Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

29 
 September 
 
2012


 

 
Aus: “Wilhelm Meister”
von Johann Wolfgang von Goethe

 
Singet nicht in Trauertönen
Von der Einsamkeit der Nacht.
Nein, sie ist, o holde Schönen,
Zur Geselligkeit gemacht.

Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die schönste Hälfte war,
Ist die Nacht das halbe Leben
Und die schönste Hälfte zwar.

Könnt ihr euch des Tages freuen,
Der nur Freuden unterbricht?
Er ist gut, sich zu zerstreuen;
Zu was anderm taugt er nicht.

Aber wenn in nächt’ger Stunde
Süsser Lampe Dämmrung fließt,
Und vom Mund zum nahen Munde
Scherz und Liebe sich ergießt;

Wenn der rasche, lose Knabe,
Der sonst wild und feurig eilt,
Oft bei einer kleinen Gabe
Unter leichten Spielen weilt;

Wenn die Nachtigall Verliebten
Liebevoll ein Liedchen singt,
Das Gefangnen und Betrübten
Nur wie Ach und Wehe klingt;

Mit wie leichtem Herzensregen
Horchet ihr der Glocke nicht,
Die mit zwölf bedächtgen Schlägen
Ruh und Sicherheit verspricht.

Darum an dem langen Tage,
Merke dir es, liebe Brust;
Jeder Tag hat seine Plage,
Und die Nacht hat ihre Lust.

 

Dichtung Johann Wolfgang von Goethe
Lesung Eva Mattes
Bereitstellung 59Berger

 
 
31 
 Juli 
 
2011


 

DICHTUNG Johann Wolfgang von Goethe
LESUNG Eva Mattes
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud’ und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd’ ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
 
Sprecher    |   Bereitstellung Lyrik & Musik