Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

2 
 Juni 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Im Namen Jesu (1:05)
Clemens Brentano (1778 – 1842)

Ich möchte gern was schreiben,
Das ewig könnte bleiben.
Denn alles andre Treiben
Will nur die Zeit vertreiben.

Ich möchte gern mein Leben
Zu Ewigem erheben.
Denn alles andre Streben
Ist in den Tod gegeben.

Drum schreib ich einen Namen,
Drum lieb ich einen Namen,
Und leb ich einen Namen,
Der Jesus heißt – sag: Amen.

 

 
Einsam will ich untergehn (2:57)
Clemens Brentano (1778 – 1842)

Einsam will ich untergehn
Keiner soll mein Leiden wissen.
Wird der Stern, den ich gesehn,
Von dem Himmel mir gerissen,
Will ich einsam untergehn,
Wie ein Pilger in der Wüste.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Pilger in der Wüste.
Wenn der Stern, den ich gesehn,
Mich zum letzten Male grüßte,
Will ich einsam untergehn,
Wie ein Bettler auf der Heide.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Bettler auf der Heide.
Gibt der Stern, den ich gesehn,
Mir nicht weiter das Geleite,
Will ich einsam untergehn,
Wie der Tag im Abendgrauen.

Einsam will ich untergehn
Wie der Tag im Abendgrauen.
Will der Stern, den ich gesehn,
Nicht mehr auf mich niederschauen,
Will ich einsam untergehn,
Wie ein Sklave an der Kette.

Einsam will ich untergehn
Wie der Sklave an der Kette.
Scheint der Stern, den ich gesehn,
Nicht mehr auf mein Dornenbette,
Will ich einsam untergehn,
Wie ein Schwanenlied im Tode.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Schwanenlied im Tode.
Ist der Stern, den ich gesehn,
Mir nicht mehr ein Friedensbote,
Will ich einsam untergehn,
Wie ein Schiff in wüsten Meeren.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Schiff in wüsten Meeren.
Wird der Stern, den ich gesehn,
Jemals weg von mir sich kehren,
Will ich einsam untergehn,
Wie der Trost in stummen Schmerzen.

Einsam will ich untergehn
Wie der Trost in stummen Schmerzen.
Soll den Stern, den ich gesehn,
Jemals meine Schuld verscherzen,
Will ich einsam untergehn,
Wie mein Herz in deinem Herzen.

 

 
Rückblick (6:22)
Clemens Brentano (1778 – 1842)

Ich wohnte unter vielen, vielen Leuten
Und sah sie alle tot und stille stehn.
Sie sprachen viel von hohen Lebensfreuden
Und liebten, sich im kleinsten Kreis zu drehn.
So war mein Kommen schon ein halbes Scheiden,
Und jeden hab ich einmal nur gesehn.
Denn nimmer hielts mich. Flüchtiges Geschicke
Trieb wild mich fort, sehnt ich mich gleich zurücke.

Und manchem habe ich die Hand gedrücket,
Der freundlich meinem Schritt entgegensah,
Hab in mir selbst die Kränze all gepflücket,
Denn keine Blume war, kein Frühling da,
Und hab im Flug die Unschuld mit geschmücket,
War sie verlassen meinem Wege nah;
Doch ewig, ewig trieb mich’s schnell zu eilen,
Konnt niemals meines Werkes Freude teilen!

Rund um mich war die Landschaft wild und öde,
Kein Morgenrot, kein goldner Abendschein,
Kein kühler Wind durch dunkle Wipfel wehte,
Es grüßte mich kein Sänger in dem Hain.
Auch aus dem Tal schallt’ keines Hirten Flöte,
Die Welt schien mir in sich erstarrt zu sein.
Ich hörte in des Stromes wildem Brausen
Nur eignen Fluges Flügelschläge sausen!

Nur in mir selbst die Tiefe zu ergründen,
Senkt ich ins Herz mit Geistesmacht den Blick;
Doch hier auch konnt es eigne Ruh nicht finden,
Kehrt friedlos stets zur Außenwelt zurück;
Es sah wie Traum das Leben unten schwinden,
Las in den Sternen ewiges Geschick;
Und rings um mich eiskalte Stimmen sprachen:
“Das Herz, es will vor Wonne schier verzagen!

