Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

31 
 Juli 
 
2011


 

An Charlotte v. Stein

Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun?
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehn,
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?

Ach, so viele tausend Menschen kennen,
Dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
Schweben zwecklos hin und her und rennen
Hoffnungslos in unversehnem Schmerz;
Jauchzen wieder, wenn der schnellen Freuden
Unerwartete Morgenröte tagt.
Nur uns armen liebevollen beiden
Ist das wechselseit’ge Glück versagt,
Uns zu lieben, ohn uns zu verstehen,
In dem andern sehn, was er nie war,
Immer frisch auf Traumglück auszugehen
Und zu schwanken auch in Traumgefahr.

Glücklich, den ein leerer Traum beschäftigt!
Glücklich, dem die Ahdnung eitel wär!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahndung leider uns noch mehr.
Sag, was will daß Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.

Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt;
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden irren Lauf,
Und in deinen Engelsarmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf;
Hieltest zauberleicht ihn angebunden
Und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
Da er dankbar dir zu Füßen lag,
Fühlt’ sein Herz an deinen Herzen schwellen,
Fühlte sich in deinem Auge gut,
Alle seine Sinnen sich erhellen
Und beruhigen sein brausend Blut!

Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, daß das Schicksal, das und quälet,
Uns doch nicht verändern mag!

 
 
30 
 Juni 
 
1994


 



 
Du Röslein auf der lichten Aue,
bist’s welches ich beschaue:

Vom Sonnenlicht so sanft beschienen,
vermagst Du ewiglich zu grünen.

Das Blumengewand, welch’ zierliche Tracht,
die Farbenpracht ins Herz mir lacht,
durchflutet zart mein ganzes Wesen,
du edles Gewächs bist wahrlich auserlesen!

Trunken von dem Liebestrank,
erfüllet mit so holdem Dank,
vor Freude ich mich fast verzehr’.

Der Blumenkelch ist randgefüllt,
mit Honigseim, so süß und mild’,
in dessen Flut ich zu tauchen begehr’.

Du Blümlein wiegst im Winde Dich,
wie schäumende Meereswellen,
die Blätter winken mir gnädiglich,
sollt’ ich mich dazugesellen?

Doch ich weiß, dass ich nicht Deiner würdig,
ein and’res Geblüm ist Dir ebenbürdig,
ein and’res, das von höherem Gut,
in dessen Wurzeln feurige Glut.

Verzeih’, daß ich von niederem Stande,
ich kann nicht prunken mit prächt’gem Gewande,
auch Gut und Gold sind mir verwehrt,
und nur das Dürftigste wurd’ mir beschert.

Ich bin ein bescheid’nes Schattengewächs,
so ohne Prunk und Farbenklecks,
die Blätter sind verdorrt und karg,
sodass mein Antlitz ich verbarg,
als Du mir warfst ein Blick entgegen,
ich ward’ erröttet und verlegen.

Zwar ist meine Liebe rein und klar,
hart gestählt die Treue, fürwahr.

Doch was gilt’s,
wenn Du mir schillst,
Du edles Röslein auf der Heiden?

Der bitt’re Schmerz,
der umwolken würd’ mein Herz,
ich könnt’ ihn nicht erleiden,
wenn Du verlachest mein,
schmachvoller denn des Todes’ Pein.

Drum fass’ ich mich ans Herzelein
und wandle in die Fern’ allein,
muß Trost mir selbst nun spenden,

Den Lebenspfad, wohin er mag auch gehen,
muss ich mit Leidestränen säen,
wann wird mein Schicksal sich denn wenden?