Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

18 
 August 
 
2012

Schlagwörter

0

 
Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Pech (0:32)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Wahrlich, aus mir hätte vieles
Werden können in der Welt,
Hätte tückisch nicht mein Schicksal
Sich mir in den Weg gestellt.

Hoher Ruhm war zu erwerben,
Wenn die Waffen ich erkor.
Mich den Kugeln preiszugeben,
War ich aber nicht der Tor.

Um der Musen Gunst zu buhlen,
War ich wenig nur entfernt.
Ein Gelehrter wär ich worden,
Hätt ich lesen nur gelernt.

Bei den Frauen, ohne Zweifel,
Hätt ich noch mein Glück gemacht.
Hätten sie mich allerorten
Nicht unmenschlich ausgelacht.

Über einen Staat zu herrschen,
War vor allem ich der Mann.
Meine Gaben und Talente
Wiesen diesen Platz mir an.

König hätt ich werden sollen,
Der hoch über Fürsten ragt.
Doch mein Vater war ein Bürger,
Und das ist genug gesagt.

Wahrlich, aus mir hätte vieles
Werden können in der Welt,
Hätte tückisch nicht mein Schicksal
Sich mir in den Weg gestellt.

 

 
Recht empfindsam (4:01)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Meine teuren Eltern, habt Erbarmen,
Lasst mein Leid erweichen euren Sinn!
Nehm ich diesen Mann, in seinen Armen
Welkt ich zarte Blume bald dahin!

Mutter, sieh, wie sie sich zieret!
Hör, du dumme Trine du,
Einen Mann sollst du bekommen,
Greif mit beiden Händen zu!

Rauher Wirklichkeit nur wird er fröhnen.
Ohne Zartheit, ohne Poesie.
Ungebildet, wird er mich nur höhnen,
Mich verstehen wird er nie!

Mutter, die verfluchten Bücher
Sinds die ihr den Kopf verdrehn.
Waren wir denn je gebildet?
Konnten wir uns je verstehn?

Wo die Herzen fremd geblieben,
Knüpft ihr nicht ein ewig Band.
Kann nicht achten ihn noch lieben,
Nie erhält er meine Hand.

Mutter, hör die dumme Trine!
Hör doch, was es Neues gibt!
Haben wir uns je geachtet?
Haben wir uns je geliebt?

Lieber in ein Kloster fliehen,
Oder in ein frühes Grab.
Dieser Schmach mich zu entziehen,
In die Flut stürz ich hinab!

Hast du endlich ausgeredet?
Gut, du bleibst mir heut zu Haus!
Hältst dein Maul und nimmst den Bengel!
Punktum, und das Lied ist aus.

 

 
Der rechte Barbier (6:05)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

»Und soll ich nach Philister Art
Mir Kinn und Wange putzen,
So will ich meinen langen Bart
Den letzten Tag noch nutzen.
Ja, ärgerlich, wie ich nun bin,
Vor meinem Groll, vor meinem Kinn,
Soll mancher noch erzittern!

Holla! Herr Wirt, mein Pferd! Macht fort!
Ihm wird der Hafer frommen.
Habt ihr Barbierer hier im Ort?
Lasst gleich den rechten kommen.
Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
Doch nirgends noch den rechten.

Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
Du sollst den Bart mir kratzen.
Doch kitzlig sehr ist meine Haut,
Ich biete hundert Batzen.
Nur, machst du nicht die Sache gut,
Und fließt ein einzges Tröpflein Blut –
Fährt dir mein Dolch ins Herze.«

Das spitze, kalte Eisen sah
Man auf dem Tische blitzen,
Und dem verwünschten Ding gar nah
Auf seinem Schemel sitzen
Den grimmgen, schwarzbehaarten Mann
Im schwarzen, kurzen Wams, woran
Noch schwärzre Troddeln hingen.

Dem Meister wirds zu grausig fast,
Er will die Messer wetzen.
Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
Es packt ihn das Entsetzen.
Er zittert wie das Espenlaub.
Er macht sich plötzlich aus dem Staub
Und sendet den Gesellen.

