9 März 2018 |
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DICHTUNG | Rainer Maria Rilke | |
LESUNG | Will Quadflieg | |
BEREITSTELLUNG | wortlover |
Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit
mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.
O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen …
Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen,
und auf den Plätzen die Fontänen springen,
und in den Gärten wird die Welt so weit. –
Und durch das alles gehn im kleinen Kleid,
ganz anders als die andern gehn und gingen–:
O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen,
o Einsamkeit.
Und in das alles fern hinauszuschauen:
Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen
und Kinder, welche anders sind und bunt;
und da ein Haus und dann und wann ein Hund
und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen –:
O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen,
o Tiefe ohne Grund.
Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
in einem Garten, welcher sanft verblaßt,
und manchmal die Erwachsenen zu streifen
blind und verwildert in des Haschens Hast,
aber am Abend still, mit kleinen steifen
Schritten nach Haus zu gehn, fest angefaßt –:
O immer mehr entweichendes Begreifen,
o Angst, o Last.
Und stundenlang am großen grauen Teiche
mit einem kleinen Segelschiff zu knien;
es zu vergessen, weil noch andre, gleiche
und schönere Segel durch die Ringe ziehn,
und denken müssen an das kleine bleiche
Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien –:
O Kindheit, o entgleitende Vergleiche,
wohin? Wohin?
25 März 2017 |
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DICHTUNG | Rainer Maria Rilke | |
LESUNG | Ulrich Mühe & Otto Sander | |
SOUNDTRACK | D.Rappl & Jamie D. | |
VIDEO | psyformance fractal | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
—
Rose,
oh reiner
Widerspruch,
Lust,
Niemandes
Schlaf
zu sein
unter soviel
Lidern.
Grabsteininschrift von Rainer Maria Rilke
25 August 2012 |
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DICHTUNG | Paul Celan | |
LESUNG | Paul Celan | |
BEREITSTELLUNG | paulantschell |
Stimmen, ins Grün
der Wasserfläche geritzt.
Wenn der Eisvogel taucht,
sirrt die Sekunde:
Was zu dir stand
an jedem der Ufer,
es tritt
gemäht in ein anderes Bild.
*
Stimmen vom Nesselweg her:
Komm auf den Händen zu uns.
Wer mit der Lampe allein ist,
hat nur die Hand, draus zu lesen.
*
Stimmen, nachtdurchwachsen, Stränge,
an die du die Glocke hängst.
Wölbe dich, Welt:
Wenn die Totenmuschel heranschwimmt,
will es hier läuten.
*
Stimmen, vor denen dein Herz
ins Herz deiner Mutter zurückweicht.
Stimmen vom Galgenbaum her,
wo Spätholz und Frühholz die Ringe
tauschen und tauschen.
*
Stimmen, kehlig, im Grus,
darin auch Unendliches schaufelt,
(herz-)
schleimiges Rinnsal.
Setz hier die Boote aus, Kind,
die ich bemannte:
Wenn mittschiffs die Bö sich ins Recht setzt,
treten die Klammern zusammen.
*
Jakobsstimme:
Die Tränen.
Die Tränen im Bruderaug.
Eine blieb hängen, wuchs.
Wir wohnen darin.
Atme, daß
sie sich löse.
*
Stimmen im Innern der Arche:
Es sind
nur die Münder
geborgen. Ihr
Sinkenden, hört
auch uns.
*
Keine
Stimme – ein
Spätgeräusch, stundenfremd, deinen
Gedanken geschenkt, hier, endlich
herbeigewacht: ein
Fruchtblatt, augengroß, tief
geritzt; es
harzt, will nicht
vernarben.