Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

17 
 April 
 
2017

abgelegt in
Gedankenschau | Religion

 

Wie ich es mit der Religion halte?

Saladin lässt Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan erkennt sofort die ihm gestellte Falle: Erklärt er seine Religion zur „einzig wahren“, muss Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen, schmeichelt er hingegen dem (muslimischen) Sultan, muss er sich fragen lassen, warum er noch Jude sei. Um einer klaren Antwort auszuweichen („Nicht die Kinder bloß, speist man mit Märchen ab“[6]), antwortet er mit einem Gleichnis: Ein Mann besitzt ein wertvolles Familienerbstück, einen Ring, der die Eigenschaft hat, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn der Besitzer ihn „in dieser Zuversicht“ trägt. Dieser Ring wurde über viele Generationen vom Vater an jenen Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Doch eines Tages tritt der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hat und keinen von ihnen bevorzugen will. Deshalb lässt er sich von einem Künstler exakte Duplikate des Ringes herstellen, vererbt jedem seiner Söhne einen der Ringe und versichert jedem, sein Ring sei der echte.

Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sei. (Auf die Frage, wann dies geschehen sein könnte, geht der Richter nicht explizit ein; auch der Ring des Vaters kann schon unecht gewesen sein). Der Richter gibt den Söhnen den Rat, jeder von ihnen solle daran glauben, dass sein Ring der echte sei. Ihr Vater habe alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von ihnen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, so wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Jeder Ringträger solle sich also bemühen, diese Wirkung für sich herbeizuführen.

Die Ringparabel (aus: “Nathan der Weise)

Dieses “Bemühen um ein menschen- und gottgefälliges Verhalten” als Markenzeichen der “wahren Religion” suche ich nicht im Dogma, im Lehrbuch der jeweiligen Religion (Tora, Koran, Bibel), sondern in der praktischen Umsetzung und stellle mir lediglich die Frage(n):

“Welcher Umgang wird mit den schwächsten Gliedern gepflegt und anhaltend kultiviert, ja sogar angepriesen?”

[1]
Zu diesen “schwächsten Gliedern” zähle ich einerseits die Lebensformen unterhalb der eigenen Nahrungskette, nämlich Pflanzenwelt und Tierreich.
Wird Raubbau der Natur, Zerstörung von Ökosystemen geduldet?
Werden Tiere in irgendeiner Form gequält und/oder ausgebeutet?

[2]
Andererseits schaue ich IMMER auf die Stellung der Frau.
Ist jene integrativer, gleichbereichtigter Bestandteil der Lebensgemeinschaft oder nur Produktionsfaktor (Gebärmaschine, kostengünstigere Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt bei ungleicher Entlohnung) und Erfüllungsgehilfin einer patriarchalisch gestimmten (Männer-)Gesellschaft.

Fällt bei lediglich einer der beiden Fragen die Antwort unbefriedigend aus, so spreche ich der jeweiligen Religion ihre “Glaub-Würdigkeit” ab und betrachte sie als Menschenwerk einer tyrannisierenden Priesterschaft zwecks Herdenbildung und Manipulation (Nietzsche), mehr noch: als Blasphemie (Gotteslästerung) eines instrumentalisierten (Juden-, Muslim-, Christen-)Gottes.

Und der Zorn Gottes (wer auch immer dies als Prinzip sein möge) wird nicht ausbleiben…

 
 
25 
 Mai 
 
2011

abgelegt in
Das Patt | Hexameter

 

Eine sich jäh tagende Pattrettung
 
 


 
Siehe, Bauer c6, wie das Glück Deiner Adelung hold Dir
winkt und lohnt die erduldete Schmach im Gefechte der Schlacht.
Walle, Vasall, und vollende den Lauf durch der Dame schützende Hand!

Schaudernd fristet indes auf h1 verwaist der schwarze Regent und
harret dem nahenden Matt, das ihn in Bälde ereilt.
Dame Schwarz, der Gefahr gegenwärtig, bietet dem König
flugs ein drohendes Schach, den Aufschub des Gatten Tod damit erhoffend.

 


 
Jene Majestät im weißen Gewande lächelt gelassen der
feindschen Gesinnung entgegen, wähnt sich vermeintlich im Schutz
durch des Bauern Geleit, der durch Aufmarsch ein weiteres Unheil abwendet.