»Einhundert Batzen mein Gebot,
Falls du die Kunst besitzest.
Doch, merk es dir, dich stech ich tot,
So du die Haut mir ritzest.«
Und der Gesell: »Den Teufel auch!
Das ist des Landes nicht der Brauch.«
Er läuft und schickt den Jungen.

»Bist du der rechte, kleiner Molch?
Frischauf! Fang an zu schaben.
Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
Das beides ist zu haben!
Doch schneidest, ritzest du mich bloß,
So geb ich dir den Gnadenstoß.
Du wärest nicht der Erste!«

Der Junge denkt der Batzen, druckst
Nicht lang und ruft verwegen:
»Nur still gesessen! Nicht gemuckst!
Gott geb euch seinen Segen!«
Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
»Gottlob, nun seid ihr fertig.« –

»Nimm, kleiner Knirps, dein Geld nur hin.
Du bist ein wahrer Teufel!
Kein andrer mochte den Gewinn,
Du hegtest keinen Zweifel.
Es kam das Zittern dich nicht an,
Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
So stach ich dich doch nieder.« –

»Ei! guter Herr, so stand es nicht.
Ich hielt euch an der Kehle.
Verzucktet ihr nur das Gesicht,
Und ging der Schnitt mir fehle,
So ließ ich euch dazu nicht Zeit.
Entschlossen war ich und bereit,
Die Kehl euch abzuschneiden.« –

»So, so! ein ganz verwünschter Spaß!«
Dem Herrn wards unbehäglich.
Er wurd auf einmal leichenblass
Und zitterte nachträglich:
»So, so! das hat ich nicht bedacht,
Doch hat es Gott noch gut gemacht.
Ich wills mir aber merken.«

 

 
Die alte Waschfrau (x:xx)
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Du siehst geschäftig bei dem Linnen
Die Alte dort in weißem Haar,
Die rüstigste der Wäscherinnen
Im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit sauerm Schweiß
Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen,
Und ausgefüllt mit treuem Fleiß
Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

Sie hat in ihren jungen Tagen
Geliebt, gehofft und sich vermählt.
Sie hat des Weibes Los getragen.
Die Sorgen haben nicht gefehlt.
Sie hat den kranken Mann gepflegt.
Sie hat drei Kinder ihm geboren.
Sie hat ihn in das Grab gelegt
Und Glaub und Hoffnung nicht verloren.

Da galts die Kinder zu ernähren.
Sie griff es an mit heiterm Mut.
Sie zog sie auf in Zucht und Ehren.
Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Doch ihre Kinder wurden groß und bald
Entließ sie segnend ihre Lieben.
So stand sie nun allein und alt,
Doch war ihr heitrer Mut geblieben.

Sie hat gespart und hat gesonnen
Und Flachs gekauft und nachts gewacht.
Den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
Das Garn dem Weber hingebracht.
Der hats gewebt zu Leinewand.
Die Schere brauchte sie, die Nadel
Und nähte sich mit eigner Hand
Ihr Sterbehemde ohne Tadel.

Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es,
Verwahrts im Schrein am Ehrenplatz.
Es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort
Am Sonntag früh sich einzuprägen.
Dann legt sies wohlgefällig fort,
Bis einst darin zur Ruh sie legen.

Und ich, an meinem Abend, wollte,
Ich hätte, diesem Weibe gleich,
Erfüllt, was ich erfüllen sollte
In meinen Grenzen und Bereich.
Ich wollt, ich hätte so gewusst
Am Kelch des Lebens mich zu laben,
Und könnt am Ende gleiche Lust
An meinem Sterbehemde haben.

