Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

1 
 Dezember 
 
2020


 

DICHTUNG Johann Wolfgang von Goethe
LESUNG Benjamin Krämer-Jenster
BEREITSTELLUNG Benjamin Krämer-Jenster


 

Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud’ und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd’ ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.

 
 
13 
 Oktober 
 
2019

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Berliner Republikaner (0:23)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Berliner Jungen scharten sich
Vor einiger Zeit allabendlich
Nicht weit vom Kupfergraben
Und schrien gottserbärmelich:

»Wir brauchen keenen Kenig nich,
Wir wollen keenen haben.«
Da plötzlich packt ein Fußgendarm
Nicht eben allzu zart am Arm

Den allergrößten Jungen
Und spricht: »He, Bursch, juckt dir das Fell?
Du Tausendsappermentsrebell,
Was hast du da gesungen?«
Doch der Berliner comme-il-faut

Erwidert: »Hab Er sich nich so,
Un lass Er sich bejraben!
Wozu denn jleich so ängstiglich?
Wir brauchen keenen Kenig nich,
Weil wir schon eenen haben.«
Preußisches Volkslied (3:26)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Ja, man ist uns vieles schuldig,
Ja, wir könnten freier sein,
Doch geduldig, nur geduldig,
Auch die Freiheit stellt sich ein.

Und bis dahin tapfer essen
Dürfen wir und schlürfen Wein,
Ei, da kann man schon vergessen,
Dass wir sollten freier sein.

Ja, man hat uns viel versprochen,
Hat uns stark den Hof gemacht,
Hat die Schwüre dann gebrochen
Und uns weidlich ausgelacht.

Doch, ihr Brüder, tapfer essen
Dürfen wir und schlürfen Wein,
Drum gegessen und vergessen,
Dass wir sollten freier sein.
Archibald Douglas (4:29)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
»Ich hab es getragen sieben Jahr,
Und ich kann es nicht tragen mehr.
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd und leer.

So will ich treten vor Jakobs Gesicht
In dieser Knechtsgestalt.
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.

Und trüg er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
So komme, was da mag.«

Graf Douglas sprichts. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh.
Er sah in Wald und Feld hinein.
Die Augen fielen ihm zu.

Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid. –
Da, horch, vom Waldrand her scholl es
Wie von Hörnern und Jagdgeleit.

Und Kies und Staub aufwirbelte dicht.
Herjagte Meut und Mann,
Und ehe der Graf sich aufgericht’t,
Waren Ross und Reiter heran.

König Jakob saß auf hohem Ross.
Graf Douglas grüßte tief.
Dem König das Blut in die Wangen schoss,
Der Douglas aber rief:

»König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld.
Was meine Brüder dir angetan,
Es war nicht meine Schuld.

Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt.
Denk lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knieen gewiegt.

Denk lieber zurück ans Stirling-Schloss,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt.
Dich gehoben auf deines Vaters Ross
Und Pfeile dir zugespitzt.

Denk lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh
Und schwimmen und springen gelehrt.

O denk an alles, was einstens war,
Und sänftige deinen Sinn.
Ich hab es gebüßet sieben Jahr,
Dass ich ein Douglas bin.«

»Ich seh dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör deine Stimme nicht,
Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.

Mir klingt das Rauschen süß und traut,
Ich lausch ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.

Ich seh dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär ein verlorener Mann.«

König Jakob gab seinem Ross den Sporn,
Bergan ging jetzt sein Ritt.
Graf Douglas fasste den Zügel vorn
Und hielt mit dem König Schritt.

Der Weg war steil, und die Sonne stach,
Und sein Panzerhemd war schwer.
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.

»König Jakob, ich war dein Seneschall.
Und wenn ichs auch weiter nicht bin,
So will ich doch pflegen dein Ross im Stall,
Den Hafer ihm schütten hin.

Ich will ihm selber machen die Streu,
Und es tränken mit eigner Hand.
Nur lass mich atmen wieder aufs neu
Die Luft im Vaterland.

Und lässt du mich nicht, so hab doch den Mut,
Und ich will es danken dir,
Zieh dein Schwert und treffe mich gut
Und lasse mich sterben hier.

« König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht.
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert.
Doch auf Douglas richtet ers nicht!

»Nimm’s hin, das Schwert und trags aufs neu,
Und bewache mir meine Ruh.
Denn der ist in tiefster Seele treu,
Der die Heimat liebt wie du.

Zu Ross! Wir reiten nach Linlithgow!
Und du reitest an meiner Seit!
Da wollen wir fischen und jagen froh
Als wie in alter Zeit.«
 
 
7 
 Juni 
 
2018


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Ulrich Gebauer
KLAVIER Ralf Schink
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Was ich bis heut an Versen schrieb
Und was ich sonst landein, landaus
An losen Dichterkünsten trieb,
Der ganze leicht gepflückte Strauß —

Mir ist er nichts! Mir welkt er in der Hand,
Ich werf ihn weg und geh auf neuen Wegen
Hinüber in ein neues, andres Land,
Dem ungewissen Reiseziel entgegen.

Und war der Strauß auch einmal frisch und bunt,
Nach andern Straßen drängen meine Sohlen,
Der ganze Tand war doch im Grund — gestohlen.
Hinweg damit! Ich bin ein Vagabund.

Stirnrunzelnd untersucht ein Rezensent
Die welke Ernte und beginnt zu schelten . . .
Ich bin schon weit, auf meinem Hute brennt
Schon eine andre Sonne. Ferne Welten

Verlocken mich; das alte Leierspiel
Mag liegen, wo mir’s aus der Tasche fiel.
Die Jahre gehn so schnell! Wie lang wird’s sein,
So steh auch ich im stillen Kreis der Müden

Und schaue hinter mich in die verblühten
Jahre als in ein fremdes Reich hinein!
Das läßt mir keine Rast; eh mich mit kühlen
Händen der Schnitter greift, will ich und muß

Der Erd’ und Sonne Kräfte in mir fühlen,
Und was sie hegt an Schmerz und an Genuß
Mit starken Armen sehnlich an mich reißen
Und Tod und Leben meine Brüder heißen.

Ob dann ein neues Liederspiel beginnt,
Was liegt daran? Ein Sucher bin ich nur,
Der durch die Welt in Sonne, Staub und Wind
Begierig tastet nach der Schöpfung Spur.

Wo irgendeine unerschöpfte Kraft,
Ein Sprossen, Strömen, eine Leidenschaft
Sich regt und schafft und probende Flügel spannt,
Da ist mir wohl, da ist mein Heimatland.