 


 
Müßiger Kriegsherr des weißen Lagers,
hättest selbst den Fuß du gesetzt
auf friedliches Feld b4,
wo keine Gefahr länger Dir bräute.

 


 
Denn Schock, schwere Not,
es dränget die schwarze Königsgemahlin
dem weißen König und seiner Gattin erneut,
mit tollkühner Gabel opfert selbstlos
die schwarze Dame sich nun.

 


 
Oh, welch köstlich Märtyrium!
Die weiße Dame muss nehmen,
dem Gebote des Schaches zu wehren
und wird durch die schwarze Macht
auf g3 verheerend gelenkt,
wo sie die rettende Flucht des Schwarzen daselbst
vereitelt und somit Remis nun erwirkt.

 
 
28 
 September 
 
2009


 

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Schachzabel (1337)
– das Schachspiel

Schach als bedeutungs(über-)beladenes, polysemantisches Spiel lässt mich nicht los!

In Anlehnung “Gottesdienst einmal anders: Multisensorischer Ritus tanzender Schachfiguren im Einklang mit den kosmischen Ordnungsprinzipien. Gesangbuch folgt.” möchte ich weiter gedanklich die Liturgie meiner angedachten Zeremonie grob umreißen, holzschnittartig skizzieren.

Vor gut einem Monat wurde ich auf das Schachzabelbuch des Konrad von Ammenhausen aufmerksam und durfte auf chesshistory.com bezüglich dessen Inhaltes fündig werden (download).

Ich kann es mir nicht verwehren, nebst obiger Download-Adresse den amüsanten und durchaus tiefsinnigen Text hier nochmals aufzuzeigen:

Das Schachzabelbuch des Konrad von Ammenhausen (1337)
 
Die europäische Schachliteratur begann sich im 13. Jahrhundert zu entfalten. Das mittelalterliche Interesse galt einerseits Problemsammlungen arabischen Vorbilds und andrerseits sogenannten
«Moralschriften». Diese Dichtungen zogen das Schachspiel als Abbild der Gesellschaft heran und führten anhand der einzelnen Figuren die Rechte und Pflichten der einzelnen Stände aus. Der schachliche Gehalt beschränkte sich meist auf ein Minimum, doch ausgeschmückt mit zahlreichen Allegorien und Anekdoten gewannen diese Darstellungen einen breiten Leserkreis.
 
Das beliebteste dieser „Schachzabelbücher“ („Schachbrettbücher“) war das lateinische Liber demoribus hominum et de officiis nobilium ac popularium super ludo scaccorum des Dominikanermönchs Jakob von Cessoles. Offenbar kurz vor 1300 aus einer Reihe von Predigten hervorgegangen, widerfuhr diesem Traktat innert kurzer Zeit ungewöhnlich grosser Zuspruch, der sich in unzähligen Abschriften (und später Drucken) sowie Übersetzungen ins Französische, Italienische, Katalanische, Spanische, Englische, Deutsche, Holländische, Schwedische und Tschechische manifestierte. Nur die Bibel soll in jener Zeit noch weiter verbreitet gewesen sein.
 
Allein in deutscher Sprache liegen fünf unabhängige Bearbeitungen vor. Die mit Abstand umfangreichste und bekannteste ist die mittelhochdeutsche Versdichtung des Mönchs und Leutpriesters zu Stein am Rhein, Konrad von Ammenhausen. Fast nichts ist über diesen Bauernsohn aus dem thurgauischen Weiler Ammenhausen bekannt. Er lebte von etwa 1280/90 bis Mitte des 14. Jahrhunderts, wurde wahrscheinlich in einer Klosterschule erzogen und hatte auf Reisen Frankreich die Provence und Graubünden kennengelernt.
 
Konrads Belesenheit, seine genauen Kenntnisse des Alltags und seine Beobachtungsgabe spiegeln sich in vielen Stellen seines Schachzabelbuches. Im grossen und ganzen hielt sich Konrad (auch «Cuonrat» oder «Kunrat» geschrieben) zwar an die lateinische Vorlage, doch ergänzte er diese mit unzähligen eigenen Geschichten, Belehrungen und Erfahrungen, so dass er nach mühevoller Arbeit nicht weniger als 19336 Verszeilen aufs Blatt gebracht hatte (die Verszahlen stammen von Vetter, sind aber möglicherweise nicht völlig akkurat).
 