 
 
30 
 Juni 
 
1999


 

Ein einaktiger Monolog in Anlehnung an den „Regenbogenfisch“
von Marcus Pfister erschienen im Nord-Süd-Verlag


 

Vorrede

In Poseidons Friedensreich
herrscht des Paradieses selige Eintracht,
ein jeder teilet herzlich Freud’ und trägt des andern Leid.
Nur ein bunt schimmernder Fisch,
dem alle Schönheit eigen,
trübt der Freude Wonnemeer mit allzu geiziger Natur.
Prunkvoll schwimmet er mit stolz geschwellter Brust
und eitlem Flossenschlag daher.
Von anderen Fischen umscharend beneidet,
erbeten sich diese eine bunte Schuppe von ihm,
dass ihnen gleichfalls Farbenzauber eigen.
Doch jener wehrt von Eitelkeit beseelt
der schlichten Bitte.
Die Masse schmäht dem bunten Sonderling,
entsagt der Freundschaft festgeknüpftes Band
und schlägt sich in des Meeres Tiefe.

Einsam fristet nun der bunte Fisch sein Dasein.
Doch zu Hilfe eilt dem Schönling
nun der weisen Krake Rat,
dass nur im Beugen seines starren Sinnes,
nur im Verschenken seiner bunten Schuppen
die Gunst der Meeresfische ihm sich gleichfalls neiget.
Der bunte Fisch befolgt den Rat.
Und siehe,
der Fische sonder Zahl, sie kehret wieder,
und lohnt den Edelsinn mit Freundschaft.

 

 
Poseidon erscheint mit Dreizack auf einer Koralle sitzend
bei leichter Meeresströmung, wortverkündend.

Poseidon
Fernab von den menschbelebten Küsten
darf ich hier regierend stolz mich brüsten
im still umhüllten Korallenschlund
wo ohne Scheu mit kindlichen Gelüsten
sich spielend neckt
alles Getier gar kunterbunt
im Algen bedeckten Dämmergrund
und süß erstreckt
sich meines Reiches’ süßen Frieden
kein gramend Ding vermag mich zu entrüsten,
denn Frohsinn nur ist mir beschieden.
Doch dieser Wonneglanz der frommen Tracht,
die Heimstatt ungetrübter Liebesmacht,
erlischt an eines bunten Fisches eitlem Sinn,
der Freudenzauber, ewig mein, er rafft dahin
durch dessen Prahlsucht, überschwenglich,
für fremdes Sehnen unempfänglich
ergötzt er sich an seiner Schuppen Schimmern,
das Wehn der anderen lässt ihn nicht kümmern.

Er dünkt
sich Götterglanze anzumaßen
mit mir in eines Horn zu blasen
und schwingt
bemächtigt durch des Hochmuts Windes’ Böen
sich stolzbeflügelt auf Olympus’ Höhen.
Mit eit’lem Sinn die äuß’re Zier gepaart:
Das nenn’ ich Hochmut hoffärtigster Art!
Denn seht:
Schon naht sich ihm in Windesschnelle
mit schlichtem Kleid ein Weggeselle,
er fleht
um eine bescheid’ne Schönheitsgabe
aus seines Gewandes prunker Habe
ihm eine einz’ge Schuppe zu entbehren.

Umsonst! Denn jedwed’ flehendes Begehren
im Gleichmaß Schönheit and’ren zu bescheren
zerschmettert
trotzend am wehrend’ Herzenswall
ohne erhofften Widerhall.
Umwettert
von geifernd schäumen Drohgebärden
schlägt es den scheuen Weggefährten
in fernere Gefilde
und wilde
nun, räumen auch die and’ren Fische,
die Freud’ vergällt,
das bisher belebte Tummelfeld.

Entwichen ist
die jubelnde Menge
klatschender Neider,
verblichen ist
das schuppend’ Gehänge
schillernder Kleider.
Was nutzt ihm denn die blend’ Pracht
ohne den Beifall?
Sie verschmacht’t!
Kein Meereswohner schenkt
ihm säumend
nunmehr ersehntes Weggeleit
kein schwelgend Blick verfängt
sich träumend
in sein erles’nes Prinzenkleid.

