Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

10 
 März 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein


 
Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!


 


 
Rezitierte Gedichte

 
Brüder (0:22)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Brüder lasst uns lustig sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret.
Grab und Bahre warten nicht.
Wer die Rosen jetzo bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

Das Haupt bekränzt, das Glas gefüllt,
So leb ich, weil es leben gilt.
An Rosen such ich mein Vergnügen,
An Rosen, die zu Herzen gehn,
An Rosen, die den Frost besiegen
Und hier das ganze Jahr durchblühn.

Auf Rosen mach ich gute Reime
Auf Rosen schläfet meine Brust.
Auf Rosen hab ich sanfte Träume
Von still und warm und weicher Lust.
Und wenn ich einst von hinnen fahre,
So wünsch ich Rosen auf die Bahre.

 

 

Als er ihretwegen einen schweren Traum hatte (1:40)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Lass mich schlafen, Eleonore!
Willst du nicht zufrieden sein,
Dass ich mich am Tage quäle,
Und mein Herz viel tausend Pein

Deinetwegen muss ertragen?
Soll mich noch ein Schattenspiel
Mit verliebten Träumen plagen?
Engelskind, das ist zu viel!

Können selbst die ärmsten Sklaven,
Wenn das Schiff vor Anker liegt,
Bei der Nacht doch ruhig schlafen,
Ich allein schlaf unvergnügt;

Auch die Nacht kann mich nicht schützen,
Denn mein Herz erfährt dabei,
Dass es muss erbärmlich schwitzen:
Tag und Nacht ist einerlei.

Wenn der überhäufte Kummer
Meinen schwachen Gliederrest
Ganz zuletzt in einem Schlummer
Auf das Bette sinken lässt,

Darf ich zwar zum Himmel steigen,
Welcher deinen Schoß umschleußt,
Weil dein gütiges Bezeigen,
Mir im Traum die Leiter weist.

Und bei meinem süßen Schlafen,
Wenn sich Mast und Segel regt,
Läuft mein Schiff in deinen Hafen,
Den die Venus angelegt.

Ich beschiff bei Sturm und Blitzen
Diese neugefundne Welt,
Wenn die Wellen um mich spritzen,
Und der Schaum ins Bette fällt,

Land ich, eh ich michs versehe,
Bei den Zucker-Inseln an,
So dass ich sie in der Nähe
Halb entzückt besteigen kann.

Wenn ich mich in Träumen paare,
Find ich keinen Widerstand,
Den ich oft bei Tag erfahre.
Denn im Schlaf darf meine Hand

Nach den Purpurmuscheln greifen,
Die dein Ufer ausgesät.
Ja, ich darf noch weiter streifen,
Weil mir alles offen steht.

Aber, ach! wenn ich erwachet,
Sinket mir mein steifer Mut.
Ob ich gleich im Schlaf gelachet,
Und es mir noch sanfte tut.

Denn die Glieder sind zerschlagen,
Und der ausgebrochne Schweiß
Stehet, dass ichs kaum mag sagen,
Auf dem Leibe tropfenweis.

Drum so stelle, liebste Seele,
Künftig hin dein Martern ein.
Da ich mich am Tage quäle,
Lass die Nächte meine sein.

Sich am bloßen Schatten laben,
Ist ein Eis, das bald zerbricht.
Was ich nicht kann wachend haben,
Mag ich auch im Traume nicht.

 

 
An Leonoren (5:30)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Mein Kummer weint allein um dich,
Mit mir ist’s so verloren,
Die Umständ überweisen mich,
Ich sey zur Noth gebohren.

Ach, spare Seufzer, Wuntsch und Flehn,
Du wirst mich wohl nicht wiedersehn
Als etwan in den Auen,
Die Glaub und Hofnung schauen.

Vor diesem, da mir Fleiß und Kunst
Auf künftig Glücke blühte
Und mancher sich um Günthers Gunst
Schon zum Voraus bemühte,

Da dacht ich, wider Feind und Neid
Die Palmen der Beständigkeit
Mit selbst erworbnem Seegen
Dir noch in Schoos zu legen.

