Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

14 
 September 
 
2016

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DICHTUNG Selma Meerbaum-Eisinger
LESUNG Iris Berben
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Die Tage lasten schwül und schwer, voll wildem, bangem Weh.
        Es ist in mir so kalt und leer, daß ich vor Angst
        vergeh’.
Die Vögel ziehn gen Mittag hin, sie sind schon lange fort.
        Schon seh’ ich keine Aster blühn, und auch die letzten
        Falter fliehn, die Berge sind mit Herbst umflort.
Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, ich sehne mich nach dir.
        Mein heißes Sehnsuchtslied erfüllt die Welt und mich
        mit ihr.
Der Regen, der eintönig rauscht, begleitet meinen Sang.
        Und wer dem Regenliede lauscht und wer sich an dem
        Weh berauscht, der hört auch meines Liedes Klang.
Nur du allein, du hörst es nicht – ach, weiß ich denn,
        warum? Und wenn mein Lied einst gell zerbricht, du
        bleibst auch kalt und stumm.
Dir macht es nichts, wenn jeder Baum mitleidig fleht: so
        hör! Du gehst vorbei und siehst mich kaum, als wüßtest
        du nicht meinen Traum, und ‘s fällt dir nicht mal
        schwer.
Und doch bist du so bleich bedrückt, wie einer der
        versteht, der seine Seufzer schwer erstickt und schwer
        beladen geht.

Und doch ist Weh in deinem Blick, um deine Lippen Leid.
        Verloren hast du wohl das Glück, es kommt wohl
        nimmermehr zurück, und du – du bist »befreit«.
Nun ja, das Glück war dir zu schwer, du hast es hastig-
        wild verstreut, und nun sind deine Hände leer, es füllt
        sie nur noch Einsamkeit.
So stehst du da und wirfst den Kopf mit starrem Trotz
        zurück, und sagst, was du ja selbst nicht glaubst – »Ich
        pfeife auf das Glück!«
Und dann, wenn es schon längst vorbei, stehst du noch da
        und starrst ihm nach, dann sehnst du es so heiß herbei,
        es ist dir nicht mehr einerlei — dann bist du plötzlich
        wach.
Zurück jedoch kommt es nie mehr – denn rufen willst du
        nicht, und wäre die Leere so unendlich schwer, daß dein
        Rücken darunter bricht.
So tragen wir beide dasselbe Leid, ein jeder für sich allein.
        Mich krönt aus Tränen ein schweres Geschmeid’ und
        dich ein Sehnsuchtsedelstein.
Und der Wind singt uns beiden den ewigen Sang von
        Sehnen und Verzicht, doch auch wenn es dir zum
        Sterben bang – du rufst mich trotzdem nicht.

 
 
6 
 Juli 
 
2016


 

Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Der Rabe (1:23)
Edgar Allan Poe (1799– 1853)
Einst in dunkler Nacht voll Schauer sann ich angefüllt mit Trauer
Über manche lang verschollne Kunde in den Büchern schwer.
Als in Halbschlaf ich gefallen, drang im Traum zu mir ein Schallen,
Von der Türe her ein Hallen, so als klopfte irgendwer.
»Pocht so spät noch irgend jemand?« gähnte ich, »so spät noch – wer?
Ein Besucher, sonst nichts mehr.«

Wenn ich recht erinnre, war es in dem bleichen Rest des Jahres.
Geisternd kam ein sonderbares Flackern vom Kamine her.
Tief ersehnte ich den Morgen, denn umsonst wars, Trost zu borgen
Aus den Büchern für mein Sorgen. Denn mir war das Herz so sehr
Um Lenore, die Geliebte, traurig, bitter, kalt und schwer –
Ach, hier lebt sie nun nicht mehr.

Mutig mich vom Stuhl erhob ich und zurück den Riegel schob ich:
Schreckensvolle Bilder sehend, die kein Mensch gesehn vorher.
Doch es herrschte ungebrochen Schweigen, aus dem Dunkel krochen
Keine Zeichen, und gesprochen ward von mir nur ein Wort – schwer:
Nur: »Lenore?« – und ’Lenore’ scholl das Echo zu mir her –
Dieses Wort nur, sonst nichts mehr.

Ich ging drauf zurück ins Zimmer, doch mein Herz erschrak noch schlimmer,
Weil ich wieder Klopfen hörte, ungestümer als vorher.
»Sollt ich«, sprach ich, »mich nicht irren, hört ichs jetzt vom Fenster klirren.
Oh, ich werde bald entwirren, was des Rätsels Lösung wär.
Still mein Herz, noch eine Weile, dass ich mir das Ding erklär! –
Wind, der pocht und – sonst nichts mehr!«

Hastig stieß ich auf das Fenster. Flatternd kam herein ein ernster,
Stattlich großer, schwarzer Rabe wie aus alten Sagen schwer.
Ohne eines Grußes Zeichen sah ich ihn den Raum durchstreichen.
Würdevoll wie seinesgleichen, flog er durch die Kammer quer
Schnurstracks auf die Pallasbüste über meiner Türe her.
Setzte sich und – sonst nichts mehr.

Doch das würdige Gebaren dieses schwarzen Sonderbaren
Wie er auf der Büste thronte, das erheiterte mich sehr.
»Rabe, schwärzer noch als Mohren, sprich, was hast du hier verloren?
Niemand hat dich herbeschworen aus dem Reich am Nebelmeer.
Tu mir kund, wie heißt du, Stolzer aus der Toten Geisterheer!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

Wie ein Mensch sprach er verständlich – ich erstaunte drob unendlich,
Dass er Antwort mir erteilte, wenn auch klug nicht allzu sehr.
Und ich dachte ganz beklommen: »Hat man jemals es vernommen,
Dass ein Rabe angekommen in der Nacht von ungefähr
Und auf einer Büste thronend, unbeweglich so wie der
Mit dem Namen: Nimmermehr?«

Grübelnd an den Sinn verloren, den dies ’Nimmermehr’ beschworen,
Fühlte ich des finstren Toren Feuerblick im Herzen schwer.
Auf dem samtnen Sofa liegend, dachte ich, nach vorn mich biegend
Und im fahlen Lichte wiegend mit verzehrender Begehr:
»Hier bei mir auf diesen Kissen ruht Lenore nimmermehr,
Nimmer, nimmer, nimmermehr!«

»Ob der Rabe tilgt die Zweifel, mir Prophet oder mir Teufel,
Über Leonore droben, nach der ich mich so verzehr?
Sag! Schließ ich am Sternentore in die Arme einst Lenore?
Ewige Musik im Ohre? Frei von irdischer Beschwer?
Finde ich, die ich verloren, diesen Engel, hell und hehr?«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

Und nun war ich wie von Sinnen: »Hebe dich, du Feind, von hinnen,
Satansrabe, voller Tücke, fort ins Reich am Nebelmeer!
Deine Macht will ich dir brechen, deine Lügen, diese frechen,
Wollen mir das Herz zerstechen mit dem Schnabel scharf wie Speer!
Schere dich von meiner Türe! Schwinde ohne Wiederkehr!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

Er bewegt nicht einen Flügel, sitzt dort wie auf einem Hügel
Immer auf der Kammertür, droht mir durch sein Schweigen schwer.
Seine Augen träumen trunken wie Dämonen traumversunken.
Mir zu Füßen hingesunken, zeigt sein Schatten zu mir her,
Meine Seele ist gefangen in dem Raume um mich her.
Wird sie frei sein? – Nimmermehr