So wagt
er sich zum weisen Tintenfische, freudzerschlagen,
ihm unter laut’rem Tränenflusse anzutragen
was ihm in bleibeschwerter Seele wühlt,
ihn zernagt
das pochend fühlend Herz gar eisend kühlt.
„Der Leidensdorn wird gänzlich dir erst ausgespült…”
so lässt die Krake -lange grübelnd- es verlauten:
„…entled’ge dich von deiner schleppend’ Bürde,
der Ausstaffierung königlicher Zierde.
Dann weicht, fürwahr, dem totenstillen Meeresflauten
die brandende Freud mit schäumem Wellenschlag,
zerschmettert am scharfen Riff dein Wehgeklag’
in abertausend Trümmerscherben.
Sei bescheiden
nur im Entkleiden
nur im Ersterben
stolzer Hülle
erringst du Freunde
sonder Fülle.
Dann entblößet sich
was tief im Seelengrunde
schlummernd dir begraben,
dann liebköset dich
des nah’nden Freundes’ Munde
süß wie Honigwaben.”

So bedenkt
der bunte Fisch der Krake weiser Worte
und verschenkt
sein buntes Farbenkleid umringter Horde,
entriegelt so der fremden Herzen Pforte,
schwenkt selbsterverschuldes Schicksal
zur freudesprudelnder Labsal
und tummelt sich im Bunde mannigfalt’ger Spielgefährten
mit angehob’nem Lobgesang und fröhlichen Gebärden.

Bedenkt nun, Menschenkinder, haltet inne,
dass nur ein Herz durchtränkt mit Edelsinne
gleichfalls mein Herz auch euch erblühen lässt.
Wer sich des Armen nun erbarmt
wer Stütze spendet, dem der lahmt,
dem brech’ auch ich mein Brot beim Freudenfest
beim Einzug in meines Reiches Pforten.
Doch jener, der klug sich dünkt, zu horten
ird’schen Mammon und mit eitlem Sinn verblendet
sich vom Klagelied des anderen abwendet
nicht die reichend’ Hand ihm zeigt,
jenem neigt
sich auch nicht meiner Hände tröstender Wangenstreich
in umnachteter Todesstund’
dem entsag’ ich den Freundschaftsbund,
geopfert dem Orkus und sternenbleich
fährt er dann hinab ins Totenreich.

Oh, dämmert’s Euch nun, beginnt Ihr zu verstehn’n?
Des Menschengeschlecht gleicht ranken Orchideen
ja, wie diese duftbetörten Nelken
die da keimen, sprießen und verwelken…
Wo bloße Augenfreud’ die Blicke lässt entgleisen,
wird fernen Tags der flücht’ge Liebreiz auch vergreisen.
Doch wahre Schönheit offenbaret
sich schmucklos nur im fühlend Herzen.
Sie strahlet
stets hell wie stille Loderkerzen
und bewahret
des Menschen edle Züge,
läuternd alles auszumerzen
Raffgier, Neid und Niedertracht:
der Falschheit wahrer Wiege.
Weder durch eitle Flossenpracht
noch durch ein stolzpompös erhab’nes Glanzkostüm
schwillt das zarte Götterherz mir ungestüm,
noch durch der Schönred’ ausgeschmückter Schwafelei
vollmund’gen Wortschwalls aufgetischter Tafelei
noch Redesang in höchster Himmelschören
von alledem lass ich mich nicht betören.
Wohl könnet ihr mit Worten zärtlich küssen
doch lasset ihr die Taten kärglich missen
und wenn ein lobend Worte prompt verklang
erschlafft auch kläglich schon der Tatendrang.
Dort entspringet nicht der Liebe wahrer Quell
prahlend mit gar leerem Wortgehüls zu prunken.
Lasst die Taten reden, gebend stets zur Stell’,
das allein schlägt sprühende Feuerfunken.
Lässt mir die Brust dann freuderglühn
und euer Herzensbeet erblühn,
wenn euer sehnlichstes Bemühn
sich um das Leid des and’ren sorgt
und stets das lauschend’ Ohr ihm borgt.