Der gute Vorsaz geht in Wind;
Ich soll im Staube liegen
Und als das ärmste Findelkind
Mich unter Leuten schmiegen.

Man läst mich nicht, man stöst mich gar
Noch stündlich tiefer in Gefahr
Und sucht mein schönstes Leben
Der Marter preiszugeben.

So wird auch wohl mein Alter seyn
Ich bin des Klagens müde
Und mag nichts mehr gen Himmel Schreyn
Als: Herr, nun las im Friede!

Kraft, Muth und Jugend sind fast hin,
Daher ich nicht mehr fähig bin,
Durch auserlesne Sachen
Mir Gut und Ruhm zu machen.

Nimm also, liebstes Kind, dein Herz,
O schweres Wort, zurücke
Und kehre dich an keinen Schmerz,
Womit ich’s wiederschicke;

Es ist zu edel und zu treu,
Als daß es mein Gefehrte sey
Und wegen fremder Plage
Sein eignes Heil verschlage.

Du kanst dir durch dies theure Pfand
Was Köstlichers erwerben,
Mir mehrt es nur den Jammerstand
Und läst mich schwerer sterben;

Denn weil du mich so zärtlich liebst
Und alles vor mein Wohlseyn giebst,
So fühl ich halbe Leiche
Auch zweyfach scharfe Streiche.

Ich schwur vor diesem: Nur der Tod,
Sonst soll uns wohl nichts trennen;
Verzeih es jezo meiner Noth,
Die kan ich dir nicht gönnen;

Ich liebe dich zu rein und scharf,
Als daß ich noch begehren darf,
Daß Lorchen auf der Erde
Durch mich zur Wittwen werde.

So brich nur Bild und Ring entzwey
Und las die Briefe lodern;
Ich gebe dich dem ersten frey
Und habe nichts zu fodern.

Es küße dich ein andrer Mann,
Der zwar nicht treuer küßen kan,
Jedoch mit größerm Glücke
Dein würdig Brautkleid schmücke.

Vergiß mich stets und schlag mein Bild
Von nun an aus dem Sinne;
Mein leztes Wüntschen ist erfüllt,
Wofern ich dies gewinne,

Daß mit der Zeit noch jemand spricht:
Wenn Philimen die Ketten bricht,
So sind’s nicht Falschheitstriebe,
Er hast sie nur aus Liebe.

Ich sterbe dir, und soll ein fremder Sand
Den oft durch dich ergötzten Leib bedecken,
So gönne mir das letzte Liebespfand
Und laß ein Kreuz mit dieser Grabschrift stecken:
Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kann?
Hier liegt der Mann.

 

 
Grabinschrift (7:24)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Hier starb ein Schlesier, weil Glück und Zeit nicht wollte,
Dass seine Dichtkunst ganz zur Reife kommen sollte.
Mein Pilger, lies geschwind und wandre deine Bahn,
Sonst steckt dich noch mein Staub mit Lieb und Unglück an.

 
 
3 
 Januar 
 
2012


 


Abbildung aus Cantus Circaeus
von Giordano Bruno


 

Als Giordano Bruno seine Werke über die Gedächtniskunst schreibt und veröffentlicht, entwickelt er sich von der Philosophie weiter in Richtung Magie.

Frances Yates ging es bei ihren Studien darum, die Philosophie Brunos im hermetischen und magischen Kontext seiner Zeit neu zu betrachten. Sie hat gezeigt, dass die Symbole und Zeichen mit der Magie gleichgesetzt werden können, da der Mensch mit ihrer Hilfe die universelle Erkenntnis erlangen kann. Durch die Anwendung der Gedächtniskunst, die in der Renaissance unter den Intellektuellen sehr beliebt war, können Archetypen in das Bewußtsein aufgenommen werden.

