Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

28 
 April 
 
2018


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Hermann Hesse
BEREITSTELLUNG wortlover



Daß das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Daß das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Männerblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Daß sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer.
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.

Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah am Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.

So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben.
Eines Wolkenspielers Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweggeflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.

 
 
17 
 April 
 
2018


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Ulrich Gebauer
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Es fahren leise junge Wolken durchs Blaue,
Kinder singen und Blumen lachen im Gras;
Meine müden Augen, wohin ich schaue,
Wollen vergessen, was ich in Büchern las.

Wahrlich alles Schwere, das ich gelesen,
Stäubt hinweg und war nur ein Winterwahn,
Meine Augen schauen erfrischt und genesen
Eine neue, erquellende Schöpfung an.

Aber was mir im eigenen Herz geschrieben
Von der Vergänglichkeit aller Schöne steht,
Ist von Frühling zu Frühling stehen geblieben,
Wird von keinem Winde mehr weggeweht.

 
 
16 
 Oktober 
 
2017


 

Der pythische Sieger [1]Erklärung zum ‘Pythischen Sieger’

 
Musik
Ludwig van Beethoven [2]Mondscheinsonate
Sphärengesang

Apoll,
dem nie die blanke Waffe ward gewogen,
seit jeher schon mit leichtem Saitenspiel
der Herzen Gram bezwungen:

„Wirf’ die Leier hinweg
und greife zum nächtlichen Raum
kühler Schöne!“

Spanne mit seidenem Band
Selenes halbmonden Bogen
silbernen Klangs!

Sternengleis pfeilt der harmonische Ton,
der zielgewiss niederstreckt
der Allgegenwart dumpfer Gesinnung!
→ zu Mnemosynes Geleit
Hephaistos’ Kunstschmiede