Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

25 
 November 
 
2017


 

Sonett XII.

Zähl’ ich die Glocke, die die Zeiten mißt,
Seh’ ich den wackern Tag in Nacht verloren,
Und wie des Veilchens Lenz vorüber ist,
Wie sich mit Silber dunkle Haar’ umfloren;

Erblick’ ich hoher Wipfel dürres Laub,
Die erst ein Schattendach der Herde waren,
Geschürzt in Garben grünen Feldesraub
Weißbärtig, wie im Sarg, zur Scheuer fahren:

Dann kommt mir deine Schönheit in den Sinn,
Daß du der Zeiten Trümmer mußt vermehren;
Weil Reiz und Jugendschmuck sich selbst entfliehn,
Sich selbst so schnell als andre blühn, zerstören,

Und vor dem Sensenhieb der Zeit nichts wahrt
Als, ihm zum Trutz, Fortzeugung deiner Art.

 
 
24 
 November 
 
2017


 

Sonett XIV.

Nicht in den Sternen schärf’ ich meinen Blick,
Und denke doch ein Astronom zu sein;
Nicht weil ich gutes oder Mißgeschick,
Pest, Hunger, Witt’rung könnte prophezein:

Noch weiß ich auf ein Haar das Glück zu deuten,
Wann einen Donner, Wind und Regen trifft;
Der Fürsten Wohlergehn und Widrigkeiten
Les’ ich nicht mühsam aus des Himmels Schrift:

Nein, deine Augen sind mein Quell der Klarheit;
Die sichern Sterne geben Kunde mir,
Daß Schönheit weiter blühen wird und Wahrheit,
Wenn du ein neu Geschlecht erweckst aus dir.

Wo nicht, dann sag’ ich dies von dir voraus:
Mit dir stirbt Schönheit und löscht Wahrheit aus.

 
 
19 
 November 
 
2017


 

Sonett II.

Wenn vierzig Winter einst dein Haupt umnachten
Und tief durchfurchen deiner Schönheit Feld,
Dann ist dein Jugendflor, wonach wir itzt so trachten,
Ein mürbes Kleid, das unbemerkt zerfällt.

Ein ödes Lob, ein allverzehrend Schmähn
Wär’s dann, dem Forscher nach den Reizen all,
Nach dem frühen Reichtum, zu gestehn
Er sei dahin mit deines Auges Fall.

Weit rühmlicher wies deine Schönheit sich,
Könnt’st du erwidern „dies mein schönes Kind
Tilgt meine Schuld, vertritt mein Alter mich,
Weil seine Reize Erben meiner sind“. –

Dies ist’s, wodurch ein Greis sich neu verjüngt
Und kaltem Blut die Wärme wiederbringt.