Ich sah sie nicht, die großen Süßigkeiten
Vom Überfluss der Welt. Sie schien mir schal.
Ich musst hinweg mit schnellem Fittich gleiten.
Hinabgedrückt von unerkannter Qual,
Konnt nimmer ich Frucht und Genuss erbeuten
Und zählte stumm der Flügelschläge Zahl.
Von ewigen, unfühlbar mächtgen Wogen
In weite, weite Ferne hingezogen.

Und so noch jetzt. – Wohl muss ich es gestehen,
Dass Dinge mich umscheinen, Menschen gleich.
Zu hören sie, leibhaftig sie zu sehen,
Kann ich nicht leugnen. Doch bleibet mir dies Reich
Der Welt so fremd und hohl, dass all ihr Drehen
Es doch nicht schafft, dass mir der Zweifel weich,
Ob Sein, ob Nichtsein seinen Spuk hier treibe,
Ob solcher Welt auch Seele wohn im Leibe.

 

 
Was reif in diesen Zeilen steht (8:20)
Clemens Brentano (1778 – 1842)

[Auszug]
O Stern und Blume, Geist und Kleid
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
Was reif in diesen Zeilen steht,
Was lächelnd winkt und sinnend fleht,
Das soll kein Kind betrüben.

Die Einfalt hat es ausgesät,
Die Schwermut hat hindurchgeweht,
Die Sehnsucht hats getrieben.
O Stern und Blume, Geist und Kleid
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!

 
 
10 
 April 
 
2012

abgelegt in
Kramer, Theodor

 

DICHTUNG Theodor Kramer
LESUNG Jürgen Holtz
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Du warst in allem einer ihrer Besten,
erschrocken fühl ich heut mich dir verwandt,
du schwelgtest gerbe bei den gleichen Festen
und zogst wie ich oft wochenlang durchs Land.
Es füllt dich wie mich der gleiche Ekel
Vor dem Geklügel ohne innern Drang,
vor jedem Wortgekletzel und Gehäkel,
nichts galt dir als der schöne Überschwang.

So zog es dich zu ihnen die, die marschierten,
wer weiß da, wann du auf dem Marsch ins Nichts
gewahr der Zeichen wurdest, die sie zierten?
Du liegst gefällt am Tage des Gerichts.
Ich hätte dich mit eigner Hand erschlagen;
Doch unser keiner hatte die Geduld,
in deiner Sprache dir den Weg zu sagen:
dein Tod ist unsre, ist auch meine Schuld.

Ich setz für dich zu Abend diese Zeilen,
da schrill die Grille ihre Beine reibt,
wie du es liebtest, und der Seim im geilen
Faulbaum im Kreis die schwarzen Käfer treibt.
Daß wir des Tods und Ursprungs nicht vergessen,
wann jeder Brot hat und zum Brot auch Wein,
vom Überschwang zu singen wie besessen,
soll um dich, Bruder, meine Klage sein.

 
 
6 
 April 
 
2012


 
Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Das verschleierte Bild zu Saïs (0:32)
Friedrich von Schiller (1759 – 1805)

Ein Jüngling, den des Wissens heißer Durst
Nach Saïs in Ägypten trieb, der Priester
Geheime Weisheit zu erlernen, hatte schon
Manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt.
Stets riss ihn seine Forschbegierde weiter
Und kaum besänftigte der Hierophant
Den ungeduldig Strebenden. »Was hab ich,
Wenn ich nicht alles habe?« sprach der Jüngling,
»Gibts etwa hier ein Weniger und Mehr?
Ist deine Wahrheit wie der Sinne Glück
Nur eine Summe, die man größer, kleiner
Besitzen kann und immer doch besitzt?
Ist sie nicht eine einzge, ungeteilte?
Nimm einen Ton aus einer Harmonie,
Nimm eine Farbe aus dem Regenbogen –
Und alles, was dir bleibt, ist nichts, solang
Das Schöne All der Töne fehlt und Farben.«

