Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

10 
 Juni 
 
2018


 

MUSIK Johann Sebastian Bach
BEREITSTELLUNG Jos Leys


 

Tizian - Allegorie der Zeit
Tizian – Allegorie der Zeit

Wie gut, daß auch diese Erkenntnis nun zu ihm kam: daß es keine Zeit gab!

Das einzige, was zwischen Alter und Jugend, zwischen Babylon und Berlin, zwischen Gut und Böse, Geben und Nehmen stand, das einzige, was die Welt mit Unterschieden, Wertungen, Leid, Streit, Krieg erfüllt, war der Menschengeist, der junge ungestüme und grausame Menschengeist im Zustand der tobenden Jugend, noch fern vom Wissen, noch weit von Gott.

Er erfand Gegensätze, er erfand Namen. Dinge nannte er schön, Dinge häßlich, diese gut, diese schlecht. Ein Stück Leben wurde Liebe genannt, ein anderes Mord. So war dieser Geist, jung, töricht, komisch.

Eine seiner Erfindungen war die Zeit. Eine feine Erfindung, ein raffiniertes Instrument, sich noch inniger zu quälen und die Welt vielfach und schwierig zu machen! Von allem, was der Mensch begehrte, war er immer nur durch Zeit getrennt, nur durch diese Zeit, diese tolle Erfindung! Sie war eine der Stützen, eine der Krücken, die man vor allem fahren lassen mußte, wenn man frei werden wollte.

Aus: “Klein und Wagner” (Hermann Hesse)

 
 
25 
 November 
 
2017

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Sonett VIII.

Du selbst Musik, und hörst Musik so trübe?
Süßes kämpft nicht mit dem Süßen, Lust weckt Lust.
Liebst du etwas, damit es dich betrübe?
Eröffnest freudig deiner Qual die Brust?

Wenn dir das Ohr Einklang der rein gestellten,
In Einigkeit vermählten Töne stört,
So scheinen sie nur lieblich dich zu schelten,
Der seine Stimm’ in Ledigkeit verzehrt.

Horch wie ein Klang die Saiten, gleiches Falles
Wie teure Gatten wechselseits durchdringt;
Wie Vater, Kind, und frohe Mutter, alles
In eins, die eine muntre Note singt!

Ein sprachlos Lied, der vielen eine Pflicht,
Dir singt es: einsam gehest du zunicht.

 
 
13 
 August 
 
2017


 

DICHTUNG Dietrich Bonhoeffer
LESUNG Walter Franck
MUSIK Twilight and Shadow -Howard Shore-


 
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.