Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

16 
 Juni 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Rätsel (1:05)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Ein Männlein steht im Walde
Ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur
Ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem purpurroten Mäntelein?

Das Männlein steht im Walde
Auf einem Bein,
Und hat auf seinem Haupte
Schwarz Käpplein klein.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem kleinen schwarzen Käpplein?

Das Männlein dort auf einem Bein,
Mit seinem roten Mäntelein
Und seinem schwarzen Käppelein
Kann nur die Hagebutte sein!

Auf unsrer Wiese gehet was (1:59)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Auf unsrer Wiese gehet was,
Das watet durch die Sümpfe.
Es hat ein schwarz-weiß Röcklein an,
Und trägt auch rote Strümpfe.
Es fängt die Frösche schnapp, schnapp, schnapp,
Und klappert lustig klapperdiklapp.
Wer kann es mir verraten?

Ihr denkt, das ist der Klapperstorch,
Der watet durch die Sümpfe?
Weil er ein schwarzweiß Röcklein hat,
Und trägt auch rote Strümpfe?
Zwar fängt er Frösche schnapp, schnapp, schnapp
Und klappert lustig klapperdiklapp.
Doch es ist die Frau Störchin!

Wer hat die schönsten Schäfchen (2:54)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Wer hat die schönsten Schäfchen?
Die hat der goldne Mond
Der hinter unsern Bäumen
Am Himmel droben wohnt.

Er kommt am späten Abend,
Wenn alles schlafen will,
Hervor aus seinem Hause
Am Himmel leis und still.

Dann weidet er die Schäfchen
Auf seiner blauen Flur:
Denn all die weißen Sterne
Sind seine Schäfchen nur.

Sie tun sich nichts zuleide,
Hat eins das andre gern,
Und Schwestern sind und Brüder
Da droben Stern an Stern.

Wenn ich gen Himmel schaue,
So fällt mir immer ein:
O lasst uns auch so freundlich
Wie diese Schäfchen sein!

Winter ade (4:05)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Winter ade! Scheiden tut weh.
Aber dein Scheiden macht,
Dass jetzt mein Herze lacht.
Winter ade!

Gerne vergess ich dein,
Kannst immer ferne sein.
Gehst du nicht bald nach Haus,
Lacht dich der Kuckuck aus.
Winter ade!

Frühlingsbotschaft (4:33)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Kuckuck, Kuckuck rufts aus dem Wald:
Lasset uns singen,
Tanzen und springen!
Frühling, Frühling wird es nun bald.

Kuckuck, Kuckuck lässt nicht sein Schrein:
Komm in die Felder,
Wiesen und Wälder!
Frühling, Frühling, stelle dich ein!

Kuckuck, Kuckuck, trefflicher Held!
Was du gesungen,
Ist dir gelungen:
Winter, Winter räumet das Feld.

Wettstreit (5:15)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Der Kuckuck und der Esel,
Die hatten großen Streit,
Wer wohl am besten sänge
Zur schönen Maienzeit.

Der Kuckuck sprach: »Das kann ich!«
Und hub gleich an zu schrein.
»Ich aber kann es besser!«
Fiel gleich der Esel ein.

Das klang so schön und lieblich,
So schön von fern und nah.
Sie sangen alle beide:
Kuku kuku ia!

Frühlings Ankunft (6:10)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Alle Vögel sind schon da,
Alle Vögel, alle!
Welch ein Singen, Musizieren,
Pfeifen, Zwitschern, Tirelieren!
Frühling will nun einmarschieren,
Kommt mit Sang und Schalle.

Wie sie alle lustig sind,
Flink und froh sich regen!
Amsel, Drossel, Fink und Star
Und die ganze Vogelschar
Wünschet uns ein frohes Jahr,
Lauter Heil und Segen.

Was sie uns verkünden nun,
Nehmen wir zu Herzen:
Wir auch wollen lustig sein,
Lustig wie die Vögelein,
Hier und dort, feldaus, feldein
Singen, springen, scherzen!

Abschied (7:10)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Morgen müssen wir verreisen,
Und es muss geschieden sein:
Traurig ziehn wir unsre Straße.
Lebe wohl, mein Schätzelein!