Indem sie einst so sprachen, standen sie
In einer einsamen Rotonde still,
Wo ein verschleiert Bild von Riesengröße
Dem Jüngling in die Augen fiel. Verwundert
Sah er den Führer an und sprach: »Was ists,
Das hinter diesem Schleier sich verbirgt?«
»Die Wahrheit!« ist die Antwort. »Wie?« ruft jener,
»Nach Wahrheit streb ich ja allein, und diese
Gerade ist es, die man mir verhüllt?«
»Das mache mit der Gottheit aus.« versetzt
Der Hierophant »Kein Sterblicher, sagt sie,
Rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Und wer mit ungeweihter, schuldger Hand
Den heiligen, verbotnen früher hebt,
Der, spricht die Gottheit …« »Nun?«
»Der sieht die Wahrheit.«
»Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst,
Du hättest also niemals ihn gehoben?«
»Ich? wahrlich nicht! Und war auch nie dazu versucht.«
»Das fass ich nicht. Wenn von der Wahrheit
Nur diese dünne Scheidewand mich trennte« –
»Und ein Gesetz!« fällt ihm sein Führer ein
»Gewichtiger, mein Sohn, als Du es meinst,
Ist dieser dünne Flor – zwar leicht für deine Hand
Doch zentnerschwer für dein Gewissen.«

Der Jüngling ging gedankenvoll nach Hause.
Ihm raubt des Wissens brennende Begier
Den Schlaf, er wälzt sich glühend auf dem Lager
Und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel
Führt unfreiwillig ihn der scheue Tritt.
Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen,
Und mitten in das Innre der Rotonde
Trägt ein beherzter Sprung den Wagenden.
Hier steht er nun, und grauenvoll umfängt
Den Einsamen die lebenlose Stille,
Die nur der Tritte hohler Widerhall
In den geheimen Grüften unterbricht.
Von oben durch der Kuppel Öffnung wirft
Der Mond den bleichen, silberblauen Schein,
Und furchtbar wie ein gegenwärtger Gott
Erglänzt durch des Gewölbes Finsternisse
In ihrem langen Schleier die Gestalt.
Er tritt hinan mit ungewissem Schritt –
Schon will die freche Hand das Heilige berühren,
Da zuckt es heiß und kühl durch sein Gebein
Und stößt ihn fort mit unsichtbarem Arme.
Unglücklicher, was willst du tun? so ruft
In seinem Innern eine treue Stimme.
Versuchen den Allheiligen willst du?
Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund,
Rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Doch setzte nicht derselbe Mund hinzu:
Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen?
»Sei hinter ihm, was will!
Ich heb ihn auf – Ich will sie schaun!«
Er rufts und hat den Schleier aufgedeckt.

Nun, fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier?
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin.
Ihn riss ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
»Weh dem« dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestüme Frager in ihn drangen
»Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld!
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein.«

 

 
Der Taucher (Parodie) (7:58)
Heinz Erhardt (1909 – 1979)

»Wer wagt es, Knappersmann oder Ritt,
Zu schlunden in diesen Tauch?
Einen güldenen Becher habe ich mit,
Den werf ich jetzt in des Meeres Bauch!
Wer ihn mir bringt, ihr Mannen und Knaben,
Der soll meine Tochter zum Weibe haben!«

Der Becher flog.
Der Strudel zog
Ihn hinab ins gräuliche Tief.
Die Männer schauten,
Weil sie sich grauten, weg.
Und abermals der König rief:

»Wer wagt es, Knippersmann oder Ratt,
Zu schlauchen in diesen Tund?
Wer’s wagt – das erklär ich an Eides statt –
Darf küssen meins Töchterleins Mund!
Darf heiraten sie. Darf mein Land verwalten!
Und auch den Becher darf er behalten!«
Da schlichen die Mannen
Und Knappen von dannen.
Bald waren sie alle verschwunden –
Der Becher liegt heute noch unten …
Denn sie wussten verlässlich:
Die Tochter ist grässlich! –