Von Sonnenkult und Hermetismus stark beeinflusst lesen sich die ersten beiden Bücher, die Giordano Bruno der Gedächtniskunst gewidmet hat, wie eine Anleitung zum Aktivieren “aller Mächte der Seele”. “De Umbris Idearum” (Von den Schatten der Ideen) ist in Form eines Dialogs zwischen 3 Personen geschrieben: Hermes, Philothine und Logifer. Hermes ist in der magischen Kunst der offenbarten Bilder bewandert und gibt dieses Wissen an seine beiden Schüler weiter. Die Gedächtniskunst steht in direkter Verbindung zur Sonne, und so konzentriert sich das Buch auf das Thema der von Hermes Trismegistos gelehrten Sonnenmagie.

Es folgt ein mytischer Katalog mit 150 Bildern, auf denen das magische System des Gedächtnisses aufbaut. Der Einfluss durch das Werk “De occulta philosophia” von Corneille Agrippa ist deutlich spürbar. Anschließend zeigt das Buch die Bilder der 36 Dekane: die Bilder der 7 Planeten sowie die 28 Bilder der Mondstände, ergänzt durch das Bild des Draco Lunae.

So findet sich beispielsweise folgende Beschreibung zum ersten Bild des Saturn: “Ein Mann mit dem Kopf eines Hirsches auf einem Drachen mit einer Eule in seiner rechten Hand, die eine Schlange verschlingt”.

Das Cantus Circaeus (Gesang der Kirke) bleibt dieser Richtung treu und präsentiert Kirke, Tochter der Sonne, als Magierin, wie sie ausführlich Planetenbeschwörungen rezitiert.

Auf den ersten Seiten ist eine Zusammenfassung aller Namen der Sonne und ihrer Attribute sowie der Pflanzen und Tiere zu lesen, die der Sonne zugeordnet sind und deren Mächte es dem Magier erlauben, die Sonnenseele auf sich zu konzentrieren. Kirke wiederholt ihre Formeln für jede einzelne Planetenmacht: Mond, Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur.
Bruno erweist sich als Meister in der Kunst der Erfindung von Systemen magischer und talismanischer Bilder. Wie schon Frances Yates gezeigt hat, ist die hermetische Ausrichtung seiner Schriften kaum zu übersehen. Die von Bruno verwendeten Bilder werden nicht mehr im christlichen Sinne interpretiert, sonders beziehen sich auf den ägyptischen Hermetismus, den der Philosoph über das Christentum stellt. Zwei Jahre später schreibt Bruno “Die Vertreibung der triumphierenden Bestie”, eine Verteidigungsschrift der magischen Religion der Ägypter und nach Meinung von Frances Yates, vom okkulten Asklepius inspiriert.

In der ersten 1591 veröffentlichten Schrift widmet sich Bruno erneut der magischen und astrologischen Gedächtniskunst. “De Imaginum, Signorum et Idearum compositione” enthält einen Planetenkatalog, der die Sonne und ihre Attribute in den Mittelpunkt stellt.

In diesem besonders sorgfältig ausgearbeiteten und mit den herkömmlichen Abbildungen der Planeten illustrierten letzten Werk beschreibt Bruno die Aufgliederung des Gedächtnisses in allen Einzelheiten. Sein hochentwickeltes Modell baut auf “12 Prinzipien” auf, denen z. T. sekundäre Prinzipien zugeordnet sind.

Jedem dieser Prinzipien entsprechen magische Bilder, in denen Bruno zahlreiche negative und positive Attribute sieht. Wie schon in “De Umbris Idearum” erscheint die Sonne als bindende Kraft und steht für Reichtum, Überfluss oder auch Fruchtbarkeit. Kirke ist auch hier eine mächtige Magierin, die ihre Kräfte weder zu eindeutig guten noch zu eindeutig schlechten Zwecken einsetzt.

Frances Yates erklärt, dass die hinter den Aspekten der Gedächtnistheorie zu erkennende Magie Brunos dem Eingeweihten erlaubt, sich die positiven Kräfte eines jeden Prinzips anzueignen, um sich in einen “Sonnen-, Jupiter- oder Venusmagier” zu verwandeln. Anders ausgedrückt werden mit seiner Gedächtniskunst Mittel und Wege aufgezeichnet, den Einfluss der Sterne auf sich zu ziehen, sich mit einer Macht zu identifizieren und sich dem Göttlichen zu nähern, um mit ihm zu verschmelzen.

