Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

1 
 April 
 
2012


 

DICHTUNG Theodor Fontane
LESUNG Otto Sander
BEREITSTELLUNG wortlover



John Maynard!
“Wer ist John Maynard?”
“John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron’,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.”

Die “Schwalbe” fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: “Wie weit noch, Steuermann?”
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
“Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.”

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
“Feuer!” war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: “Wo sind wir? wo?”
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
“Noch da, John Maynard?”
“Ja,Herr. Ich bin.”

“Auf den Strand! In die Brandung!”
“Ich halte drauf hin.”
Und das Schiffsvolk jubelt: “Halt aus! Hallo!”
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

“Noch da, John Maynard?” Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: “Ja, Herr, ich halt’s!”
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die “Schwalbe” mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug’ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

“Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.”

 
 
31 
 März 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Der Mensch (0:09)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kommt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr.
Gelüstet und begehret
Und bringt sein Tränlein dar.
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr,
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr.
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar.
Schläft, wachet, wächst und zehret,
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenns hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kommt nimmer wieder.

 

 
Epigramm von Lessing über Klopstock (0:09)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.
Wir möchten weniger erhoben
Und fleißiger gelesen sein.

 

 
Abendlied (4:24)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Der Mond ist aufgegangen.
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold.
Wie eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolzen Menschenkinder
Sind doch nur arme Sünder
Und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
Und treiben viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder.
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen,
Und lass uns ruhig schlafen
Und unsern kranken Nachbar auch!

 

 
Täglich zu singen (6:11)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Ich danke Gott und freue mich
Wies Kind am Weihnachttage,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
Schön menschlich Antlitz habe.

Dass ich die Sonne, Berg und Meer
Und Laub und Gras kann sehen,
Und abends unterm Sternenheer
Und lieben Monde gehen.

Und dass mir dann zumute ist,
Wie wenn wir Kinder kamen,
Und sahen, was der heilge Christ
Bescheret hatte, Amen!

Ich danke Gott mit Saitenspiel,
Dass ich kein König worden.
Ich wär geschmeichelt worden viel
und wär vielleicht verdorben.

Auch bet ich ihn von Herzen an,
Dass ich auf dieser Erde
Nicht bin ein großer, reicher Mann,
Und auch wohl keiner werde.

Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht,
Hat mancherlei Gefahren.
Und vielen hats das Herz verdreht,
Die weiland wacker waren.

Und all das Geld und all das Gut
Gewährt zwar viele Sachen.
Gesundheit, Schlaf und guten Mut
Kann’s aber doch nicht machen.

Und die sind doch bei Ja und Nein
Ein rechter Lohn und Segen!
Drum will ich mich nicht groß kastei’n
Des vielen Geldes wegen.

Gott gebe mir nur jeden Tag,
So viel ich brauch zum Leben.
Er gibts dem Sperling auf dem Dach.
Wie sollt ers mir nicht geben!

 

 
Die Sternseherin Lise (8:10)
Christian Matthias Claudius (1740 – 1815)

Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan,
Und niemand mehr im Hause wacht
Die Stern am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut,
Als Lämmer auf der Flur,
In Rudeln auch, und aufgereiht
Wie Perlen an der Schnur!

Und funkeln alle weit und breit
Und funkeln rein und schön.
Ich seh die große Herrlichkeit,
Und kann mich satt nicht sehn.

Dann saget unterm Himmelszelt
Mein Herz mir in der Brust:
Es gibt was bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.

Ich werf mich auf mein Lager hin,
Und liege lange wach.
Und suche es in meinem Sinn.
Und sehne mich danach.

 
 
13 
 August 
 
2011


 

Tribut für die unbeschwerten Kindestage
 
Dumpf steigt aus kühler Herzensgruft
der bersten Glocke Leidgesang,
der lüftewiegend durch die kalte Geistesnacht
gespenstisch raunt und Tränenzoll erheischt.
Gewiss, Tränenzoll,
als Preisgeld heitrer Erdenstunden.

Oh, Hades,
Du schmuckerpichter Schattenfürst,
dem’s selbst an prächtigem Gewand ermangelt!

Wie lang, wie lang gedenkst Du noch,
dass mit der Seele heiligen Tränenflut
ich Dir die unbeschwerten Kindestage löhne,
mit salziger Perlenzier
die Halseskette mühesam Dir fädle,
dass sie mit prunkem Tränenschimmer
Dich lieblicher erstrahlen möge?

Zier’ mit dieser Ruhmeskette
doch Deiner Gattin marmorweißen Hals,
dass ehrend sie zum holden Dank
mit ihrem duft’gen Wiesenzauber
den welken Garten Deiner fernen Jugend
wieder grünen lässt
und sende mir indes
Zephyros milden Wonnehauch!

Lass Deine grauen Wolkenschleier fallen,
mich Helios’ gold’nes Antlitz schaun,
den frostigen Gedankenschauer,
der mir in bangem Busen wintert
in seinem Gnadenlichte schmelzen,
beströmend seiner lichten Segensgabe
die eisen Herzensquellen tauend brechen!