Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

2 
 Juli 
 
2017

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DICHTUNG Friedrich Hölderlin
LESUNG Roger Willemsen
BEREITSTELLUNG always poet


 

Der Jüngling an die klugen Ratgeber

Ich sollte ruhn? Ich soll die Liebe zwingen,
Die feurigfroh nach hoher Schöne strebt?
Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,
Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?
O schonet mein! Allmächtig fortgezogen,
Muß immerhin des Lebens frische Flut
Mit Ungeduld im engen Bette wogen,
Bis sie im heimatlichen Meere ruht.

Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Tale,
Hesperiens beglückter Garten bringt
Die goldnen Früchte nur im heißen Strahle,
Der, wie ein Pfeil, ins Herz der Erde dringt.
Was sänftiget ihr dann, wenn in den Ketten
Der ehrnen Zeit die Seele mir entbrennt,
Was nimmt ihr mir, den nur die Kämpfe retten,
Ihr Weichlinge! mein glühend Element?

Das Leben ist zum Tode nicht erkoren,
Zum Schlafe nicht der Gott, der uns entflammt,
Zum Joch ist nicht der Herrliche geboren,
Der Genius, der aus dem Aether stammt;
Er kommt herab; er taucht sich, wie zum Bade,
In des Jahrhunderts Strom und glücklich raubt
Auf eine Zeit den Schwimmer die Najade,
Doch hebt er heitrer bald sein leuchtend Haupt.

Drum laßt die Lust, das Große zu verderben,
Und geht und sprecht von eurem Glücke nicht!
Pflanzt keinen Zedernbaum in eure Scherben!
Nimmt keinen Geist in eure Söldnerspflicht!
Versucht es nicht, das Sonnenroß zu lähmen!
Laßt immerhin den Sternen ihre Bahn!
Und mir, mir ratet nicht, mich zu bequemen,
Und macht mich nicht den Knechten untertan.

Und könnt ihr ja das Schöne nicht ertragen,
So führt den Krieg mit offner Kraft und Tat!
Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen,
Jetzt mordet ihn der sanfte kluge Rat;
Wie manchen habt ihr herrlich zubereitet
Fürs Reich der Not! wie oft auf euern Sand
Den hoffnungsfrohen Steuermann verleitet
Auf kühner Fahrt ins warme Morgenland!

Umsonst! mich hält die dürre Zeit vergebens,
Und mein Jahrhundert ist mir Züchtigung;
Ich sehne mich ins grüne Feld des Lebens
Und in den Himmel der Begeisterung;
Begrabt sie nur, ihr Toten, eure Toten,
Und preist das Menschenwerk und scheltet nur!
Doch reift in mir, so wie mein Herz geboten,
Die schöne, die lebendige Natur.

 
 
25 
 Mai 
 
2016


 

DICHTUNG Friedrich Nietzsche
LESUNG Axel Grube
BEREITSTELLUNG Scardanelli 1748


 

Kapitel 5
39.

Ich kehre zurück, ich erzähle die echte Geschichte des Christenthums. – Das Wort schon »Christenthum« ist ein Mißverständniß –, im Grunde gab es nur Einen Christen, und der starb am Kreuz. Das »Evangelium« starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an »Evangelium« heißt, war bereits der Gegensatz Dessen, was er gelebt: eine » schlimme Botschaft«, ein Dysangelium. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem »Glauben«, etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie Der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich… Heute noch ist ein solches Leben möglich, für gewisse Menschen sogar nothwendig: das echte, das ursprüngliche Christenthum wird zu allen Zeiten möglich sein… Nicht ein Glauben, sondern ein Thun, ein Vieles- nicht-thun vor Allem, ein andres Sein… Bewußtseins-Zustände, irgend ein Glauben, ein Für-wahr-halten zum Beispiel – jeder Psycholog weiß das – sind ja vollkommen gleichgültig und fünften Ranges gegen den Werth der Instinkte: strenger geredet, der ganze Begriff geistiger Ursächlichkeit ist falsch.

Kapitel 6
40.