Den Stoff des Cessoles hatte er damit mehr als verdoppelt.

Wie die Vorlage zerfällt auch Konrads Buch zwischen Vorrede und Epilog in vier Teile:

Der erste Teil berichtet in 1160 Versen von der sagenhaften Erfindung des Schachspiels, dem angeblichen Erfinder und dem Sinn des Spiels. Dieser besteht in der Belehrung der Könige, der Bekämpfung des Müssiggangs und der Befriedigung der menschlichen Sucht nach Neuem.

Im zweiten Teil werden in 7748 Versen die «edlen» Schachfiguren als Symbole der gehobenen Stände und ihrer besonderen Tugenden und Untugenden beschrieben. Vom König erwartet Konrad Milde und Barmherzigkeit, Wahrhaftigkeit, Strenge gegen böse Ratgeber, Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit.
Die Königin soll sich durch Weisheit, Keuschheit, Zucht und Scham sowie edle Geburt auszeichnen.
Bei den Richtern (Läufern) doziert Konrad ausschweifend über verschiedene Aspekte von Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und eifrigem Studium.
Gute Ritter (Springer) zeichnen sich durch Weisheit, Treue, edle Gesinnung, Tapferkeit, Barmherzigkeit, Volksfreundlichkeit und Gesetzeseifer aus, während sich die Landvögte (Türme) durch Gerechtigkeit, Milde, Demut, Geduld, Genügsamkeit und edle Gesinnung hervorzuheben haben.
In all diesen Beschreibungen kommen klassische Sagen und Erzählungen in grosser Vielfalt zum Zuge.

Der dritte Teil von 8380 Versen ist den «gemeinen» Schachfiguren («Venden», d.h. Bauern) gewidmet. Für heutige Leser eher ungewohnt, erhält jeder einzelne Bauer eine eigene Identität.
Die acht Kapitel handeln der Reihe nach vom Landmann (h-Bauer), vom Schmied, Maurer und Zimmermann (g-Bauer), vom Weber, Schreiber und weiteren Kleinhandwerkern (f-Bauer), vom Kaufmann und Geldwechsler (e-Bauer), vom Arzt und Apotheker (d-Bauer), vom Schenk- und Gastwirt (c-Bauer), vom Beamten und Verwalter (b-Bauer) und schließlich vom Verschwender, Spieler und Boten (a-Bauer).
Jeden dieser Berufe nimmt der Prediger Konrad zum Anlass eingehender Betrachtungen und wiederholter Ermahnungen.

Erst im vierten Teil kommt der Dichter in 862 Versen auf das eigentliche Schachspiel zu sprechen. Er beschreibt das Brett und die Gangart der Figuren. Zum Schluss werden die Erfindungsgeschichte des Schachspiels und das ganze Werk noch einmal rekapituliert.
Insgesamt fällt dieser Teil recht knapp aus; das eigentliche Schachspiel interessierte den thurgauischen Mönch deutlich weniger als die vielen allegorischen Deutungsmöglichkeiten.

Figuren als Repräsentanten von Ideen, Handlungsorientierung und göttlichen Ordnungsprinzipien. Ein durchaus erhabener Gedankenansatz!

Zurück zu meinem Gedächtnissystem.
Mein Anspruch sollte daher kein geringerer sein, das Weltwissen sensorisch (hier durch Schachfiguren personifiziert) auf einer erweiterten Matrix von 8×8 auf 10×10 (in Anlehnung an die Dezimalklassifiktion (siehe auch Blog-Beitrag) abzuBILDen, wobei der Begriff “Bild” nicht nur für den visuellen Kanal prädestiniert ist, sondern generell alle Wahrnehmungspforten mit einschließt (z.B. auch den akustischen mit seinen Lautbildern).

Hierbei verwiese ich auch auf die didaktische, analogienbildende Forderung von Aaron Nimzowitsch in seinem Schach-Standardwerk “Mein System”, durch […] komisch wirkende Parallelen zu Ereignissen des täglichen Lebens, Klarheit über komplizierte Schachvorgänge zu gewinnen […].