Quelle: www.bruno-giordano.net

 
 
13 
 August 
 
2011


 

“Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp’,
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen gold’nen Becher werf’ ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Und wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er sei sein eigen.”

Der König spricht es und wirft von der Höh’
Der Klippe, die schroff und steil
Hinaushängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
“Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?”

Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen’s und schweigen still,
Gehen hinab in das wilde Meer,
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum dritten Mal wieder fraget:
“Ist keiner, der sich hinunter waget?”

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor. –
Und ein Edelknecht, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg,
Und alle die Männer umher und Frauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunter schlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
Und wie mit dem fernen Donners Getose
Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut auf Flut sich ohn’ Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt;
Und schwarz aus dem weißen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging’s in den Höllenraum:
Und reißend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und – ein Schrei des Entsetzen wird rings gehört –
Schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schimmer
Schließt sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.

Und stille wird’s über dem Wasserschlund,
In der Tiefe nur brauset es hohl;
Und bebend geht es von Mund zu Mund:
“Hochherziger Jüngling, fahre wohl!”
Und hohler und hohler hört man’s heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst du die Krone selber hinein
Und sprächst: Wer mir bringet die Kron’,
Er soll sie tragen und König sein –
Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn,
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende, glückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel erfaßt,
Schoß jäh in die Tiefe hinab,
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
Hervor aus dem alles verschlingendem Grab. –
Und heller und heller, wie Sturmessausen,
Hört man’s näher und näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well’ auf Well’ sich ohn’ Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Und sieh! Aus dem finster flutenden Schoß,
Da hebet sich’s schwanenweiß,
Und ein Arm und ein glänzender Rachen wird bloß,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß;
Und er ist’s, und hoch in seiner Linken
Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lange und atmete tief
Und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem Andern rief:
“Er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab’, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele.”

Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar,
Zu des Königs Füßen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm knieend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
Und der Jüngling sich also zum König wandte:

“Lang lebe der König! Es freue sich,
Wer da atmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist’s fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und mit Grauen!

Es riß mich hinunter blitzesschnell;
Da stürzt mir aus seligem Schacht
Wildflutend entgegen ein reißender Quell;
Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
Und wie ein Kreisel mit schwindelndem Drehen
Trieb mich’s um, ich konnte nicht widerstehnen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief
In der höchsten schrecklichen Not,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfaßt’ ich behend und entrann dem Tod;
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
Sonst wär’ er in’s Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lag’s noch Berge tief
In purpurner Finsternis da,
Und, ob’s hier dem Ohre gleich ewig schlief,
Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
Wie’s von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch,
Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachlige Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war’s mir mit Grausen bewußt,
Von der menschlichen Hilfe so weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der gräßlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht’ ich’s, da kroch’s heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir – in des Schreckens Wahn
Lass’ ich los der Koralle umklammerten Zweig;
Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben.”

Der König erhob sich verwundert schier
Und spricht: “Der Becher ist dein,
Und diesen Ring noch bestimm’ ich dir,
Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
Versuchst du’s noch einmal und bringst mir Kunde,
Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grund.”

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
“Laßt, Vater, genug sein das grausame Spiel;
Er hat euch bestanden, was keiner besteht,
Und könnt ihr des Herzens Gelüste nicht zähmen,
So mögen die Ritter den Knappen beschämen.”

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
In den Strudel ihn schleudert hinein:
“Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell’,
So sollt du der trefflichste Ritter mir sein,
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen.”

Da ergreift’s ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Es blitzt aus den Augen ihm kühn,
Und er sieht erröten die schöne Gestalt,
Und sieht sie erbleichen und sinken hin; –
Da treibt’s ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündet der donnernde Schall;
Da bückt sich’s hinunter mit liebendem Blick, –
Es kommen und kommen die Wasser all’,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, –
Den Jüngling bringt keines wieder.

Sprecher Oskar Werner   |   Bereitstellung Wortlover