Das Verhängnis; des Evangeliums entschied sich mit dem Tode, – es hieng am »Kreuz« … Erst der Tod, dieser unerwartete schmähliche Tod, erst das Kreuz, das im Allgemeinen bloß für die Canaille aufgespart blieb, – erst diese schauerlichste Paradoxie brachte die Jünger vor das eigentliche Räthsel: »wer war das? was war das?«– Das erschütterte und im Tiefsten beleidigte Gefühl, der Argwohn, es möchte ein solcher Tod die Widerlegung ihrer Sache sein, das schreckliche Fragezeichen »warum gerade so?« – dieser Zustand begreift sich nur zu gut. Hier mußte Alles nothwendig sein, Sinn, Vernunft, höchste Vernunft haben, die Liebe eines Jüngers kennt keinen Zufall. Erst jetzt trat die Kluft auseinander: » wer hat ihn getödtet? wer war sein natürlicher Feind?«– diese Frage sprang wie ein Blitz hervor. Antwort: das herrschende Judentum, sein oberster Stand. Man empfand sich von diesem Augenblick im Aufruhr gegen die Ordnung, man verstand hinterdrein Jesus als im Aufruhr gegen die Ordnung. Bis dahin fehlte dieser kriegerische, dieser Nein-sagende, Nein-thuende Zug in seinem Bilde; mehr noch, er war dessen Widerspruch. Offenbar hat die kleine Gemeinde gerade die Hauptsache nicht verstanden, das Vorbildliche in dieser Art zu sterben, die Freiheit, die Überlegenheit über jedes Gefühl von ressentiment: – ein Zeichen dafür, wie wenig überhaupt sie von ihm verstand! An sich konnte Jesus mit seinem Tode nichts wollen, als öffentlich die stärkste Probe, den Beweis seiner Lehre zu geben … Aber seine Jünger waren ferne davon, diesen Tod zu verzeihen, – was evangelisch im höchsten Sinne gewesen wäre; oder gar sich zu einem gleichen Tode in sanfter und lieblicher Ruhe des Herzens anzubieten… Gerade das am meisten unevangelische Gefühl, die Rache, kam wieder obenauf. Unmöglich konnte die Sache mit diesem Tode zu Ende sein: man brauchte »Vergeltung«, »Gericht« (– und doch, was kann noch unevangelischer sein, als »Vergeltung«, »Strafe«, »Gericht-Halten«!). Noch einmal kam die populäre Erwartung eines Messias in den Vordergrund; ein historischer Augenblick wurde in’s Auge gefaßt: das »Reich Gottes« kommt zum Gericht über seine Feinde… Aber damit ist Alles mißverstanden: das »Reich Gottes« als Schlußakt, als Verheißung! Das Evangelium war doch gerade das Dasein, das Erfülltsein, die Wirklichkeit dieses »Reichs« gewesen. Gerade ein solcher Tod war eben dieses »Reich Gottes«. Jetzt erst trug man die ganze Verachtung und Bitterkeit gegen Pharisäer und Theologen in den Typus des Meisters ein, – man machte damit aus ihm einen Pharisäer und Theologen! Andrerseits hielt die wildgewordne Verehrung dieser ganz aus den Fugen gerathenen Seelen jene evangelische Gleichberechtigung von Jedermann zum Kind Gottes, die Jesus gelehrt hatte, nicht mehr aus; ihre Rache war, auf eine ausschweifende Weise Jesus emporzuheben, von sich abzulösen: ganz so, wie ehedem die Juden aus Rache an ihren Feinden ihren Gott von sich losgetrennt und in die Höhe gehoben haben. Der Eine Gott und der Eine Sohn Gottes: Beides Erzeugnisse des ressentiment …

Kapitel 6
41.

Und von nun an tauchte ein absurdes Problem auf: »wie konnte Gott das zulassen!« Darauf fand die gestörte Vernunft der kleinen Gemeinschaft eine geradezu schrecklich absurde Antwort: Gott gab seinen Sohn zur Vergebung der Sünden, als Opfer. Wie war es mit Einem Male zu Ende mit dem Evangelium! Das Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen! Welches schauderhafte Heidenthum! – Jesus hatte ja den Begriff »Schuld« selbst abgeschafft, – er hat jede Kluft zwischen Gott und Mensch geleugnet, er lebte diese Einheit von Gott und Mensch als seine »frohe Botschaft« … Und nicht als Vorrecht! – Von nun an tritt schrittweise in den Typus des Erlösers hinein: die Lehre vom Gericht und von der Wiederkunft, die Lehre vom Tod als einem Opfertode, die Lehre von der Auferstehung, mit der der ganze Begriff »Seligkeit«, die ganze und einzige Realität des Evangeliums, eskamotirt ist – zu Gunsten eines Zustandes nach dem Tode! … Paulus hat diese Auffassung, diese Unzucht von Auffassung mit jener rabbinerhaften Frechheit, die ihn in allen Stücken auszeichnet, dahin logisirt: » wenn Christus nicht auferstanden ist von den Todten, so ist unser Glaube eitel«. – Und mit Einem Male wurde aus dem Evangelium die verächtlichste aller unerfüllbaren Versprechungen, die unverschämte Lehre von der Personal-Unsterblichkeit … Paulus selbst lehrte sie noch als Lohn! …

Kapitel 6
42.

