein Tropfen vom Eselsblute.
Du bist kein Esel, ich glaube schier,
Dich warf eine welsche Stute.

Du stammst vom Zebra vielleicht, die Haut
Sie ist gestreift zebräisch.
Auch deiner Stimme näselnder Laut
Klingt ziemlich ägyptisch-hebräisch.

Und wärst du kein Fremdling, so bist du doch nur
Verstandesesel, ein kalter.
Du kennst nicht die Tiefen der Eselsnatur,
Dir klingt nicht ihr mystischer Psalter.

Ich aber versenkte die Seele ganz
In jenes süße Gedösel.
Ich bin ein Esel, an meinem Schwanz
Ist jedes Haar ein Esel.

Ich bin kein Römling, ich bin kein Slaw.
Ein deutscher Esel bin ich,
Gleich meinen Vätern. Sie waren so brav,
So pflanzenwüchsig, so sinnig.

Sie spielten nicht mit Galanterei
Frivole Lasterspiele.
Sie trabten täglich, frisch-fromm-fröhlich-frei,
Mit ihren Säcken zur Mühle.

Die Väter sind nicht tot! Im Grab
Nur ihre Häute liegen,
Die sterblichen Hüllen. Vom Himmel herab
Schaun sie auf uns mit Vergnügen.

Verklärte Esel im Gloria-Licht!
Wir wollen Euch immer gleichen
Und niemals von dem Pfad der Pflicht
Auch nur einen Fingerbreit weichen.

O welche Wonne, ein Esel zu sein!
Ein Enkel von solchen Langohren!
Ich möcht es von allen Dächern schrein:
Ich bin als ein Esel geboren.

Der große Esel, der mich erzeugt,
Er war von deutschem Stamme.
Mit deutscher Eselsmilch gesäugt
Hat mich die Mutter, die Mamme.

Ich bin ein Esel, und werde getreu,
Wie meine Väter, die Alten,
An der alten, lieben Eselei,
Am Eseltume halten.

Und weil ich ein Esel, so rate ich Euch,
Den Esel zum König zu wählen.
Wir stiften das große Eselreich,
Wo nur die Esel befehlen.

Wir alle sind Esel! I-A! I-A!
Wir sind keine Pferdeknechte.
Fort mit den Rossen! Es lebe, hurra!
Der König vom Eselsgeschlechte!

So sprach der Patriot. Im Saal
Die Esel Beifall rufen.
Sie waren alle national,
Und stampften mit ihren Hufen.

Sie haben des Redners Haupt geschmückt
Mit einem Eichenkranze.
Er dankte stumm, und hochbeglückt
Wedelt er mit dem Schwanze.

 
 
7 
 Oktober 
 
2012


 

Jüngst war seine Mutter zu Besuch.
Doch sie konnte nur zwei Tage bleiben.
Und sie müsse Ansichtskarten schreiben.
Und er las in einem dicken Buch.

Freilich war er nicht sehr aufmerksam.
Er betrachtete die Autobusse
und die goldnen Pavillons am Flusse
und den Dampfer, der vorüberschwamm.

Seine Mutter hielt den Kopf gesenkt.
Und sie schrieb gerade an den Vater:
“Heute abend gehen wir ins Theater
Erich kriegte zwei Billets geschenkt.”

Und er tat, als ob er fleißig las.
Doch er sah die Nähe und die Ferne,
sah den Himmel und zehntausend Sterne
und die alte Frau, die drunter saß.

Einsam saß sie neben ihrem Sohn.
Leise lächelnd. Ohne es zu wissen.
Stadt und Sterne wirkten wie Kulissen.
Und der Wirtshausstuhl war wie ein Thron.

Ihn ergriff das Bild. Er blickte fort.
Wenn sie mir schreibt, mußte er noch denken,
wird sie ihren Kopf genau so senken.
Und dann las er. Und verstand kein Wort.

Seine Mutter saß am Tisch und schrieb.
Ernsthaft rückte sie an ihrer Brille,
und die Feder kratzte in der Stille.
Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!

 

Textdichter Erich Kästner
Gesang Joeczy

 
 
31 
 August 
 
2012

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Wanderschaft (2:03)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Das Wandern ist des Müllers Lust,
Das Wandern!
Das muss ein schlechter Müller sein,
Dem niemals fiel das Wandern ein,
Das Wandern.

Vom Wasser haben wirs gelernt,
Vom Wasser!
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
Ist stets auf Wanderschaft bedacht,
Das Wasser.

O Wandern, Wandern, meine Lust,
O Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
Lasst mich in Frieden weiterziehn,
Und wandern!

 

 
Ungeduld (2:50)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Ich schnitt es gern in alle Rinden ein.
Ich grüb es gern in jeden Kieselstein.
Ich möcht es säen auf jedes frische Beet
Mit Kressesamen, der es schnell verrät.
Auf jeden weißen Zettel möcht ichs schreiben:
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.

Ich möcht mir ziehen einen jungen Star,
Bis dass er spräch mit meines Mundes Klang,
Mit meines Herzens vollem, heißem Drang,
Damit er’s säng durch ihrer Fenster Scheiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben,

Ich meint, es müsst in meinen Augen stehn.
Auf meinen Wangen müßt man’s brennen sehn.
Zu lesen wärs auf meinem stummen Mund.
Ein jeder Atemzug gäbs laut ihr kund.
Und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben:
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben!

 

 
Mein! (4:12)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Bächlein, lass dein Rauschen sein!
Räder, stellt euer Brausen ein!
All ihr muntern Waldvöglein,
Groß und klein,
Endet eure Melodein!
Durch den Hain
Aus und ein
Schalle heut ein Reim allein:
Die geliebte Müllerin ist mein!
Mein!
Frühling, sind das alle deine Blümelein?
Sonne, hast du keinen hellern Schein?
Ach, so müsst ich ganz allein,
Mit dem selgen Worte mein,
Unverstanden in der weiten Schöpfung sein?

 

 
Gute Nacht (5:18)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh –
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.
Was soll ich länger weilen,
Bis man mich treibt hinaus?
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht –
Von einem zu dem andern –
Feins Liebchen, gute Nacht.

 

 
Lindenbaum (6:06)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum.
Ich träumt in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort.
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt vorbei heut wandern
An ihm in tiefer Nacht.
Da hab ich noch im Dunkeln
Die Augen zugemacht.
Doch seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
»Komm her zu mir Geselle,
Hier findst du deine Ruh!«
Die kalten Winde bliesen
Mir grad ins Angesicht.
Der Hut flog mir vom Kopfe.
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort.
Doch immer hör ichs rauschen:
»Du fändest Ruhe dort!«

 

 
Hellas und die Welt (7:50)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Ohne die Freiheit, was wärest du Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?

Kommt, ihr Völker aller Zonen!
Seht die Brüste, die euch säugten,
Mit der reinen Milch der Weisheit!
Seht die Flamme,
Die euch wärmte
Durch und durch im tiefen Busen,
Dass ihr fühlet,
Wer ihr seid,
Was ihr wollt,
Was ihr sollt,
Eurer Menschheit hoher Adel,
Eure Freiheit!

Wollt ihr, das man sie ersticke?
Kommt, ihr Völker aller Zonen!
Kommt und helfet frei sie machen,
Die euch alle frei gemacht!

Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?