Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

19 
 November 
 
2017


 

Sonett II.

Wenn vierzig Winter einst dein Haupt umnachten
Und tief durchfurchen deiner Schönheit Feld,
Dann ist dein Jugendflor, wonach wir itzt so trachten,
Ein mürbes Kleid, das unbemerkt zerfällt.

Ein ödes Lob, ein allverzehrend Schmähn
Wär’s dann, dem Forscher nach den Reizen all,
Nach dem frühen Reichtum, zu gestehn
Er sei dahin mit deines Auges Fall.

Weit rühmlicher wies deine Schönheit sich,
Könnt’st du erwidern „dies mein schönes Kind
Tilgt meine Schuld, vertritt mein Alter mich,
Weil seine Reize Erben meiner sind“. –

Dies ist’s, wodurch ein Greis sich neu verjüngt
Und kaltem Blut die Wärme wiederbringt.

 
 
1 
 März 
 
2017


 

I.

Vom schönsten Wesen wünschen wir Vermehrung,
Damit der Schönheit Ros’ unsterblich sei,
Und, wenn das Reife stirbt durch Zeitverheerung,
Sein Bild in zarten Erben sich erneu’,

Doch du, in eigner Augen Schein begnügt,
Nährst mit selbstwesentlichem Stoff dein Feuer,
Machst Hungersnot wo Überfülle liegt,
Dir selber Feind, des holden Ichs Bedräuer!

Der jungen Tage frische Zierde du
Und einz’ger Herold bunter Frühlingszeit,
Begräbst in eigner Knospe deine Ruh,
Vergeudest kargend, zarte Selbstigkeit!

Hab Mitleid mit der Welt! Verschling’ aus Gier
Ihr Pflichtteil nicht in deinem Grab und dir.

 
 
31 
 Juli 
 
2011


 

Anno 1636

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr den ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch’ ist umgekehret.
Das Rahthaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfraun sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun,
Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Hier durch die Schanz und Stadt, rinnt allzeit frisches Blut.
Dreimal sind schon sechs jahr, als unser Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fort gedrungen,

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer den die Pest, und Glut und Hungersnot,
Das auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

 

Sprecher Christian Brückner   |   Bereitstellung Wortlover