Man sieht, was mit dem Tode am Kreuz zu Ende war: ein neuer, ein durchaus ursprünglicher Ansatz zu einer buddhistischen Friedensbewegung, zu einem thatsächlichen, nicht bloß verheißenen Glück auf Erden. Denn dies bleibt – ich hob es schon hervor – der Grundunterschied zwischen den beiden décadence-Religionen: der Buddhismus verspricht nicht, sondern hält, das Christentum verspricht Alles, aber hält Nichts. – Der »frohen Botschaft« folgte auf dem Fuß die allerschlimmste: die des Paulus. In Paulus verkörpert sich der Gegensatz-Typus zum »frohen Botschafter«, das Genie im Haß, in der Vision des Hasses, in der unerbittlichen Logik des Hasses. Was hat dieser Dysangelist Alles dem Hasse zum Opfer gebracht! Vor Allem den Erlöser: er schlug ihn an sein Kreuz. Das Leben, das Beispiel, die Lehre, der Tod, der Sinn und das Recht des ganzen Evangeliums – Nichts war mehr vorhanden, als dieser Falschmünzer aus Haß begriff, was allein er brauchen konnte. Nicht die Realität, nicht die historische Wahrheit! … Und noch einmal verübte der Priester-Instinkt des Juden das gleiche große Verbrechen an der Historie, – er strich das Gestern, das Vorgestern des Christentums einfach durch, er erfand sich eine Geschichte des ersten Christentums. Mehr noch: er fälschte die Geschichte Israels nochmals um, um als Vorgeschichte für seine That zu erscheinen: alle Propheten haben von seinem »Erlöser« geredet … Die Kirche fälschte später sogar die Geschichte der Menschheit zur Vorgeschichte des Christenthums… Der Typus des Erlösers, die Lehre, die Praktik, der Tod, der Sinn des Todes, selbst das Nachher des Todes – Nichts blieb unangetastet, Nichts blieb auch nur ähnlich der Wirklichkeit. Paulus verlegte einfach das Schwergewicht jenes ganzen Daseins hinter dies Dasein, – in die Lüge vom »wiederauferstandenen« Jesus. Er konnte im Grunde das Leben des Erlösers überhaupt nicht brauchen, – er hatte den Tod am Kreuz nöthig und etwas mehr noch… Einen Paulus, der seine Heimath an dem Hauptsitz der stoischen Aufklärung hatte, für ehrlich halten, wenn er sich aus einer Hallucination den Beweis vom Noch-Leben des Erlösers zurecht macht, oder auch nur seiner Erzählung, daß er diese Hallucination gehabt hat, Glauben schenken, wäre eine wahre niaiserie seitens eines Psychologen: Paulus wollte den Zweck, folglich wollte er auch die Mittel… Was er selbst nicht glaubte, die Idioten, unter die er seine Lehre warf, glaubten es. – Sein Bedürfniß war die Macht; mit Paulus wollte nochmals der Priester zur Macht, – er konnte nur Begriffe, Lehren, Symbole brauchen, mit denen man Massen tyrannisirt, Heerden bildet. Was allein entlehnte später Muhammed dem Christentum? Die Erfindung des Paulus, sein Mittel zur Priester-Tyrannei, zur Heerden-Bildung: den Unsterblichkeits-Glauben – das heißt die Lehre vom »Gericht«…

Textdichter Friedrich Nietzsche
Lesung Axel Grube

 
 
24 
 Mai 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Klöpplerinnen (1:19)
Louise Otto-Peters (1819 – 1895)
Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen
Die Wangen bleich und die Augen rot?
Sie mühen sich ab für einen Bissen,
Für einen Bissen schwarzes Brot!