Lauter Augen, feucht von Tränen,
Lauter Herzen, voll von Gram:
Keiner kann es sich verhehlen,
Dass er schweren Abschied nahm.

Kommen wir zu jenem Berge,
Schauen wir zurück ins Tal,
Schaun uns um nach allen Seiten,
Sehn die Stadt zum letzten Mal.

Wenn der Winter ist vorüber,
Und der Frühling zieht ins Feld,
Will ich werden wie ein Vöglein,
Fliegen durch die ganze Welt.

 
 
11 
 September 
 
2009

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Rezitierte Gedichte

 
Menschliches Elende (Auszug) (0:09)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itz und Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn, wie Rauch von starken Winden.

 

 
Thränen des Vaterlandes (2:35)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwerdt, die donnernde Carthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrath auffgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret.
Das Rathauß liegt im Grauß, die Starcken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Hertz und Geist durchfähret.

Hir durch die Schantz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
Dreymal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fort gedrungen.

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnoth:
Das auch der Seelen Schatz so vilen abgezwungen.

 

 
Es ist alles eitel (4:06)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetz und Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetz und prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder findt!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

 

 
An sich selbst (6:09)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Mir grauet vor mir selbst, mit zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp’ und Nas’ und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht’, und die nun schon erstorbnen Augenlider.

Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder,
Und lallt ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu, das Fleisch reucht nach der Gruft,
Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder,

Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen eine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten!

Was ist der hohe Ruhm und Jugend, Ehr’ und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt: wird alles Rauch und Dunst.
Und eine Not muss uns mit allem Vorsatz töten.

 

 
Verleugnung der Welt (Auszug) (8:24)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Was frag ich nach der Welt! sie wird in Flammen stehn:
Was acht ich reiche Pracht: der Tod reißt alles hin!
Was hilfft die Wissenschafft / der mehr denn falsche Dunst:
Der Libe Zauberwerck ist tolle Phantasie:
Die Wollust ist fürwahr nichts als ein schneller Traum;
Die Schönheit ist wie Schnee‘ / diß Leben ist der Tod.

Diß alles stinckt mich an / drumb wündsch ich mir den Tod!
Weil nichts wie schön und starck / wie reich es sey / kan stehn
Offt / eh man leben wil / ist schon das Leben hin.
Wer Schätz‘ und Reichthumb sucht: was sucht er mehr als Dunst.
Wenn dem der Ehrenrauch entsteckt die Phantasie:
So traumt ihm / wenn er wacht / er wacht und sorgt im Traum.

Auff meine Seel / auff! auff! entwach aus disem Traum!
Verwirff was irrdisch ist / und trotze Noth und Tod!
Was wird dir / wenn du wirst für jenem Throne stehn /
Die Welt behülfflich seyn? wo dencken wir doch hin?
Was blendet den Verstand? sol diser leichte Dunst
Bezaubern mein Gemüt mit solcher Phantasie?

Bißher! und weiter nicht! verfluchte Phantasie!
Niehts werthes Gauckelwerck. Verblendung-voller Traum!
Du Schmertzen-reiche Lust! du folter-harter Tod!
Ade! ich wil nunmehr auff freyen Füssen stehn
Vnd treten was mich tratt! Ich eile schon dahin;
Wo nichts als Warheit ist. Kein bald verschwindend Dunst.

Treib ewig helles Licht der dicken Nebel Dunst
Die blinde Lust der Welt: die tolle Phantasie
Die flüchtige Begird‘ und diser Gütter Traum
Hinweg und lehre mich recht sterben vor dem Tod.
Laß mich die Eitelkeit der Erden recht verstehn
Entbinde mein Gemüth und nim die Ketten hin.

Nim was mich und die Welt verkuppelt! nim doch hin
Der Sünden schwere Last: Laß ferner keinen Dunst
Verhüllen mein Gemüth / und alle Phantasie
Der Eitel-leeren Welt sey für mir als ein Traum
Von dem ich nun erwacht! und laß nach disem Tod
Wenn hin! Dunst / Phantasie / Traum! Tod / mich ewig stehn.