Großmutter hat sich die Augen erblindet,
Sie wartet, bis sie der Tod befreit –
Im stillen Gebet sie die Hände windet:
Gott schütze uns in der schweren Zeit.

Die Kinder regen die kleinen Hände.
Die Klöppel fliegen hinab, hinauf.
Der Müh und Sorge kein Ende, kein Ende!
Das ist ihr künftiger Lebenslauf.

Die jungen Frauen, dass Gott sich erbarme,
Sie ahnen nimmer der Jugend Lust –
Das Elend schließt sie in seine Arme,
Der Mangel schmiegt sich an ihre Brust.

Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen,
Seht Ihr die Spitzen, die sie gewebt:
Ihr Reichen, Großen – hat das Gewissen
Euch nie in der innersten Seele gebebt?

Ihr schwelgt und prasset, wo sie verderben,
Genießt das Leben in Saus und Braus,
Indessen sie vor Hunger sterben,
Gott dankend, dass die Qual nun aus!

Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen?
Und fühlt kein Erbarmen in solcher Zeit?
Dann werde Euer Sterbekissen
Der Armut Fluch und all ihr Leid!

Nachtphantasien (3:36)
Louise Aston (1814 – 1871)
Ich liebe die Nacht! Ich liebe die Nacht!
Doch nicht die einsame, trübe!
Nein, die aus seligen Augen lacht,
In flammender Pracht, in Zaubermacht,
Die heilige Nacht der Liebe.

Es mahne der Tod mich, der finstere bleiche,
An das Leben, das lichte, das reiche,
An den heiteren Genius der Welt!
Drum hab ich ein knöchern Beingerippe
Mit Kruzifix und drohender Hippe
In meinem Zimmer aufgestellt.

Fest schau ich es an bei Mondenscheine,
Wenn ich in verzweifeltem Schmerze weine.
Ein kämpfendes Kind der kämpfenden Zeit!
Dann tauml ich empor in wildem Entzücken,
Das Leben noch einmal ans Herz zu drücken,
Bevor es vernichtendem Tode geweiht!

Ja, kühlen in frischen Lebensfluten
Will ich der lodernden Seele Gluten!
Ich will, vor Sünde und Kreuz bewahrt,
Stark durch des eigenen Geistes Ringen,
Mich aus Fesseln und Banden schwingen
Auf zu begeisterter Himmelfahrt!

Farbenwechsel (5:50)
Kathinka Zitz (1801 – 1877)
»Warum nur gehst du immer grau gekleidet?«
So sprach der Freund zu einer ernsten Frau.
»Mein Aug sich gern an bunten Farben weidet,
Du aber gehst so lange schon in Grau.«

»Mein treuer Freund, dir will ich wohl es sagen.
Die graue Stimmung herrscht mir im Gemüt,
Und keine bunten Farben kann ich tragen,
Seit mir des Lebens Baum hat abgeblüht.

Das Kind trug Weiß – Der Unschuld Engelfarbe
Umhüllte es so duftig, hell und klar.
Und aus der Ähren aufgehäufter Garbe
Zog es sich Blumen für sein Lockenhaar.

Dann kam die Zeit der aufgewachten Triebe,
Die in dem Lenz des Lebens feurig glühn.
Ich ging im Kleid der rosenroten Liebe
Und in der Hoffnung heilig-schönem Grün.

Dann kam ein Tag, der brachte die Gewänder
Der wilden feuerfarbnen Leidenschaft,
Die mich umschloss mit ihren Glutenbändern,
Mir aufgezehrt des Geistes rege Kraft.

Die Gattin ging einher im blauen Kleide
Der ewig duldenden Ergebenheit.
Und später trug ich violette Seide.
Die Farbe, die dem edlen Zorn geweiht.

Dann sah ich Jahre auf mich niederschweben
Wie Rabenzüge mit dem Unglücks-Flug,
In welchen ich um ein verfehltes Leben.
Das dunkle Schwarz der tiefen Trauer trug.

Allmählich trug ich Braun – Denn die Bestrebung
Des Selbstbewusstseins lichtete den Sinn.
Die braune Farbe deutet auf Ergebung
In ein Geschick, an dem ich schuldlos bin.

Jetzt ist das Grau die Farbe meiner Tage.
Das Sinnbild einer blassen Dämmerzeit,
In der gestorben ist die Freude wie die Klage.
Die graue Farbe zeigt Gleichglültigkeit.«